Mittag in einem Wiener Innenstadtlokal. An einem Tisch sitzen vier frisch aus Kopenhagen angereiste Touristen, die sich darauf freuen, ihr erstes Wiener Schnitzel in jener Stadt zu essen, der das Gericht seinen Namen verdankt. Doch als die vier prächtig soufflierten Kalbswiener serviert werden, macht sich in den Gesichtern der Dänen Enttäuschung breit. Denn anstatt der Garnitur aus Zitrone, gehackten Eiern, Kapern, Sardellen, Petersilie und Oliven, mit der das Wiener Schnitzel in ihrer Heimat belegt wird, ist es hierzulande lediglich mit einer simplen Zitronenscheibe garniert. Als sie den Kellner darauf ansprechen, sagt der nur: "This is authentic Wiener Schnitzel mit authentic lemon."

Nun stellt sich die Frage, wieso sich die Skandinavier zu ihrem Schnitzel diese aufwendige und in Österreich weitgehend unbekannte Garnitur erwarten? Und als Zweites, was eigentlich "authentisch" bedeutet in Zusammenhang mit dem Schnitzel und mit Küche im Allgemeinen?

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Ur-österreichisch oder nicht? Über die Herkunft des Schnitzels und seine Garnitur gibt es viele Geschichten.
Foto: Ernst Weingartner / picturedesk

Mögliche Antworten finden sich in französischen Kochbüchern aus dem 19. Jahrhundert. Darin ist von einer "garniture à la viennoise" die Rede, die sich aus besagten Ingredienzien zusammensetzt. Und die sich wunderbar eigne, um jedwedes Gericht zu begleiten, welches "à l'anglaise" oder "à la milanaise" paniert wurde.

Folglich schlägt man unter "paner à l'anglaise" nach. Und findet dort eine Zubereitungsart, bei der beliebige Zutaten wie Fisch, Fleisch oder Innereien mit geschlagenem Ei und Weißbrotbrösel umhüllt und in heißem Fett herausgebacken werden; sowie einige Zeilen weiter die Panier "à la milanaise", bei der ein Drittel der Brösel durch Parmesan ersetzt wird.

Willkürliche Bezeichnung

"Woher viele dieser Ortsbezeichnungen stammen, bleibt in den meisten Fällen unklar", sagt der Historiker Alberto Capatti, "wahrscheinlich aber ist, dass sie häufig völlig willkürlich von einem einflussreichen Koch in Paris erfunden wurden, der den Gerichten damit einen Hauch Exotik verleihen wollte, um dieserart seine betuchten bürgerlichen Gäste zu beeindrucken."

Das wiederum liege daran, so Capatti weiter, dass für den wohlhabenderen Teil der europäischen Bevölkerung über Jahrhunderte und bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stets nur ein einziges Küchenmodell tonangebend gewesen sei, nämlich jenes der französischen Hauptstadt. Was sich die Pariser Köche an Zubereitungsarten und Techniken ausdachten, was sie kochten, kodifizierten und benannten, wurde in allen anderen Städten des Kontinents aufgegriffen und reproduziert.

Das könnte auch auf das Wiener Schnitzel beziehungsweise auf die cotoletta alla milanese zutreffen. Zumal schon der Begriff Panieren, der die Technik des Einbröselns und Frittierens bezeichnet, vom französischen Wort für Brot abgeleitet ist. Und es sich bei beiden heutzutage weitgehend popularisierten Fleischgerichten einst um großbürgerliche Zubereitungsarten par excellence handelte, die sich quer durch Europa nur besagte städtische und wohlhabende Minderheit leisten konnte.

Das zeigt sich schon an den zu der Zeit als höchstexklusiv geltenden Zutaten. Wie zum Beispiel am für die damalige gemeine Bevölkerung völlig unerschwinglichen Kalbfleisch. Aber auch an gleichfalls teuren Ingredienzien wie tierischen Proteinen in Form von Eiern und Schweine- beziehungsweise Butterschmalz.

Hinzu kommt, dass das Schnitzel ein individuelles Gericht ist, das jedem einzelnen Gast als Portion serviert wird – eine Art von Tischkultur, wie sie noch vor hundert Jahren ausschließlich in gehobenen urbanen Kreisen gepflegt wurde.

Brösel oder Backteig

Unklar ist, wie die Bezeichnungen à l'anglaise und à la viennoise entstanden sind. Wird doch in England vorwiegend nicht in Bröselmantel, sondern in batter, also Backteig, gebacken. Und sind doch die Zutaten der garniture à la viennoise mit Ausnahme der Petersilie und der Eier in Wien alles andere als heimisch.

Doch auch in der Wiener Küche finden sich Bezeichnungen, die das Konzept der Authentizität ad absurdum führen. Darunter etwa das Szegediner Gulasch, eine Art papriziertes Krautfleisch, das unter dieser Form und Bezeichnung in der namensgebenden ungarischen Stadt gänzlich unbekannt ist. Und von einem Pariser Schnitzel hat in der französischen Hauptstadt auch noch nie jemand gehört.

Durchaus wahrscheinlich ist also, dass die Garnitur à la viennoise einst in der Fantasie eines Pariser Kochs entstand, in Kopenhagen bis heute weiterlebt und in Wien verschwunden ist. Ob man in dem Zusammenhang also von Authentizität sprechen kann, bleibt dahingestellt – spielt aber auch kaum eine Rolle, wenn man bedenkt, dass immer mehr Wiener zu ihrem Schnitzel sowieso lieber Preiselbeermarmelade verlangen. (Georges Desrues, 7.10.2018)

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