Angesichts der neuen Eskalationsstufe nimmt sich nun die Politik des Falles rund um Sigi Maurer an: Weil sich die grüne Ex-Abgeordnete am 4. September am Wiener Straflandesgericht dafür verantworten muss, dass sie die Identität eines Bierladenbetreibers preisgegeben hat, von dessen Account sie sexuell erniedrigende Botschaften erhielt, forderte der Wiener Gemeinderat mit den Stimmen von Rot und Grün die Regierung per Antrag zu einer Gesetzesänderung auf.

Konkret haben die miteinander koalierenden Stadtparteien am Donnerstagabend auf eine Verschärfung des Tatbestands der Ehrenbeleidigung gedrängt, dazu sprach man sich für Sanktionsmöglichkeiten gegen verbale sexuelle Belästigung aus – was FPÖ, ÖVP und die Neos im Rathausparlament allerdings ablehnten.

Ex-Abgeordnete Sigi Maurer, hier mit Wiens grüner Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou: In der rot-grün regierten Bundeshauptstadt drängt man jetzt auf eine Änderung des Tatbestands der Ehrenbeleidigung.
Foto: APA / Georg Hochmuth

Im Detail hat Maurer Ende Mai vom Facebook-Profil des Bierwirts in der Josefstadt zuerst höchst obszöne Aufforderungen zum Oralsex erhalten, danach wurde ihr äußerst rüde Analverkehr in Aussicht gestellt – all das mit Hinweisen auf ihren angeblich "fetten Arsch" sowie mit mehreren Rufzeichen versehen.

Weil Maurer diese Privatnachrichten samt Namen des Geschäftsbetreibers publik gemacht hat, drohen ihr nun 60.000 Euro Strafe wegen übler Nachrede, Kreditschädigung und erlittener Kränkung des Mannes, der die Botschaften an sie nicht abgesetzt haben will und der deswegen Privatanklage gegen sie erhoben hat.

Heikle Gesetzeslücken

Verliert Maurer den Prozess, muss sie als Belästigte auch noch die Gerichtskosten tragen. Denn der Geschäftsbetreiber pochte nach dem Outing via Posting mit mehreren Rufzeichen darauf, dass er sich von den Botschaften an Maurer distanziere – und dass "mehrere Leute den PC" in seinem Betrieb genutzt hätten. Sein Anwalt Adrian Hollaender führt ins Treffen, dass Maurer die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten in eklatanter Weise verletzt habe.

Tatsächlich fördert der Fall Gesetzeslücken zutage: Das Versenden obszöner Botschaften via SMS, Mails, Postings, Messenger-Nachrichten gilt hierzulande als nicht strafrechtlich relevant – wodurch aber auch mutmaßliche Absender womöglich keinen Identitätsschutz genießen.

Die Empfänger/innen stecken juristisch jedenfalls im Dilemma: Im Extremfall können sie Zivilklage einreichen – müssen bei einem Prozess aber den Beweis antreten, dass Accountinhaber und Absender ein und dieselbe Person sind, wenn der Beschuldigte den Versand bestreitet. Und genau das blüht nach dem Sommer auch Maurer angesichts der Privatanklage des Bierladenbetreibers.

Keine Toleranz

Wiens grüne Frauensprecherin Barbara Huemer erklärte zum Antrag des rot-grün dominierten Rathausparlaments, dass auch Ehrenbeleidigungsklagen scheitern würden, weil eine Beleidigung vor mindestens zwei weiteren Personen stattfinden müsse.

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Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) hält zu dem Fall rund um Sigi Maurer fest: "Derartige sexuelle Belästigungen sind strikt abzulehnen und dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben."
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Auch weibliche ÖVP-Regierungsmitglieder sehen längst Handlungsbedarf. Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß über den Fall Maurer zum STANDARD: "Derartige sexuelle Belästigungen sind strikt abzulehnen und dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Wir werden diesen Fall in die Arbeit der Taskforce Gewalt- und Sexualdelikte einfließen lassen und dort besprechen."

Und die zuständige Innenstaatssekretärin Karoline Edtstadler sichert auf Anfrage erneut zu: "Die Taskforce erarbeitet strengere Strafen für Gewalt- und Sexualdelikte, gleichzeitig muss auch ein Bewusstsein geschaffen werden, dass derartige Belästigungen im Internet nicht toleriert werden. Die Arbeitsgruppe Cybercrime erarbeitet Vorschläge, wie Betroffenen geholfen werden kann."

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Innenstaatssekretärin Karoline Edtstadler, hier mit Justizminister Josef Moser (beide ÖVP) sichert zu: "Es muss auch ein Bewusstsein geschaffen werden, dass derartige Belästigungen im Internet nicht toleriert werden. Die Arbeitsgruppe Cybercrime erarbeitet Vorschläge, wie Betroffenen geholfen werden kann."
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Im Justizressort gilt ein strafrechtliches Ahnden obszöner Privatnachrichten als heikel – auch, weil schon Teenager einander mitunter solche schicken und man keine Prozesslawine lostreten möchte, im Zuge derer vielleicht sogar 16-Jährige mit Gerichtsurteilen rechnen müssen.

Maurer selbst sagt zu alledem: "Ich freue mich, dass sich die Regierung der Sache annimmt und warte gespannt auf die Ergebnisse. Gesetzesänderungen müssen sich jedenfalls daran orientieren, schnelle und für die Betroffenen kostenlose Abhilfe zu schaffen." (Nina Weißensteiner, 29.6.2018)