Zäune in der spanischen Enklave Ceuta: Auch deren Ausweitung zur Festung wird die Menschen nicht von der Flucht abhalten.

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Eric Frey meint, die EU und ihre Mitgliedstaaten könnten vielfältige Herausforderungen bei Flüchtlingsschutz und Zuwanderung lösen, indem sie die EU zur Festung ausbauen. Bei einigen EU-Staats- und Regierungschefs scheint er Gehör zu finden: Der Europäische Rat hat gerade grünes Licht gegeben für weitere Planungen zu "Ausschiffungsplattformen" – Lager außerhalb der EU, in die Asylsuchende verbracht und so vom EU-Asylsystem abgeschnitten werden sollen. Auch wenn bisher kein Drittland ein solches Lager aufnehmen will – der Wunsch ist unübersehbar.

Dieser Ansatz greift jedoch zu kurz – das ist die Schlussfolgerung aus dem neuen Assessment-Report der europäischen Forschungsallianz Medam zur EU-Flüchtlings- und Migrationspolitik (www.medam-migration.eu). Vielmehr kommt es darauf an, Flüchtlinge vor Verfolgung und Krieg in gemeinsamer Verantwortung mit den Ländern zu schützen, wo sie zunächst Aufnahme finden (etwa in der Türkei, im Libanon und in Jordanien im Fall der Flüchtlinge aus Syrien). Die wirtschaftlich motivierte irreguläre Zuwanderung nach Europa – etwa aus Westafrika über Libyen nach Italien – lässt sich nur gemeinsam mit den Herkunfts- und Transitländern steuern. Lösungen sind möglich durch internationale Partnerschaften und gemeinsam wahrgenommene Verantwortung – nicht durch Ausschluss und Festungsbau.

Im Einzelnen: Auch wenn wir die EU zur Festung ausbauen, werden Flüchtlinge und irreguläre Arbeitsmigranten weiter in die EU kommen, wenn sie anderswo keine Hoffnung auf ein Leben in Würde haben. Deshalb ist es richtig, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten Flüchtlinge und die einheimische Bevölkerung etwa in der Türkei, im Libanon und in Jordanien, finanziell unterstützen.

Der Zustrom von Flüchtlingen im Jahr 2015 ging auch darauf zurück, dass die Nahrungsmittelrationen in Flüchtlingslagern im Nahen Osten aus Geldmangel gekürzt wurden. Die politische Glaubwürdigkeit der EU würde weiter steigen, wenn diese ihr Versprechen aus dem EU-Türkei-Abkommen einlöst und in überschaubarer Zahl besonders schutzbedürftige Flüchtlinge nach Europa umsiedeln würde.

Politisch heikel

Viele wirtschaftlich motivierte, irreguläre Migranten aus Afrika beantragen heute trotz mangelnder Erfolgsaussicht in der EU Asyl, weil sie keinen anderen legalen Weg auf den europäischen Arbeitsmarkt sehen. Einigen gelingt es, in Europa Fuß zu fassen und ihre Familien in den Herkunftsländern durch Geldtransfers zu unterstützen. Wenn abgelehnte Asylsuchende nun in ihre Herkunftsländer zurückgeführt und von den Behörden wieder aufgenommen werden sollen, ist dies für die Regierungen politisch heikel: Die betroffenen Familien verlieren eine Einkommensquelle und die Ausgewanderten die Hoffnung auf ein materiell besseres Leben. Deshalb sind Herkunftsländer in der Praxis so zögerlich, wenn sie abgelehnte Asylsuchende zurücknehmen sollen. Das wäre übrigens bei Rückkehrern von künftigen "Ausschiffungsplattformen" genauso.

Gleichzeitig werden sowohl das EU-Asylsystem als auch eine sorgfältig gesteuerte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt nur dann gut funktionieren, wenn die EU-Mitgliedstaaten ausländische Staatsangehörige ohne Aufenthaltsrecht rasch in ihre Herkunftsländer zurückführen können. Das gilt gerade deshalb, weil wir die EU eben nicht buchstäblich zu einer Festung ausbauen können, in die niemand ohne Genehmigung eindringen kann. Daran würden auch "Ausschiffungsplattformen" nichts ändern, die ohnehin nur relativ wenige Asylsuchende aufnehmen könnten.

In unserem Assessment-Report kommen wir zu dem Ergebnis, dass vor allem ein umfassendes Angebot für legale Wege in den EU-Arbeitsmarkt Regierungen der Herkunfts- und Transitländer bewegen kann, bei der Reduzierung der irregulären Migration nach Europa aktiv mitzuwirken – und auch ihre Staatsangehörigen aus der EU zurückzunehmen, wenn diese nicht dort bleiben dürfen.

Mehr legale Arbeitsmigration nach Europa würde also doppelt wirken: Erstens hätten potenzielle Migranten eine attraktive Alternative zur riskanten, irregulären Migration. Zweitens hätten die Regierungen der Herkunftsländer einen politischen Anreiz, beim Migrationsmanagement mit der EU wirksam zu kooperieren.

Für die Steuerung der Arbeitsmigration aus Drittländern haben die EU-Mitgliedsstaaten bereits viele Instrumente, die flexibel eingesetzt und von der EU zu einem umfassenden Angebot an Partnerstaaten in Afrika gebündelt werden könnten. Zum Beispiel können in Ausbildungspartnerschaften berufliche Qualifikationen und Abschlüsse vermittelt werden, die sowohl in den Herkunftsländern als auch in Europa nachgefragt sind. Vielfach hat die EU-Landwirtschaft Bedarf an Saison-Arbeitskräften. In einigen Mitgliedsstaaten werden aufgrund des demografischen Wandels auch Arbeitskräfte mit geringen bis mittleren beruflichen Qualifikationen nachgefragt.

Aktuell geht es in der Debatte um Flüchtlingsschutz in der EU häufig um die Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedstaaten. Manchen erscheint der Bau einer Festung Europa – mit vorgelagerten Ausschiffungsplattformen – leichter als eine sinnvolle Zentralisierung des EU-Asylsystems mit Finanzierung durch das EU-Budget. Dabei wäre ein zentral organisiertes und finanziertes EU-Asylsystem eine logische Konsequenz aus der Abschaffung der Personenkontrollen an den EU-Binnengrenzen im Schengen-Raum.

Italien unterstützen

Die EU könnte kurzfristig Erstankunftsländer wie Italien bei der raschen und fairen Durchführung von Asylverfahren personell und finanziell unterstützen und Verantwortung übernehmen für die Rückführung abgelehnter Asylsuchender. In unserem 2018 Medam Assessment Report diskutieren wir im Einzelnen, wie die EU-Mitgliedsstaaten die dauerhafte Integration anerkannter Flüchtlinge, die Umsiedlung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge aus Drittländern und Angebote für legale Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ausgestalten könnten.

Schließlich haben Peter Mayr und András Szigetvari bereits darauf hingewiesen: Es spricht wenig für Eric Freys Erwartung, dass in einer Festung Europa soziale Inklusion und die Wertschätzung von Diversität gedeihen werden. Im Gegenteil: Die physische Abgrenzung nach außen benötigt vermutlich ein raues gesellschaftliches Klima, in dem bald auch im Innern "die Anderen" ausgegrenzt werden. Ungarn mag als warnendes Beispiel dienen. Matthias Lücke, 29.6.2018)