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Frans Timmermans glaubt, dass die neue EU-Flüchtlingspolitik mit Menschlichkeit verbunden werden kann.

Foto: Reuters/Kessler

Jahrelang hat Frans Timmermans, der Erste Vizepräsident der EU-Kommission, eine liberale Asylpolitik verteidigt. Nun, nachdem die Staats- und Regierungschefs der Union eine Wende in Richtung einer Politik der geschlossenen Grenzen und Flüchtlingslager in Nordafrika beschlossen haben, findet der niederländische Sozialdemokrat kein kritisches Wort zu dieser Entwicklung.

Aber in einem Pressegespräch vor österreichischen Journalisten in Brüssel macht der Stellvertreter des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker auch klar, dass dies nur ein erster Schritt gewesen sein könne. Nun müsse die Union eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik schaffen, eine langfristige Beziehung mit Afrika aufbauen und das Dublin-System reformieren.

"Eine politische Krise"

"Anders als 2015 haben wir keine materielle Migrationskrise, aber wir haben eine politische Krise. Die ist schwieriger zu bewältigen, weil es keine Anreize gibt, einen Kompromiss zu finden", sagt Timmermans, der in der Kommission für die Verteidigung von Rechtsstaatlichkeit zuständig ist. "Ich bin deshalb froh, dass der europäische Rat eine Schlussfolgerung gefunden hat, in der verschiedene Interessen reflektiert sind."

Dabei habe auch Österreichs Kanzler Sebastian Kurz eine konstruktive Rolle gespielt und werde das hoffentlich auch in Zukunft tun, sagt Timmermans. "Man hat ihn bisher eingeordnet im Lager von Matteo Salvini und Horst Seehofer, aber so einfach ist das nicht. Er hat seine Flexibilität bewiesen." Dies sei nun eine weitere Herausforderung für die österreichische EU-Präsidentschaft.

Keine Flüchtlingsquoten

Nur mit einem gemeinsamen EU-Asylrecht könnten die geplanten Anlandeplattformen, sprich: Auffanglager für Flüchtlinge, außerhalb der EU funktionieren, weil es sonst keinen Mechanismus gebe, Flüchtlinge mit Asylgrund aufzunehmen. Dieses würde nicht alle zufriedenstellen, dürfe aber kein "race to the bottom", also zu den niedrigsten Standards, sein. Eine verpflichtende Quotenverteilung, die von den Visegrád-Staaaten vehement abgelehnt wird, hält Timmermans nicht für notwendig. Die Aufnahme könne auf Freiwilligkeit basieren.

Zur Sicherung der dortigen Menschenrechtsstandards sollte man sich an das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM) halten. Auch Migranten ohne Asylgrund dürfe man nicht "ihre Menschlichkeit nehmen", sagt Timmermans.

Was Viktor Orbán nicht will

Genauso wichtig aber wie ein EU-Asylrecht sei eine Dublin-Reform, damit die Last für ankommende Flüchtlinge nicht allein bei Griechenland und Italien hängenbleibe. Gleichzeitig müsse man die Sekundärmigration von bereits registrierten Flüchtlingen eindämmen. Timmermans: "Wenn wir das nicht schaffen, dann ist die Folge klar: Dann wird es keinen Schengen-Raum mehr geben. Und das ist ein Preis, den auch Viktor Orbán nicht bezahlen will. Auch die ungarische Wirtschaft braucht ein grenzenloses Europa."

Warum er die Gipfellösung unterstützt, begründet Timmermans politisch. Es sei ein Faktum, dass zahlreiche EU-Staaten Einwanderung benötigen, weil ihnen die Arbeitskräfte fehlen. Aber in den vergangenen Jahren habe in allen Staaten das Gefühl überwogen, "dass wir die Lage nicht unter Kontrolle haben. Es gibt keinen Mitgliedsstaat, wo die Migration in der gesellschaftlichen und politischen Debatte und auch bei den Wahlen keine Rolle spielt. Es ist unglaublich wichtig, zu zeigen, dass wir diese Kontrolle behalten."

Die Rechtspopulisten sind nicht schuld

Es sei auch falsch, rechtspopulistische Parteien für diese Stimmung verantwortlich zu machen. "Zu sagen, das Thema ist instrumentalisiert worden, ist zu einfach. Es gibt ein reelles Problem. Schimpfen auf andere politische Partien wird das Problem nicht lösen." Aber man dürfe auch nicht NGOs dafür kritisieren, dass sie Menschen aus dem Meer fischen und nach Europa bringen. Wenn sich die Lebensumstände für Flüchtlinge etwa in Libyen verbesserten, hätten die NGOs auch weniger Anlass zum Agieren.

Langfristig sei die größte Herausforderung die demografische und wirtschaftliche Entwicklung in Afrika, wo sich die Bevölkerung in wenigen Jahrzehnten verdoppeln dürfte. "Migration aus Afrika wird eine Generation lang eine riesige Herausforderung bleiben", ist Timmermans überzeugt. (Eric Frey aus Brüssel, 30.6.2018)