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Harlan Ellison ließ niemanden kalt: Dafür sorgte seine Persönlichkeit ebenso wie sein schriftstellerisches Schaffen.
Foto: AP/Steve Barber

Los Angeles – Mit dem in der vergangenen Woche verstorbenen Autor und Herausgeber Harlan Ellison hat die Phantastik einen ihrer schillerndsten Vertreter verloren: Kreativ, provokant, hohe Ansprüche an sich und andere stellend und daher jederzeit dazu bereit, einen Streit vom Zaun zu brechen, wenn jemand diesen nicht genügte – aber ebenso bereit, anderen Chancen einzuräumen, damit diese ihr Potenzial umsetzen konnten. Harlan Ellison war als Persönlichkeit so facettenreich wie sein Werk.

Geboren 1934 in Ohio, begann Ellison in den frühen 1960er Jahren eine Karriere als Drehbuchautor, die es ihm auch ermöglichte, sich der Schriftstellerei zu widmen. Unter anderem arbeitete er für "Star Trek" ("Griff in die Geschichte" aus der ersten Staffel gilt als eine der besten Folgen der ganzen Serie), "Solo für O.N.C.E.L." oder "The Outer Limits", in den 1990ern auch als Berater für "Babylon 5". Über Serien wie diese dürften mehr deutschsprachige Science-Fiction-Fans mit Ellisons Werk in Berührung gekommen sein, als sie ahnen.

"Pay the writer!": Harlan Ellison in seinem Element.
Nicholas Horton

Als Autor war Ellison hierzulande nämlich kaum bekannt: Zum einen, weil sein Werk hauptsächlich Kurzgeschichten umfasste, und die werden weit seltener ins Deutsche übersetzt als Romane. Und zum anderen, weil Harlan Ellison im deutschsprachigen Raum als Person nicht präsent war. In den USA hingegen war der Autor, der sich nie ein Blatt vor den Mund nahm, ein gerne gesehener Interviewpartner und Redner – kurz: seine eigene Marke.

Harlan Ellison war einer der wichtigsten Vertreter der sogenannten New Wave, die ab den späten 1960ern die Science Fiction grundlegend veränderte: Nun ging es nicht mehr darum, mit immer besserer Technologie immer schneller immer weiter zu kommen. Stattdessen wurden die Weiten der menschlichen Psyche, die Wirkmechanismen der Gesellschaft und nicht zuletzt die Möglichkeiten der Sprache erkundet.

Unbedingt lesenswert: Die einzige deutschsprachige Sammlung von Harlan Ellisons Erzählungen.
Foto: Heyne

Die daraus resultierende Vielfalt spiegelt sich in Ellisons Werk wider. Der erst vor vier Jahren auf Deutsch erschienene Erzählband "Ich muss schreien und habe keinen Mund" gibt einen guten Eindruck davon: Enthalten sind unter anderem die berührende Geschichte "Jeffty ist fünf" um einen Jungen, der nicht älter wird, und die Gesellschaftssatire "'Bereue, Harlekin!', sagte der Ticktackmann". Beide gehören im englischsprachigen Raum zu den bekanntesten SF-Erzählungen überhaupt und könnten doch unterschiedlicher kaum sein.

Ebenfalls kann man darin das postapokalyptische "Ein Junge und sein Hund", das 1975 mit Don Johnson verfilmt wurde ("In der Gewalt der Unterirdischen"), und die Titelgeschichte nachlesen, die in den 1990ern zur Vorlage des Computerspiels "I Have No Mouth, and I Must Scream" wurde: zwei weitere Gelegenheiten, bei denen hiesige SF-Fans indirekt mit Ellison in Berührung kamen, ohne es zu wissen.

"Dangerous Visions"

Große Bedeutung hatte Harlan Ellison aber nicht nur als Autor, sondern auch als Herausgeber. Eine besondere Rolle spielt dabei die 1967 erschienene Anthologie "Dangerous Visions", die der New-Wave-Strömung endgültig den Weg ebnete. Beteiligt waren daran nicht nur längst arrivierte Autoren wie Isaac Asimov oder Frederik Pohl, sondern auch viele, die bald zu den Hauptvertretern der neuen Bewegung zählen sollten: ob J. G. Ballard, John Brunner, Norman Spinrad oder Samuel R. Delany.

Auf diese bahnbrechende Anthologie folgte 1972 "Again, Dangerous Visions" ... und leider nie das eigentlich auch geplante "The Last Dangerous Visions". Dessen jahrzehntelanges Nichterscheinen wurde in der Science-Fiction-Gemeinde allmählich zu einer ähnlichen Legende wie Ellisons Streit mit Frank Sinatra, seine Abrechnung mit dem Film- und TV-Business oder die Anekdote, dass er seinem Literatur-Professor jahrelang alle seine Veröffentlichungen zusandte: Der soll ihn nämlich für unbegabt gehalten haben – mit (natürlich) einem heftigen Streit und dem Rausschmiss von der Uni als Folge. Autor Nat Segaloff betitelte seine vor einem Jahr erschienene Ellison-Biografie bezeichnenderweise mit "A Lit Fuse", also "eine brennende Zündschnur".

Unter den vielen Trauerbekundungen aus der Phantastik-Szene über den Verlust eines ihrer Großen hat Stephen King vielleicht die treffendsten Worte gefunden: "If there's an afterlife, Harlan is already kicking ass and taking down names." (jdo, 2. 7. 2018)