Angela Merkel und Horts Seehofer bei der Fraktionssitzung der CDU/CSU Fraktion im Bundestag am Dienstag.

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Einen kleinen Hinweis darauf, wie sie sich künftig die Zusammenarbeit zwischen CDU und CSU vorstelle, wollte sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag nicht verkneifen. Sie hoffe, dass man jetzt "eine ruhige Arbeitsmethode" an den Tag lege, sagte sie vor der CDU-Fraktion im Bundestag.

Dafür gab es spontanen Applaus. CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer, der auch gekommen war, erhielt hingegen keinen Beifall. So mancher in der Fraktion hatte schon nicht mehr damit gerechnet, ihn dort zu sehen. Schließlich war Seehofer nur einige Millimeter vor dem Rücktritt gestanden. Doch dann rettete ihn der Kompromiss mit Merkel.

Dieser sieht Transitzentren an der österreichisch-deutschen Grenze für Flüchtlinge vor, die schon in einem anderen EU-Staat registriert worden sind, aber nach Deutschland einreisen wollen. Wo genau die Zentren in Bayern stehen und wie sie aussehen werden, ist noch unklar.

"Flughafenverfahren"

Orientieren will man sich dabei am sogenannten "Flughafenverfahren". Diese Sonderregelung im Asylrecht wird an den Airports Berlin-Schönefeld, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg und München praktiziert. Die Besonderheit: Betroffene kommen in einen Transitbereich und betreten quasi die Bundesrepublik Deutschland gar nicht. Das Verfahren läuft dann nach dem "Unverzüglichkeitsgrundsatz".

Das bedeutet: Antrag auf Asyl, positiver Bescheid oder Ablehnung – und im zweiten Falle Berufung erfolgen sehr rasch. "Damit hat das Flughafenverfahren eine mögliche Gesamtdauer von 19 Tagen", heißt es im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). In dieser Zeit müssen die Flüchtlinge im Transitbereich bleiben.

"Transitzentren sind CSU pur", freute sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Dienstag nach der Einigung. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich aufgeschlossen und meinte, diese Zentren seien wohl mit EU-Recht vereinbar. Dennoch hat er den juristischen Dienst der Kommission um eine Analyse gebeten.

Doch es gibt durchaus Zweifel an der Rechtmäßigkeit solcher Einrichtungen. Dabei geht es um die Frage, ob jemand, der gleich in ein Transitzentrum gebracht wird, Deutschland nun betreten hat oder sich quasi auf exterritorialem Gebiet befindet. Juristen nennen dies die "Fiktion der Nichteinreise".

"Faktische Einreise"

In CDU/CSU ist man offenbar der Meinung, der Betreffende sei zwar körperlich anwesend, habe die Bundesrepublik aber nicht betreten. Staatsrechtler Joachim Wieland von der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer verweist im Handelsblatt hingegen darauf, dass eine Nicht-Einreise zwar am Flughafen "augenfällig ist".

In Transitzentren im Landesinneren müsse jedoch von einer "faktischen Einreise" ausgegangen werden. Dann aber stehe den Betroffenen ein reguläres Asylverfahren zu. "Das kann nicht durch eine gesetzliche Fiktion ausgehebelt werden, sondern setzt eine Grundgesetzänderung voraus", sagt Wieland.

Der Münchner Asylrechtsexperte Franz Bethäuser argumentiert ebenso: "Man kann mit Transitzonen das Dublin-Verfahren nicht einfach aushebeln." Die Betroffenen müssten angehört werden und könnten gelten machen, "warum sie nicht mehr nach Italien oder anderswohin wollen", etwa aus Gründen der Familienzusammenführung. Danach müsse das betreffende Land zustimmen, den Asylbewerber zurückzunehmen. Die Prüfung könne mehrere Monate dauern.

Kneissl zweifelt

Auch Außenministerin Karin Kneissl (FP) hat Zweifel an der juristischen Haltbarkeit: "Wer sich auf deutschem Staatsgebiet befindet, ist dort." Doch jetzt muss Seehofer ohnehin erst einmal darlegen, wie genau er sich das mit den Transitzentren vorstellt.

Und dann braucht es ja die Zustimmung des Koalitionspartners SPD zu den Transitzentren. 2015, als "Transitzonen" an der Grenze im Gespräch waren, lehnte der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel diese als "Haftzonen" ab.

Allerdings erklärte er nun, als einfacher Abgeordneter in der SPD-Fraktion, dass sich die Voraussetzungen geändert hätten. 2015 seien pro Tag 3000 bis 5000 Flüchtlinge gekommen. "Wir haben damals gesagt, wir wollen hier keine Stadien füllen und Leute festhalten. Wir reden heute über völlig andere Größenordnungen."

"Expresszentren"

Auch SPD- und Fraktionschefin Andrea Nahles sowie Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) lehnen die Zentren nicht kategorisch ab. Sie wollen von Seehofer Details und sich nicht zur raschen Zustimmung drängen lassen, es gebe noch "erheblichen Beratungsbedarf". Schließlich habe die Union lang gebraucht, um sich zu einigen, heißt es in der SPD-Fraktion. Einen neuen Namen möchte man auch. Im Gespräch ist "Expresszentren".

Eine Gruppe um Juso-Chef Kevin Kühnert lehnt die Zentren allerdings klar ab. Die SPD habe sich gegen geschlossene Zentren ausgesprochen. "Und deswegen erwarte ich jetzt auch ganz klar, dass wir da auch nicht einfach einknicken", sagt Kühnert. SPD-Vize Ralf Stegner ist ebenfalls gegen verschlossene Türen.

Der Koalitionsausschuss vertagte am Dienstagabend seine Beratungen über den Migrationskompromiss der Union. Die Gespräche endeten nach etwa zweieinhalb Stunden ohne Beschlüsse. Nahles sagte nach dem Treffen, die Runde habe in der gesamten Themenbreite Fortschritte erreicht.

Seehofer sieht übrigens keine geschlossenen Zentren und sagt: "Wir sperren die Leute nicht ein. Sie können frei nach Österreich im Zweifel zurückkehren. Aber sie können eben nicht einreisen." In seinem Ministerium widerspricht man auch Vorwürfen aus Österreich, Wien werde nicht eingebunden: "Mit der Republik Österreich werden bereits ranghohe Telefonate geführt", sagte eine Sprecherin zum STANDARD. (Birgit Baumann, 4.7.2018)