Seit Mittwoch stehen Mitglieder und Sympathisanten der rechtsextremen Identitären in Graz vor Gericht.

APA/Stringer/APA-Pool

Ein Großteil der Angeklagten soll bereits 2012 an der Gründung des "Vereins zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität" beteiligt gewesen sein.

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Graz – Der Prozess gegen 17 Anhänger der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) im Grazer Straflandesgericht begann mit dem mehr als eine Stunde dauernden Eröffnungsplädoyer des Staatsanwalts: Es gehe bei allen 17 Beschuldigten um den Vorwurf der kriminellen Vereinigung nach Paragraf 278 des Strafgesetzesbuches. Zudem sind Verhetzung, Sachbeschädigungen und eine Nötigung angeklagt.

Der Staatsanwalt leitete mit einem kurzen geschichtlichen Abriss der Entstehung der IBÖ ein und betonte dabei aber stets, dass abgesehen von Stammtischen und Aktionen auch ein reger Merchandising-Betrieb aufgezogen wurde. Besonders ab 2015 sei es zu erhöhten Einnahmen und Umsatzsteigerungen gekommen, wobei die finanzielle Gebarung in einem eigenen Verfahren behandelt werde.

"In verhetzerisches Milieu" eingetaucht

Neben den medial bekannten Aktionen auf dem Dach der Parteizentrale der Grünen in Graz, auf dem Dach der türkischen Botschaft in Wien oder in der Uni Klagenfurt sei die IBÖ laut dem Ankläger schon von Anfang an mit Aktionen "in verhetzerisches Milieu" eingetaucht. Ab 2016 seien die Aktionen, die "zum Hass gegen bestimmte Gruppen aufstacheln", intensiviert worden. Die IBÖ wolle mit Absicht Menschen wie Ausländer, Muslime und Flüchtlinge verletzten, sie beschimpfen und in der öffentlichen Meinung herabsetzen, so der Staatsanwalt.

"Die Identitären sind gut organisiert", sagte der Ankläger. Er sprach von einer "fast militärisch strengen hierarchischen Ordnung" – der Bundesleitung, die von Landesleitungen und Bezirksleiter gefolgt wird. Organisiert sei die IBÖ auch in Medien wie etwa Youtube: "Durch ständiges Präsentieren wird immer mehr aufgestachelt." Das wiederum kurble den Umsatz des Merchandise-Vertriebs an. Der Staatsanwalt sprach von sechsstelligen Eurobeträgen, die pro Jahr eingenommen werden.

Der Staatsanwalt schilderte neben den bekannten Aktionen auch andere Fälle: In der Oststeiermark wurde auf die Tür eines Gastlokals zweier türkischstämmiger Familien, die teilweise seit 20 Jahren in Österreich leben, Plakate mit IBÖ-Parolen geklebt: "Die Leute haben nichts getan, arbeiten, zahlen Steuern. Wo kann man die Plakate kaufen? Im Shop von Martin Sellner und Patrick Lenart." Die beiden Angeklagten gelten als die Bundesleitung der IBÖ.

Staatsanwaltschaft spricht von "Hetze"

Der Staatsanwalt kritisierte: "Es wird schon viel zu lange weggeschaut von solcher Hetze," aber wo die Politik versage, komme der Rechtsstaat. Am Ende seines Plädoyers richtete er seine Worte direkt an die Beschuldigten: "Die Frage der Zuwanderung kann nicht durch Hetze gelöst werden." Die Übung in Spielfeld vergangene Woche komme zwar drei Jahre zu spät, "aber das ist keine Begründung für Hetze", mahnte der Ankläger und sagte weiter zu den Männer und einer Frau auf der Anklagebank: "Das Problem der Zuwanderung lösen Sie nicht, dafür sind Sie zu faul, Sie kurbeln nur ihr Geschäft an, der Profit fließt in die OG (das Merchandise-Unternehmen der IBÖ, Anm.)."

"Ihre Motivation ist auf Hass ausgerichtet", stellte der Staatsanwalt fest. "Sie können in Österreich links, links-links, rechts, östlich oder westlich sein, das ist egal, aber Sie dürfen nicht hetzen."

Leichte Verspätung

Der Prozess hat am Mittwoch im Grazer Straflandesgericht mit leichter Verspätung begonnen. Die Verhandlung ist für mehrere Wochen anberaumt.

Am ersten Prozesstag sind die Klärung der Generalien sowie die Eröffnungsplädoyers des Staatsanwalts sowie des Verteidigers geplant. Möglicherweise werden auch schon die ersten Beschuldigten gehört. Zehn der Verdächtigen sind Studenten, einer geht noch zur Schule, andere sind berufstätig, etwa als Maurer oder Schlosser. Sie sind alle im Alter von 20 bis 35 Jahren und stammen aus beinahe allen Bundesländern Österreichs.

Prozess auf zumindest 19 Tage anberaumt

Ein Großteil von ihnen soll bereits 2012 an der Gründung des "Vereins zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität" beteiligt gewesen sein. Angeklagt ist nun unter anderem die Verbreitung von "radikaler, fremden- und islamfeindlicher Ideologie", der Verkauf von Propagandamaterial über das Internet und den eigens dafür eingerichteten Versandhandel. Weiters wurde das Vorantreiben der Schaffung einer gesamteuropäischen Identitären Bewegung durch die laufende Zusammenarbeit mit Vertretern der in Deutschland, Frankreich, Schweiz und Italien tätigen Bewegungen aufgelistet.

Der Prozess wurde auf zumindest 19 Tage anberaumt und findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Ob es Ende Juli bereits ein Urteil geben wird, hängt auch davon ab, ob – trotz Urlaubszeit – alle Zeugen verfügbar sein werden.

Wenig zu tun für Polizei

Der Andrang beim Auftakt am Mittwoch war im Vergleich zu den Prozessen gegen Jihadisten und den Amokfahrer mäßig, die Polizei war mit knapp 20 Kräften präsent, aber nicht gefordert. Ein Prozessbesucher schien zum Auftakt wenig Spannung zu erwarten – er hatte einen Mickey-Spillane-Krimi dabei.

Vor dem Gerichtsgebäude in der Conrad-von-Hötzendorf-Straße waren keinerlei Sperrgitter oder Zugangsräume aufgebaut. Die Schlange vor der ersten Sicherheitskontrolle umfasste nie mehr als 20 Personen, darunter allerdings auch Besucher beziehungsweise Beschuldigte in anderen Prozessen im Straflandesgericht. Auffällig war, dass die Verhandlung ein recht junges Publikum – zwischen 20 und 30 Jahren – anlockte.

In der Schlange vor der zweiten Sicherheitskontrolle vor dem Großen Schwurgerichtssaal warteten auch die Beschuldigten – sie wurden fünf Minuten vor Prozessbeginn um 9.00 Uhr aufgerufen, vorzugehen und ihre Mobiltelefone abzugeben. Vor dem Eingang zum Saal waren einige Polizisten der Einsatzeinheit Steiermark bzw. der Sektorstreife Graz in Kampfanzügen und mit Schutzhelmen – am Gürtel getragen – postiert. Die schärferen Sicherheitsmaßnahmen waren eher elektronischer Natur – im Umkreis von rund zehn Metern um den Saal funktionierten keine mobilen Übertragungen per Tablet oder Smartphone.

Rund 40 Journalisten akkreditiert

Eine Minute vor 9.00 Uhr hatte dann der Letzte der Beschuldigten – einige waren im Trachtenjanker erschienen – Platz genommen. Wenig später begann der Vorsitzende die Verhandlung in dem nicht voll besetzten Saal.

Rund 40 Journalisten, Fotografen und Kameraleute ausschließlich österreichischer Medien waren akkreditiert, allerdings sind auch nicht alle zum Auftakt erschienen.

Verteidiger nannte Vorwurf der Hetze "daneben"

Der Verteidiger der 17 Angeklagten im Grazer Identitären-Prozess am Straflandesgericht hat am Dienstag die Vorhaltungen der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen: "Die Vorwürfe der Hetze sind völlig daneben." Zum Ende der Ausführungen der Verteidigung wurden Videoaufnahmen gezeigt, die die IBÖ von ihren Aktionen selbst angefertigt hatte.

Der Verteidiger betonte in seinen Ausführungen zu Beginn das "hohe Gut der Meinungsfreiheit". "Sie verfolgen auch Islamisten", sagte er zum Staatsanwaltschaft, "aber ich verstehe es nicht, dass ein Pickerl am Kebap-Laden das Einzige ist, wo es konkret um Muslime geht, und das ordnen Sie der Identitären Bewegung zu. Wer es gepickt hat, wissen Sie nicht." Es beginne mit der Identitären-Aktion auf dem Dach der Grünen, sagte der Advokat: "Warum das gewählt wurde, war für jedermann nachvollziehbar. Die Grünen sind nicht schuld an den offenen Grenzen, aber die Grüne Jugend hat sich in Internet für offene Grenzen starkgemacht´." Dies sei wenigstens ehrlicher als das "Herumgeeiere" in der Politik, sagte der Anwalt.

Verweis auf Papst

Die Identitäre Bewegung (IB) sei anderer Meinung, deshalb habe man ein Transparent geschrieben mit dem Text "Islamisierung tötet". Deswegen zu unterstellen, jeder Muslim müsse ein Mörder sein, sei eine Verdrehung der Fakten. Die Formulierung sei eine Chiffre wie andere auch, selbst der Papst habe geschrieben "Wirtschaft tötet". Die IBÖ würde ihre Meinung nach außen tragen, "erfolgreich und gut, mit modernen Medien, no na, das ist zulässige Kritik. Auch Christianisierung tötet, könnte man sagen, man braucht nur nach Südamerika zu blicken, vor ein paar Hundert Jahren, aber deshalb ist nicht jeder Christ gleich ein Mörder", führte der Anwalt aus.

Die Beschuldigten seien aus der Mitte der Gesellschaft, "EDV-Techniker, Studenten, Arbeitslose, Handwerker", beschrieb der Verteidiger seine Klienten. Einer der jungen Männer aus Voitsberg habe ihm gesagt, "Heimat und Tradition, das ist das Richtige für ihn. Andere hatten intellektuelle Zugänge, andere wollten nicht, dass ihre Kinder in einer muslimisch dominierten Gesellschaft aufwachsen. Da kann man sagen, ja, ein paar Spinner sind auch dabei, aber um Gottes Willen, das ist doch zulässig". Manche hätten Angst vor Terroranschlägen, vor diesen Dingen dürfe man auch aktionistisch warnen, ohne dass einem unterstellt werde, zum Hass aufrufen.

Kritik an Erdoğan

Von dem vom Dach des türkischen Generalkonsulats in Wien ausgerollten Transparent "Erdogan, hol deine Türken ham" wurde behauptet, es richte sich pauschal gegen alle Türken, sagte der Anwalt: "Das ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, auch nicht, dass Martin Sellner faul und gierig ist, er hat sich ja gewundert, dass ihn der türkische Geheimdienst nicht vom Dach geballert hat. Die Kritik sei einwandfrei gegen den türkischen Staatschef Recep Tayip Erdoğan gerichtet gewesen, Kritik, die in ähnlicher Form auch von der Politik wie etwa Kanzler Sebastian Kurz geäußert werde. "Der Vorwurf der Hetze ist völlig daneben", behauptete der Verteidiger.

Alle diese Verhetzungsvorwürfe seien an den Haaren herbeigezogen, man wolle der IBÖ einen Strick drehen und sie mundtot machen. "Ich verstehe nicht, wie diese drei Positionen durch die Judikatur gehen konnten", sagte der Anwalt. Bezüglich des Anklagepunkts Sachbeschädigung könne er nur den Kopf schütteln. Dieser Punkt sei offenbar nur dabei, weil man sich des Tatbestands der Verhetzung nicht sicher sei. Diese Pickerl hatten viele, führte der Anwalt aus, aber man rechne das einfach den Identitären zu. Das Gleiche gelte für bei Durchsuchungen gefundene Lack und Sprühkreide: "Da müssten Sie auch kleine Mädchen, die mit den Kreidemarkierungen Himmel und Hölle gespielt haben, beschuldigen, eine kriminelle Vereinigung zu sein."

Mundtot machen

Mit einem Sachschaden von rund 300 Euro durch die Kreidemarkierungen führe man das Gesetz ad absurdum. "Aber es geht ja um etwas anderes, um mundtot machen, finanziell ruinieren. Warum das so ist? Bei der IB schlägt der Staat zu, das ist ihm zu obskur und zu unbequem, das gehört abgedreht." Hier werde mit Kanonen auf Spatzen zu schießen versucht, schloss der Verteidiger, er hoffe, dass das nicht passiere.

Anschließend wurden die vom IBÖ bzw. von Privatleuten gemachten Videos von den Aktionen auf dem Dach der Grünen Hauses in Graz und der türkischen Vertretung in Wien und an der Uni Klagenfurt gezeigt. Die Videos waren mit schnellen Schnitten gestaltet und mit fetziger elektronischer Musik unterlegt. Tenor: "Grüne und SPÖ sind Schuld am Terror, die haben ihn importiert, und heute kommen wir zu ihrer Parteizentrale." Die Bilder zeigen das Erklettern des Daches und das Abbrennen von bengalischen Feuern mit Gebrüll.

Die Störung einer Lehrveranstaltung an der Uni Klagenfurt durch einen IBÖ-Trupp mit Transparent und Megafon wurde damit gerechtfertigt, dass "diese Veranstaltung eine ist, die Zuwanderung nicht nur unterstützt, sondern auch fordert". Nach einer Schreckminute wurden die Aktivisten ausgebuht, eine Studentin mit Kopftuch konfrontiert den Rädelsführer: "Sie stören eine Lehrveranstaltung", worauf dieser merklich an Selbstsicherheit verliert. Bei den Angeklagten im Saal lösten die Bilder teilweise Kopfschütteln aus. Manche rückten auf ihren Sesseln hin und her, einer grinste, andere blickten zu Boden.

Auch Sellner verteidigt sich

Der Richter begann am späten Vormittag mit der Befragung von Identitären-Österreich-Mitbegründer Martin Sellner. Dieser sagte, er habe 2012 die IBÖ mit u. a. Patrick Lenart ins Leben gerufen. Sie hätten die Besetzung der Baustelle einer Moschee in Frankreich gesehen, und die Aktion habe ihnen gefallen. Die IBÖ habe laut Sellner immer betont "gewaltfrei gehandelt". Eine patriotische NGO habe zu dem Zeitpunkt in Österreich gefehlt, sagte Sellner.

Auf die Frage des Richters, welche Grundideen und Werte man habe, hieß es: "Patriotische Positionen in die Gesellschaft tragen, ein gesunder Bezug zum Eigenen, ohne dabei Fremdes zu verachten." Es gehe darum, die Haltung "Heimat, Freiheit, Tradition" friedlich zum Ausdruck zu bringen. Es sei um die Gründung einer NGO nach dem Vorbild von Greenpeace gegangen. Die Vereinsgründung sei erfolgt, um etwa Kundgebungen anzumelden und ein Zentrum in der Grazer Schönaugasse zu unterhalten.

2015 habe sich die Debatte über die Islamisierung zugespitzt, zuvor schon habe es eine konzeptlose Einwanderungspolitik und "keine offene und freie Debatte über diese Frage gegeben, sagte Sellner zu den Bewegungsgründen seines Handelns. Eine Bedrohung durch den radikalen Islam gebe es in Österreich "Gott sei Dank" nicht, sagte Sellner auf Nachfragen des Richters. Es gehe darum, durch Bewusstmachung eine solche zu verhindern. "Dann verliert man Bankkonten und bekommt das Auto angezündet, wird dämonisiert und kriminalisiert. Von uns ist nie Gewalt ausgegangen, unsere Überlegung war, wie man die Debatte starten kann. Da haben wir uns an Aktionsformen der Linken orientiert, wie Greenpeace. In Schulungen wurde immer betont, keine Menschengruppen angreifen, keine Sachbeschädigungen und Vandalismus zu begehen", sagte Sellner.

300 aktive Mitglieder

Die Nutzung medialer Kanäle sei unter dem Motto "pics make it happen" erfolgt. Der Richter sprach Sellner auf seinen Kontakt zu rechtsradikalen Personen wie etwa Gottfried Küssel an, mit dem er auf einem Foto zu sehen ist. "Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich in meiner Jugend in diesen Kreisen war, aber ich habe mich davon gelöst", beteuerte Sellner. "Aber das Foto stammt von 2010 oder 2011. Das ist knapp vor der Gründung der IBÖ", warf der Richter ein. Sellner blieb dabei, dass er nun nichts mehr damit zu tun habe. Der IBÖ-Chef schilderte, dass die Bewegung derzeit rund 300 aktive Mitglieder hat, die sich auch schon an Aktionen beteiligt oder Flugzettel verteilt hätten.

Hunderte Spender würden hinzukommen. Sellner sprach außerdem von geschätzt 10.000 bis 20.000 Sympathisanten. Anschließend ging der Richter auf einzelne Aktionen ein und begann mit jener auf dem Dach der Parteizentrale der Grünen Steiermark. Er fragte Sellner, der selbst daran beteiligt war, nach seiner Motivation: "Wir wollten die Politik der offenen Grenzen kritisieren." Die Grünen seien dafür eingestanden, und daher habe man ihr Haus gewählt.

Dass ursprünglich die in Bau befindliche Moschee des Islamischen Kulturzentrums besetzt werden sollte, sei falsch, so der Angeklagte. Das habe zwar ein gewisser "Sandro" – dieser soll ein in die IBÖ eingeschleuster Informant des Abwehramts sein – vorgeschlagen, doch man sei nicht auf ihn hineingefallen, schilderte Sellner. Mit der medial bekannt gewordenen Schweinekopf-Aktion vom Mai 2012 habe die IBÖ nichts zu tun: "Das war uns zu primitiv, und man kann damit Menschen in ihrer religiösen Würde herabsetzen", sagte der Wiener Student zum Richter. Gefragt nach der Bedeutung von Islamisierung, meinte Sellner, dass er darunter die "Ausbreitung eines politischen, radikalen Islam" verstehe. (red, APA, 4.7.2018)