In der britischen Stadt Amesbury wurden zwei Personen aufgefunden, die offenbar vergiftet wurden. Sie sollen ähnliche Symptome aufweisen wie der russische Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter Julia vor einigen Wochen.

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Polizisten auf dem Spielplatz in Amesbury, der neben vier anderen Plätzen weiträumig abgesperrt wurde.

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London – Ein in Südengland lebensbedrohlich erkranktes Paar ist durch den Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden. Bei den Vergiftungsfällen in Großbritannien ist nach Angaben der Polizei das Nervengift Nowitschok nachgewiesen worden. Dies zeigten Untersuchungen des Militärforschungszentrums Porton Down, sagte der Leiter der britischen Antiterrorbehörde, Neil Basu, am späten Mittwochabend. Es lägen keine Hinweise darauf vor, dass die beiden schwer erkrankten Opfer gezielt ins Visier genommen worden seien.

Die britische Regierung forderte die Regierung in Moskau am Donnerstag auf, Details über den Einsatz des Nervengiftes gegen den früheren Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter im März zu übermitteln.

Sicherheitsminister Ben Wallace sagte der BBC, die Russen könnten einige der Wissenslücken schließen, an denen die Behörden arbeiteten: "Die Russen können alle Hinweise ergänzen, um die Sicherheit der Menschen zu bewahren."

Die russische Botschaft in den Niederlanden erklärte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, die Briten hielten Russland für "dumm", wenn sie annähmen, dass Russland das Nervengift während der Fußball-WM einsetze.

Die lebensbedrohliche Vergiftung vier Monate nach dem Anschlag auf die Skripals geht einem Bericht zufolge womöglich auf denselben kontaminierten Gegenstand zurück. Das im Fall Skripal verwendete Behältnis für den Kampfstoff Nowitschok könnte ungewollt auch die nun erkrankten Briten in Lebensgefahr gebracht haben, berichtete die Nachrichtenagentur Press Association in der Nacht auf Donnerstag.

Statt eines zweiten Anschlags prüfen die Ermittler auch den Verdacht einer solchen Kreuzkontamination, schrieb die Nachrichtenagentur unter Berufung auf eine ranghohe Regierungsquelle.

Jahrelang wirksam

"Das beim Anschlag auf die Skripals verwendete Nowitschok war sehr rein – und das erhöht die Lagerfähigkeit", sagte der Chemiewaffenexperte Ralf Trapp der Deutschen Presse-Agentur. Die bei den Skripals verwendete Substanz war Trapp zufolge ein hochgereinigter Kampfstoff aus einem Labor, der noch viele Jahre wirksam sein könnte. Daher sei es durchaus denkbar, dass im neuen Fall das Paar etwa mit Nowitschok-Resten an einem Transportgefäß unabsichtlich in Berührung gekommen sei.

"Bisher ist das aber nur ein Szenario. Es fehlen noch Fakten", betonte der Toxikologe und Chemiker, der als unabhängiger Berater unter anderem für die Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) und die Vereinten Nationen arbeitete.

Krisensitzung des Sicherheitsrates

Bei den Opfern handelt es sich nach Polizeiangaben um einen 45-Jährigen und eine 44-Jährige aus der Region. Zunächst sei die Frau, die im südenglischen Salisbury lebt, am Samstag kollabiert, später mussten die Ärzte auch den Mann ins Krankenhaus bringen. Die beiden liegen in derselben Klinik in Salisbury wie damals der ehemalige russische Doppelagent Sergej Skripal (67) und seine Tochter Julia (33).

Der Sicherheitsrat der Regierung, das sogenannte Cobra-Komitee, tritt am Donnerstag zu einer Krisensitzung zusammen. Wissenschafter müssten auch klären, ob das Gift mit jener Substanz identisch sei, die bei den Skripals verwendet worden war. Unter dem Begriff Nowitschok wird eine ganze Gruppe eines bestimmten Nervengifts zusammengefasst. "Die Möglichkeit, dass diese beiden Fälle miteinander verbunden sein könnten, ist für uns eindeutig eine Frage, der wir nachgehen", sagte Basu.

Auslöser einer internationalen Krise

Im vergangenen März waren Teile der Innenstadt von Salisbury abgeriegelt worden, nachdem die Skripals mit dem Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden waren. Sie saßen bewusstlos auf einer Parkbank. London bezichtigte Moskau als Drahtzieher der Tat.

Nowitschok war in der früheren Sowjetunion hergestellt worden. Das Attentat löste eine schwere internationale Krise aus. Zahlreiche westliche Staaten, auch Deutschland, wiesen dutzende russische Diplomaten aus. Moskau reagierte mit ähnlichen Maßnahmen. Die Skripals leben inzwischen an einem unbekannten Ort.

"Wohnort des Paares vorsichtshalber abgesperrt"

Nach dem jüngsten Vorfall wurden einige Bereiche in Salisbury und in dem Wohnort des Paares, Amesbury, rund 13 Kilometer weiter nördlich vorsichtshalber abgesperrt. Die Gesundheitsbehörde ging nicht von einer "bedeutenden Gesundheitsgefährdung" für die Öffentlichkeit aus. Das Paar soll unter anderem eine Familienveranstaltung in einer Kirche besucht haben, bevor es am Samstagabend bewusstlos in seinem Wohnhaus entdeckt wurde.

Die Beamten seien zunächst davon ausgegangen, dass die beiden möglicherweise verunreinigtes Heroin oder Crack-Kokain eingenommen haben könnten und sich daher im kritischen Zustand befinden. (APA, red, 5.7.2018)