Wien – Der berühmte Lakota-Häuptling Sitting Bull starb 1890, wenige Jahre vor der Erfindung des Kinos. Es gibt nur ein paar historisch verbürgte Fotografien von ihm. Nun erzählt die britische Regisseurin Susanna White eine Geschichte von einem gemalten Porträt von Sitting Bull. Die Frau, die vorausgeht (Woman Walks Ahead), heißt mit bürgerlichem Namen Catherine Weldon. Sie verlässt ihre Heimatstadt New York und fährt ganz allein in eine Gegend, die damals noch – "jenseits des Missouri" – außerhalb der staatlichen Kontrolle lag.

"Die Frau, die vorausgeht" setzt bei Häuptling Sitting Bull eher auf Klischees.
Foto: Richard Foreman

Sitting Bull ist die charismatische Integrationsfigur der Ureinwohner, 1876 hat er der amerikanischen Armee unter General Custer am Little Big Horn noch einmal eine vernichtende Niederlage zugefügt. Allerdings ist in den 1880er-Jahren längst schon klar, dass die Hoffnungen auf ein freies Leben in unerschlossener Natur vergeblich sein werden. Wir sehen den großen Häuptling als Kartoffelbauer. Sein Volk hungert, weil korrupte Behörden die Sioux dazu zwingen wollen, just einem für sie ungünstigen Vertrag (einer Landzuteilung) zuzustimmen.

Trotz Verbots auf Reise

Catherine Weldon (mit der Schauspielerin Jessica Chastain wird die "whiteness" der Figur geradezu betont) begibt sich gegen das ausdrückliche Verbot durch die US-Soldaten zu den Lakota. Und sie schafft es tatsächlich, Sitting Bull zu Porträtsitzungen zu überreden. Das Malen des Bildes ist zugleich ein Akt der Anerkennung und ein Akt der Konstruktion: Sitting Bull erscheint im Anzug, dabei soll er doch im traditionellen Kostüm auftreten, also mit Federschmuck.

Trailer der deutschsprachigen Synchronfassung von "Die Frau, die vorausgeht".
TobisFilmclub

Das ist zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon Indianerfolklore. In dem Drehbuch von Steven Knight steckt aber ein Sinnbild: Denn die Malerei als bürgerliches Repräsentationsgenre ist selbst eine aussterbende Gattung. Catherine Weldon steht mit ihrem Starrsinn, dem großen Häuptling ein Denkmal bereiten zu wollen, für eine Trauerarbeit, die schon beginnt, bevor der Genozid an den Indianern 1890 mit einem letzten Massaker und mit der Erschießung von Sitting Bull endete.

Politisch korrekte Erzählung

Die Frau, die vorausgeht ist, wie eigentlich jeder Western, geprägt von den Anliegen der Gegenwart: Die politische Korrektheit ist das Maß dieser Erzählung. Catherine Weldon (im richtigen Leben kam sie als Vertreterin der National Indian Defence Association, heute würde man vielleicht sagen: Red Lives Matter) steht als Frau allein gegen die Gewalt- und Ausbeutungsherrschaft der weißen Männer, und sie findet in Häuptling Sitting Bull ein nobles Gegenüber.

Trailer der Originalversion "Woman Walks Ahead".
Woman Walks Ahead - Trailer

Der kanadisch-indigene Schauspieler Michael Greyeyes, der für die Rolle eigentlich deutlich zu jung wirkt, spielt Sitting Bull als Projektionsfläche für eine romantische Erotik, die zugleich eine kulturelle ist. Die Klischees vom "edlen Wilden" werden in Die Frau, die vorausgeht denn auch noch einmal durchgearbeitet. Und sie werden letztlich auch melancholisch bekräftigt.

So bleibt von diesem Film vor allem ein weiterer Paradiesesmythos, der durch die Zivilisation zerstört wird: Von dem, was Amerika verloren hat, während es "great" wurde, bleibt nur das, was weiße Außenseiter im Wilden Westen sehen wollten – und bis heute sehen wollen. (Bert Rebhandl, 5.7.2018)