Didaktiker Lutz-Helmut Schön über das Lernen in den Ferien: "Extra Kurse zu besuchen, halte ich für sehr übertrieben."

Universität Wien/Barbara Mair

STANDARD: Kaum ist die Schule aus, rennen viele Kinder zur Kinderuni. Wäre es nicht besser, wenn sie ihre Freizeit genießen und ihr Hirn auslüften würden?

Schön: Die Kinderuni ist eine Lernform, die so anders ist, dass es den allermeisten Kindern unheimlich Spaß macht, zuzuhören. Sie sind ja an den Fragen, die dort besprochen werden, interessiert – gerade auch die kleinen Kinder.

STANDARD: In den zwei Ferienmonaten: Wann und wo sollen sich Schüler auf das kommende Schuljahr vorbereiten?

Schön: Die Hauptvorbereitung besteht darin, Abstand zu gewinnen und spannende Ferienerlebnisse zu haben, mit anderen zusammen etwas zu unternehmen. Extra Kurse zu besuchen, halte ich für sehr übertrieben. Die Kinderuni ist etwas anderes, das ist im engeren Sinne keine Vorbereitung auf das nächste Schuljahr.

STANDARD: Wie alt sind die Kinder, die Ihre Vorlesung besuchen? Worauf gilt es da besonders zu achten?

Schön: Bei meiner Vorlesung zum Fliegen von großen, schweren Flugzeugen sind Kinder ab dem sechsten Lebensjahr sehr willkommen. Die sind hochmotiviert! Die Frage nämlich, warum Flugzeuge fliegen können, ist immer ein Favorit, nicht nur in dieser Altersgruppe – nur kommt das Thema im Physikunterricht nicht vor.

STANDARD: Physikunterricht für Sechsjährige?

Schön: Ja, Physik sollte Teil des Sachunterrichts sein. Später verliert sich der Physikunterricht bald in Formeln und Messungen – so die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler – und entfernt sich so von der Alltagswirklichkeit. In der Kinderuni und in Schülerlaboren versucht man hingegen, vom Konkreten auszugehen.

STANDARD: Wie kann das stärker in den Schulalltag integriert werden?

Schön: In den Zoo gehen, den botanischen Garten oder das Planetarium besuchen – mehr Exkursionen wären spannend. Für ältere Schülerinnen und Schüler sollte es die Möglichkeit geben, an der Uni eine einzelne Veranstaltung zu erleben, um ein bisschen näher an die Forschung ranzukommen. Es gibt heute Lehr-Lern-Labore an den Universitäten.

STANDARD: Auch an der Uni Wien?

Schön: Wir bauen unter der Federführung der Biologie- und der Informatikdidaktik ein Lehr-Lern-Labor in der Althanstraße auf. Das wird eine tolle Möglichkeit für Schulklassen, naturwissenschaftliche Themen zu erleben. Es wird jetzt gerade mit den Umbaumaßnahmen begonnen. Ich schätze, dass es im Frühjahr 2019 losgehen kann. Diese Lehr-Lern-Labore können sehr effektiv genutzt werden, vor allem sollen hier auch Lehramtsstudierende mit den Schülern arbeiten und die Möglichkeit haben, neue Ideen auszuprobieren.

STANDARD: Sie waren lange in der Lehrerbildung. Was braucht es zum guten Lehrer?

Schön: Mir ist immer am wichtigsten die Liebe zum Fach. Er muss ein überzeugter Anglist, sie überzeugte Naturwissenschafterin sein. Die Person muss lernen, wie man die Fachinhalte übersetzen kann für die Schüler, und ein Gespür dafür bekommen, wo und wann die Lernenden Verständnisprobleme haben können. Man muss so weit in sein Fach eindringen, dass man es wieder fast wie ein Schüler betrachten kann, gewissermaßen wie von außen.

STANDARD: Kommen die Richtigen?

Schön: Nicht nur. Es müssen ja immer zwei Fächer im Lehramt studiert werden. Meistens ist ein Fach jenes, wofür sie begeistert sind. Das andere läuft mit.

STANDARD: Es heißt immer, die Lehrpläne sind überfrachtet. Stimmt das?

Schön: Es ist tatsächlich zu viel. Ich bin ein Verfechter davon, etwas weniger, aber diese Dinge dann vertieft zu bearbeiten. Nicht an der Oberfläche zu bleiben. Ich bin überzeugt, dass auch eine 14-Jährige eine Idee davon bekommen kann, was in der Relativitätstheorie möglich ist. Das ist vermittelbar. Wenn wir aber bei dem klassischen Kanon bleiben, haben wir keine Zeit, punktuell in die Tiefe zu gehen.

STANDARD: Tendenziell interessieren sich Mädchen weniger für Naturwissenschaften. Was tun?

Schön: Wenn von konkreten, lebensnahen Problemen ausgehend Naturwissenschaft erklärt wird, dann sind Mädchen durchaus zu begeistern, das zeigen viele Studien. Ausgehend von einem konkreten Phänomen wie etwa dem Regenbogen, wenn man da schrittweise tiefer gräbt, da gehen die Mädchen eher mit. Biografische Themen, wie sind die Wissenschafter überhaupt zu diesem Wissen gekommen, wo gab es Schwierigkeiten – auch das interessiert sie mehr als das fertige Ergebnis.

STANDARD: Offenbar wird aber genau auf das "fertige Ergebnis" im Unterricht gesetzt?

Schön: Ja, überwiegend. Wenn man am mathematischen Ende angekommen ist, dann sind die meisten Physiklehrer zufrieden. Das ist schade.

STANDARD: Mancherorts, etwa in Großbritannien, gibt es das Fach "Science", wo Physik, Chemie und Biologie zusammengefasst werden. Eine gute Idee?

Schön: Ich glaube, in den unteren Klassen sollte man mit Science anfangen. Im mittleren Alter ist es wahrscheinlich einfacher, die Brille eines Faches aufzusetzen und sich Themen aus einer engeren Perspektive anzuschauen. Und in der Oberstufe sollte dann wieder der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Naturwissenschaften in den Vordergrund treten. Da könnte Science wieder spannend sein.

STANDARD: So, zum Abschluss: Warum fliegen tonnenschwere Flugzeuge wirklich?

Schön: Tja! Also die tonnenschweren Flugzeuge. Die fliegen, weil sie durch die besondere Form der Flügel Luft während des Fliegens dauernd nach unten drücken und ablenken. Dadurch werden sie in der Höhe gehalten. Sie müssen dafür mit großer Geschwindigkeit fliegen. Das ist ein bisschen wie beim Wasserskiläufer. Der geht auch nicht unter. Warum? Weil er mit viel Geschwindigkeit immer Wasser nach unten und zur Seite drängt. Auch bei der Luft entstehen an den Flügelenden riesige Wirbel, nur sieht man die nicht. (Peter Mayr, Karin Riss, 5.7.2018)