Im Juni 2018 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass es sich bei der Anerkennung des "Dritten Geschlechts" um ein Menschenrecht handelt: Das in der Europäischen Menschenrechtskonvention grundgelegte Recht auf Achtung des Privatlebens (Artikel 8) garantiert, dass Menschen nur solche Geschlechtsbezeichnungen akzeptieren müssen, die ihrer selbstempfundenen Geschlechtsidentität entsprechen.

Wie das Recht auf Menschen reagiert, die nach herrschenden Geschlechtervorstellungen weder weiblich noch männlich sind, ist freilich nicht bloß eine Frage des 21. Jahrhunderts. Intergeschlechtliche Menschen hat es zu allen Zeiten gegeben. Je unterschiedlicher das jeweils geltende Recht die Rechte und Pflichten von Frauen und Männern ausgestaltete, umso bedeutsamer war die rechtliche Zuordnung zu einem bestimmten Geschlecht. Ob Intergeschlechtliche als weiblich, als männlich oder als eigene Kategorie galten, wurde damit zu einer wichtigen Frage.

Hermaphroditen im römischen Recht

Im römischen Recht waren Frauen deutlich schlechter gestellt als Männer. Sie konnten zum Beispiel nicht die Position des pater familias, also des Familienoberhaupts, bekleiden und waren somit von der gesetzlichen Vertretung ihrer eigenen Kinder (selbst der unehelichen) ausgeschlossen. Außerdem waren sie nicht als Zeuginnen bei förmlichen Rechtsgeschäften zugelassen, wozu etwa die Errichtung eines Testaments zählte. Ob eine Person als Frau oder als Mann galt, hatte folglich erheblichen Einfluss auf die jeweilige Rechtsposition. Römische Juristen setzten sich daher auch mit der Rechtsstellung intergeschlechtlicher Menschen auseinander, die sie mit dem aus dem Griechischen entlehnten Begriff hermaphroditus bezeichneten. Hermaphroditos war in der griechischen Mythologie das Kind des Götterboten Hermes und der Liebesgöttin Aphrodite, ein zweigeschlechtliches Wesen, das als Jüngling mit langem Haar und weiblichen Brüsten dargestellt wurde. Die klassischen römischen Juristen entwickelten verschiedene Zuordnungsregelungen: Ein Hermaphrodit sollte jenem Geschlecht gleichgestellt werden, "das bei ihm überwiegt" (Dig. 1, 5, 10 Ulpianus libro 1. ad Sabinum) oder "dessen Begierden sich ihn ihm regen" (Dig. 22, 5, 15, 1 Paulus libro 3. sententiarium).

Statue des Hermaphroditus in der Londoner Lady Lever Art Gallery.
Foto: Public Domain

Älteres deutsches Recht

Umstritten ist, ob auch die mittelalterlichen Rechtsquellen des deutschen Sprachraums Regelungen zur Rechtsstellung von intergeschlechtlichen Menschen kannten. Als wichtigstes deutsches Rechtsbuch des späteren Mittelalters gilt der Sachsenspiegel, in dem um 1220 Eike von Repgow das überlieferte Recht niederschrieb und der in Teilen bis ins 19. Jahrhundert in Geltung blieb. In seinem Landrechtsteil widmete sich der Sachsenspiegel vor allem den bäuerlichen Rechtsverhältnissen, der Lehnrechtsteil gab die Rechtsgewohnheiten hinsichtlich der Verhältnisse der Feudalherren untereinander wieder. Einige Handschriften des Sachsenspiegels enthielten eine Passage, deren Bedeutung nicht ganz geklärt ist und die sogenannte "altvile" vom Lehensrecht wie auch vom Erbrecht ausschloss. Einige Rechtshistoriker übersetzten "altvil" mit "allzuviel": Die Rechtsstelle bezöge sich folglich auf jene, die „zuviel“ an menschlichen Gliedern hätten – nämlich weibliche und männliche. Die Vorschrift wurde als Aussage über die Rechtsstellung von intergeschlechtlichen Menschen verstanden. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gilt diese Vorstellung als überholt. "altvile" bezeichne nicht Intergeschlechtliche, sondern Menschen mit psychischer Beeinträchtigung.

Drei Geschlechter im mittelalterlichen Recht?

Erst durch den zunehmenden römischrechtlichen Einfluss gelangten Rechtsvorschriften in die heimische Rechtspraxis, die sich unzweifelhaft auf Intergeschlechtliche bezogen. Die Gründung von Universitäten – vor allem im italienischen Raum – bewirkte eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem römischen Recht. Glossatoren und Kommentatoren versahen die Schriften der klassischen römischen Juristen mit Erklärungen und passten das römische Recht an die Bedürfnisse der mittelalterlichen Lebenswelt an. Es entstanden zahlreiche Kommentare, Lehrbücher und Abhandlungen zu einzelnen juristischen Sachthemen. Große Bedeutung erlangte die Summa legum brevis levis et utilis aus dem 14. Jahrhundert. Dabei handelte es sich um ein von Raymundus Partenopensis verfasstes Lehrbuch zum weltlichen Recht, das vor allem in Österreich, Böhmen, Polen und Ungarn Verbreitung fand. Die Summa legum war nicht nur auf Latein, sondern auch auf Frühneuhochdeutsch verfasst. Das bedeutete, dass auch weniger gelehrte Praktiker darin lesen konnten. Hinsichtlich des "Standes der Menschen" unterschied die Summa legum drei Kategorien:

"Allen menschen sein entweders man oder frawen oder ermofrodite, (verstee ains teils man, eins tails weib.)" (Cap. 1.21)

Mit dieser Aufzählung war allerdings keine Anerkennung von Intergeschlechtlichen als eigenem Geschlecht mit entsprechender Rechtsstellung verbunden. Wie die Rechtsposition intergeschlechtlicher Menschen zu beurteilen war, klärte die Summa legum unter Rückgriff auf jene Kriterien, die bereits das römische Recht entwickelt hatte:

"Die hermofrodite in irem geschlecht, in welchen sie mehr taugent (oder vermugent), nach dem wirt er geacht." (ebd.)

Geschlechterwahlrecht und Geschlechtereid

Eine eigenständige Lösung hatte das kanonische Recht entwickelt: Wenn bei intergeschlechtlichen Menschen kein Geschlecht "überwog", konnten sie ihre Geschlechtszugehörigkeit frei wählen. Hier zeigte sich erstmalig eine Anerkennung des subjektiven Empfindens. Gleichzeitig mit der Wahl mussten intergeschlechtliche Menschen allerdings der jeweils anderen Geschlechtsrolle durch Eidleistung abschwören. Ganz ähnlich regelte der Codex Maximilianeus bavaricus civilis den Umgang mit intergeschlechtlichen Menschen. Der Codex Maximilianeus stammt aus dem Jahr 1756. Er steht ideengeschichtlich zwar an der Schwelle zu den großen Naturrechtskodifikationen, wie etwa dem französischen Code civil oder dem österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, gehört selbst jedoch noch einer früheren Periode der Rechtsentwicklung an. Der Codex Maximilianeaus wollte weniger neues Recht schaffen, als vielmehr das gültige Recht sammeln. Subsidiär galt weiterhin das "gemeine Recht" (also das römisch-kanonische Recht des Mittelalters und der Frühen Neuzeit).

Für intergeschlechtliche Menschen traf der Codex Maximilianeus recht detaillierte Regelungen: Primär sollten Sachverständige die Geschlechtszugehörigkeit beurteilen. Kamen sie zu keinem Ergebnis, dann konnten Intergeschlechtliche selbst wählen, durften allerdings von der einmal getroffenen Wahl nicht abweichen. Taten sie dies doch, drohte dieselbe Strafe wie bei einem crimen falsi. Als crimen falsi fasste das gemeine Strafrecht eine Reihe von Delikten zusammen, denen eine Täuschungsabsicht zugrunde lag und die schwer – häufig mit dem Tod – bestraft wurden.

Mit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht aus 1794 trat nicht nur das Selbstwahlrecht für intergeschlechtliche Menschen deutlich in den Vordergrund, es brachte auch eine stärkere Berücksichtigung der sozialen Dimension des Geschlechts mit sich: Kam ein intergeschlechtliches Kind zur Welt, hatten zunächst die Eltern zu entscheiden, ob es als Mädchen oder als Bub erzogen werden sollte. Nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres konnten Intergeschlechtliche selbst ihre Geschlechtszugehörigkeit wählen:

"Nach dieser Wahl werden seine Rechte künftig beurteilt." (Paragraf 20 PrALR)

Nur dort, wo die Geschlechtszugehörigkeit Auswirkungen auf die Rechte Dritter hatte, überwog das Urteil von Sachverständigen.

Nicht männlich, nicht weiblich. Rechtlich hat das dritte Geschlecht einen langen Weg hinter sich.
Foto: www.istockphoto.com/at/portfolio/vikavalter

Eindeutigkeit im Recht

Den dargestellten Rechtsvorschriften ist eines gemein: Sie hielten die Existenz von Menschen, die weder weiblich noch männlich waren, zwar nicht für alltäglich, aber doch immerhin für möglich. Bis wann und in welchem Umfang in der Rechtspraxis Geschlechtseide und Wahlrechte tatsächlich vorkamen, geht aus den einzelnen Kodifikationen freilich nicht hervor. Im 19. Jahrhundert verschwinden die Bezugnahmen auf intergeschlechtliche Menschen aus den Gesetzeswerken. Im französischen Code civil, dem österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch oder dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch sucht man sie vergeblich. Franz von Zeiller, der die Endredaktion des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches besorgte und als "Vater" des heute noch geltenden Gesetzes gilt, hielt in seinem "Commentar zum allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch" fest: Die Existenz von "Zwittern" werde "von neueren Aerzten bestritten". (zu Pragraf 21 ABGB)

Entscheidenden Einfluss auf die österreichische Rechtswissenschaft übte ab Mitte des 19. Jahrhunderts Joseph Unger aus. Er bereitete den Weg für eine vornehmlich an der deutschen Pandektenwissenschaft orientierte Privatrechtsdogmatik. Unger war mit dem klassischen römischen Recht und mit den deutschen Partikularrechten vertraut und kannte die darin enthaltenen Vorschriften zur Rechtsstellung von Intergeschlechtlichen. Mit Blick auf die österreichische Rechtslage schrieb Unger:

"Zwitter, bei denen eine gleiche Mischung der Geschlechter stattfinden soll und welche daher in juristischer Beziehung weder als Mann noch als Weib anzusehen wären, werden vom Recht als nicht vorhanden angenommen." (System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, Band I, 1856, Seite 279)

Vieldeutigkeit in der Medizin?

Die Vorstellung, es gäbe keine intergeschlechtlichen Menschen oder es ließe sich doch stets eine (überwiegende) Geschlechtszugehörigkeit erkennen, dominierte die Auseinandersetzung in der Rechtswissenschaft. Dabei war die "Nicht-Existenz" von Intergeschlechtlichen in der (medizinischen) Wissenschaft an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert keineswegs allgemeiner Konsens. Einen Höhepunkt fand die Annahme vielfältiger Erscheinungsformen menschlicher Geschlechtlichkeit mit der Zwischenstufentheorie des Berliner Arztes Magnus Hirschfeld: Hirschfeld errechnete 81 "geschlechtlich gemischte" Grundtypen – je nach Berücksichtigung körperlicher und psychischer Merkmale waren es noch viel mehr.

Neue Akzente: Individuelle Geschlechtsidentität als Menschenrecht

Die Auseinandersetzung mit der Rechtsstellung intergeschlechtlicher Menschen ist dem Recht an sich weder fremd noch neu. Neu ist, dass diese Rechtsfrage nunmehr die Akzentuierung als Menschenrecht erfahren hat. Im Zusammenhang mit dem Recht transgeschlechtlicher Menschen auf Änderung ihres Geschlechts, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seit Beginn des 21. Jahrhunderts die Konturen des Rechts auf individuelle Geschlechtsidentität immer deutlicher herausgearbeitet. Das Recht auf Anerkennung der individuellen Geschlechtsidentität stellt heute einen zentralen Aspekt des Rechts auf Achtung des Privatlebens dar. Da die Europäische Menschenrechtskonvention in Österreich im Verfassungsrang steht, handelt es sich dabei um ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes subjektives Recht.

In seinem Erkenntnis zum Dritten Geschlecht hat der Verfassungsgerichtshof dieses Recht auf die Rechtsstellung von intergeschlechtlichen Personen angewandt. Das bedeutet, intergeschlechtliche Menschen dürfen nicht gezwungen werden, die Begriffe "männlich" oder "weiblich" als personenstandsrechtliche Bezeichnungen für ihre Geschlechtszugehörigkeit zu verwenden. Die Personenstandsbehörde hat auf Antrag einer intergeschlechtlichen Person einen geeigneten Begriff zur Bezeichnung des Geschlechts einzutragen. Außerdem müssen intergeschlechtliche Personen die Möglichkeit haben, ihr Geschlecht nicht anzugeben oder eine einmal erfolgte Geschlechtsangabe ersatzlos löschen zu lassen.

Die Gesetzgebung kann hinsichtlich der möglichen Geschlechtsbezeichnungen für Intergeschlechtliche Regelungen treffen. Anders als für ihre historischen Vorläufer, stellt sich für die Gesetzgebung aber heute nicht mehr (nur) die Frage, ob sie die Rechtsstellung intergeschlechtlicher Menschen regelt: Sie muss vielmehr dafür sorgen, dass intergeschlechtliche Menschen ihr Menschenrecht auf individuelle Geschlechtsidentität in Anspruch nehmen können. (Elisabeth Greif, 17.7.2018)

Zum Thema