Guide Beti Marak führt durch die Gehörlosenausstellung "Hands Up" und buchstabiert ein X. Weltweit kommunizieren 70 Millionen Menschen in Gebärdensprachen.

Foto: Sabine Gruber

Wien – Ungefähr zehn Leute stehen auf einer Holzplattform in der Mitte eines Gewölbekellers. Alle tragen schwarze Kopfhörer in Übergrößenformat. Zusätzlich haben sie noch zwei Stöpsel aus Gummi in den Ohren stecken. Zur Sicherheit, denn sie sollen im Idealfall akustisch gänzlich von ihrem Umfeld abgeschnitten sein.

Alicia Eliskases dreht an den Reglern des Monitors, der vor ihr hängt. Dann: Wummms! Den Teilnehmern fährt ein Hip-Hop-Song namens Bad Boy in die Füße. Es ertönen keine Klänge, es gibt keinen Text zu hören. Aber die Vibrationen, die durch die Holzplattform abgegeben werden, lassen die Atmosphäre des Songs erahnen.

Die Besuchergruppe steht bei einer Station der Ausstellung Hands Up, die derzeit im Schottenstift im ersten Wiener Gemeindebezirk besucht werden kann. Betrieben wird Hands Up von Equalizent, dem Schulungs- und Beratungszentrum für Gehörlose.

Hemmungen verlieren

Es ist die erste Dauerausstellung über Gehörlosigkeit, die in Österreich realisiert wurde. Das Ziel: Hörende sollen in "die unbekannte Welt der Stille" eintauchen, dabei sollen Barrieren zwischen Hörenden und Gehörlosen abgebaut werden.

Denn davon gibt es noch einige, berichten die fünf Guides, die als Experten durch die Ausstellung führen. Sie sind selbst alle gehörlos. "Wenn ich auf Menschen treffe und sie merken, dass ich gehörlos bin, suchen sie oft ganz schnell das Weite", berichtet Alicia Eliskases. Durch einen Besuch in der Ausstellung lasse sich das ändern: Besucher seien anfangs zwar oft noch zurückhaltend, schließlich aber begeistert, wenn sie sehen, wie viel Kommunikation ohnehin nonverbal abläuft.

Stille Post ganz still

Gesicht, Körper und Hände rücken bei spielerischen Übungen in den Vordergrund. So wie bei "Stille Post", bei der auch kein Flüstern zum Einsatz kommen darf. Die Aufgabe: Ein Autounfall soll weitererzählt werden.

Eliskases bewegt ihre beiden Hände hastig rund um ein imaginäres Lenkrad. Plötzlich verliert sie die Kontrolle, prallt mit dem Auto gegen eine Wand. Sie greift sich auf den Kopf, ihrer Mimik zufolge war die ganze Angelegenheit ziemlich schmerzhaft. Die Missverständnisse, die bis zum Ende der Kette entstehen, sind denen der Flüstervariante täuschend ähnlich. Sinn ergibt das Weitervermittelte zumeist nicht mehr.

Meilensteine und Ausgrenzungen

10.000 Menschen sind in Österreich gehörlos. Weitet man die Definition aus und zählt auch Schwerhörige oder Spätertaubte dazu, rechnet man mit 456.000 Personen. Die Übergänge sind fließend. Noch immer sind viele von ihnen von Teilen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen.

Einzelne Meilensteine der Inklusion werden in der Ausstellung besprochen: 1960 dürfen Gehörlose erstmals den Führerschein machen. 1989 erleichtert die Einführung von SMS die Kommunikation für Gehörlose wesentlich. 2017 wird Gebärdensprache in die Lehrerausbildung aufgenommen. Zuvor konnte man auch ohne Gebärdensprachkenntnisse Lehrer in einer Gehörlosenschule werden.

Viele Ausgrenzungen führten dazu, dass Gehörlose immer noch diskriminiert werden: Gehörlose Jugendliche in Wien sind etwa doppelt so häufig arbeitslos wie Hörende. Nur jeder zehnte hörbeeinträchtigte Schüler erhält Unterricht in Gebärdensprache.

Vorurteile abbauen

Um all dem beizukommen, sollen zuerst einmal in der Ausstellung Vorurteile abgebaut werden. "Das Einzige, was Gehörlose nicht können, ist Hören", sagt Eliskases. Selbst Dinge, die man eindeutig mit der Welt der Töne verknüpft, spielen mitunter auch im Leben Gehörloser eine Rolle.

Zum Beispiel Karaoke. Ein Avatar auf einem Bildschirm gibt vor: "Hands up, baby, hands up ..." Die Besucher antworten gestikulierend: "Gimme your heart, gimme gimme your heart, give it, give it." (Vanessa Gaigg, 5.7.2018)