Ein willkommener Kontrast: Florence Welch schlägt als Florence + The Machine auf "High As Hope" leise Töne an.

Universal Music

Florence Welch hat eine Stimme wie eine Trompete. Die vermag zu schmettern, fanfarengleich ihre Botschaft in die Welt zu blasen – egal wie wichtig diese sein möge. Das mit der Trompete hat James Last einmal über Celine Dion gesagt, nur wegen der Einordnung. Florence Welch ist Britin und Popstarin (damit sich die Sprachpolizei ärgert).

Sie gilt als ein Wesen, das ein wenig aus der Zeit gefallen ist – und dann doch nicht. Ihr Image pendelt zwischen der nostalgisch-kindlichen Folklore der Sarah-Kay-Zeichenfiguren der 1970er und dem einer modernen Frau mit einem Hang zu Walle-Walle-Kleidern und Fahrrädern aus der Zeit vor der Erfindung der Gangschaltung. Eben hat sie als Florence + The Machine ihr neues Album veröffentlicht.

Es heißt High As Hope und unterscheidet sich ein wenig von ihren bisherigen Arbeiten. Denn sie bricht ihren meist hymnischen, zum Himmel galoppierenden Mitteilungspop mit ein paar introspektiven Songs auf. Statt um märchenhafte Romantik geht es bei der britisch-blassen Sängerin plötzlich um Essstörungen. Ganz schön profan.

Lieder wie Läuterungen

Der zum Thema verfasste Song heißt schlicht Hunger und bindet gleich noch überwundene Neigungen zu geistigen Getränken und dem verbotenen Inhalt des Beautycase ihres Dealers mit ein. Ein Lied wie eine Läuterung.

Florence + The Machine, Hunger: Ein autobiografischer Krisenbewältigungssong von Florence Welsh.
FlorenceMachineVEVO

Big God ist ein weiteres Bekenntnis, mit dem die 31-Jährige ihre Abgründe ausleuchtet. Der gerade überall durchgereichte Übertreibungsjazzer Kamasi Washington atmete dafür durch sein Horn. Die Hipster-Aura solcher Kollaborationen fällt als Kollateralsegen dabei ab.

Überschlagende Stimme

Berechnend oder nicht, solch abgespeckte Lieder stehen einem Album von Florence + The Machine gut an. Immer nur die große Geste, die Flucht ins Epische mit der sich kunstvoll überschlagender Stimme, das ermüdete schon längst. Pech, wenn ausgerechnet das die Marke F + TM ausmacht. Das heißt aber nicht, dass es High As Hope an einschlägigem Expressionismus ermangeln würde.

Jeder braucht einen großen Gott, singt Florence Welsh. Kein Wunder, dass das Lied Big God heißt.
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Da ist zum Beispiel das Lied Patricia. Das ist eine Eloge an Patti Smith, die Punkmutter, die Welch ein Vorbild ist. Smith beherrscht die große Geste zwar ebenfalls. Als gelernte Punkette weiß sie aber um die Kraft der Reduktion. Welch ist da eher der Reichshälfte der Kate Bush zuzuordnen – manchmal kommt einem sogar Mike Oldfield mit der Strohhutsängerin Maggie Reilly in den Sinn: Moonlight Shadow, wer sich erinnert.

Röcheln und schreien

Doch Welch hält mit ihrem erstaunlichen Stimmumfang dem Seichten entgegen, ringt gegen Widrigkeiten, zweifelt, röchelt, schreit und schmettert. Das wirkt nicht immer alles angemessen, da kippt ein Song oft vorschnell ins Drama – auch wenn es am Ende nur eines von Rosamunde Pilcher ist.

Doch Pop bedarf eben des Dramas, des großen Formats – selbst für kleine Geschichten. Denn "Happiness", das singt Florence im finalen No Choir selbst, ist halt ein sehr ereignisloser Zustand. Davon ist das Album weit entfernt. Vielleicht schlecht für Florence Welch, jedoch gut für ihr Publikum. (Karl Fluch, 7.7.2018)