Wien – Entweder war es pure Koketterie, oder die Selbsteinschätzung hat sich über die Jahre massiv verändert. Ganz vorn wolle er nicht stehen, sagte Herbert Kickl 2009 in einem Interview. Dafür gebe es in der FPÖ "Begabtere". Heute steht der Innenminister permanent im Scheinwerferlicht, genießt die Auftritte vor der internationalen Presse und produziert Schlagzeile um Schlagzeile, nicht selten negative.

Kickl lässt im steirischen Spielfeld medienwirksam üben, wie er im Fall der Fälle Massen an Flüchtlingen abzuwehren gedenke. Er richtet seinem deutschen Ministerkollegen Horst Seehofer aus, dass man keinesfalls bereit sei, den Nachbarn mehr Flüchtlinge als bisher abzunehmen. Im ORF-Report wiederum drohte der gebürtige Kärntner mehr oder weniger unverhohlen jenen Journalisten, die laufend neue Details zur Affäre um das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) aufdecken. Ganz nach alter freiheitlicher Manier: Angriff ist die beste Verteidigung, die FPÖ ist das Opfer der (linken) Medien. Dabei ist längst klar: Das Ministerbüro war bei der Causa BVT mittendrin statt nur dabei.

Herbert Kickl bei der Grenzübung in Spielfeld. So sieht sich der Minister am liebsten in den Medien.
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Unerwünschte Debatten

In die dadurch ausgelöste Diskussion über Meinungsfreiheit schaltete sich sogar das Büro von Kanzler Sebastian Kurz ein. Das Redaktionsgeheimnis sei ein "hohes Gut", das es zu schützen gelte, wird den Medien versichert. Genau solche Debatten wollte der ÖVP-Chef seiner Regierung ersparen. Hausdurchsuchungen im BVT, befürchtete Razzien bei Zeitungen, Sager über Asylwerber, die Kickl gerne "konzentriert" an einem Ort halten will: alles Dinge, die nicht der erwünschten Message-Control entsprechen.

Vor allem aber werfen sie die Frage auf, ob Kickl tatsächlich der große Stratege ist, als der er immer galt. Der "verbummelte Philosophiestudent" (Copyright Alfred Noll), der einst als Jörg Haiders Redenschreiber erste politische Erfahrungen sammelte, verantwortete alle erfolgreichen Wahlkämpfe der jüngeren Vergangenheit. Der frühere Klassenkamerad von Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig (Maturaklasse 8a, BG Spittal) gilt als Schöpfer von Slogans, die die aktuelle Antimuslimenstimmung schon vor Jahren vorwegnahmen: "Pummerin statt Muezzin", "Daham statt Islam", "Abendland in Christenhand" oder "Mehr Mut für unser Wiener Blut – zu viel Fremdes tut niemandem gut".

Horst Seehofer richtete die Regierungsspitze freundlich aus, dass man keine zusätzlichen Flüchtlinge zu übernehmen gedenke.
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Türkis-schwarzes Sticheln

Mit völkischer Dichtkunst allein lässt sich aber noch kein Ministerium führen. Die zweite und dritte Reihe in der ÖVP streuen daher bereits das Gerücht, der 49-Jährige sei ein größerer Ablösekandidat als Sozialministerin Beate Hartinger-Klein. Mehr als vereinzeltes Sticheln ist das derzeit aber nicht. Kurz räumt der FPÖ und ihren Vertretern bewusst den Raum ein, um sich auch darstellen zu können. Kickl schätzt er durchaus.

FPÖ-intern glaubt ohnehin niemand, dass Strache seinen langjährigen Wegbegleiter, dem er so viel zu verdanken hat, fallenlassen könnte. Auch, wie ein Blauer süffisant hinzufügt, "weil der Herbert so viel weiß, dass man ihn nicht in die Wüste schicken kann". So läuft etwa noch immer das Verfahren rund um die Kärntner Werbeagentur Ideenschmiede, für die Kickl 2005 vorübergehend als Treuhänder fungierte. Es geht um den Vorwurf illegaler Geldflüsse an die FPÖ, wobei der Minister allerdings nie als Beschuldigter geführt, sondern nur als Zeuge einvernommen wurde (wie auch der FPÖ-Chef).

Kickls Mann fürs Grobe: Peter Goldgruber.
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Gegenseitiges Misstrauen

Die Achse Strache/Kickl funktioniert also weiterhin. Der Innenminister machte den früheren Bürochef Straches, Reinhard Teufel, zu seinem Kabinettschef. Von der vom Verfassungsschutz beobachteten Plattform unzensuriert.at holte es sich seinen Kommunikationschef Alexander Höferl.

Im tiefschwarzen Ministerium, zu dem 31.000 Exekutivbedienstete ressortieren, wird die blaue Truppe mit beträchtlichem Misstrauen beobachtet. Kein Geheimnis ist allerdings: Das beruht auf Gegenseitigkeit. So mancher Freiheitliche vermutet etwa, dass Informationen über das NS -Liederbuch der Burschenschaft Germania, das Niederösterreichs Landeschef Udo Landbauer zum Rücktritt zwang, ihren Ursprung im Innenministerium beziehungsweise im BVT haben.

Autoritärer General

Mutmaßungen in dieser Kategorie gibt es in der FPÖ zuhauf. Nicht zuletzt deshalb installierte der passionierte Triathlet Kickl (Ironman unter elf Stunden) mit Peter Goldgruber einen mächtigen Generalsekretär. Dieser ist für seinen autoritären Führungsstil bekannt. Auch das Attribut "bösartig" fällt immer wieder, wenn man Ministeriumskenner auf Goldgruber anspricht. Kickl hingegen, so wird erzählt, gibt sich im persönlichen Umgang mit der Beamtenschaft freundlich und sachlich. Er hört zu und zeigt sich interessiert. Die Rollenverteilung ist also klar: Er ist der "good cop", Goldgruber der "bad cop".

Peter Gridling wurde zuerst von Kickl suspendiert, dann bekam er den Auftrag, das BVT zu reformieren. Wahrscheinlicher Ausgang: Es wird einen neuen Chef benötigen.
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Seit die BVT-Affäre derart explodiert ist – im Herbst startet ein U-Ausschuss –, tritt Kickl auch verstärkt im Innenverhältnis auf. Er überlässt also nicht mehr alles seinem Generalsekretär, dem fehlendes Gespür für Außenwirkung nachgesagt wird. Dieser war, wie berichtet, intensiv in die Vorbereitung der BVT-Hausdurchsuchungen involviert, vermittelte der Justiz Zeugen und ließ die zuständige Staatsanwältin, zumindest laut deren Aufzeichnungen, wissen, dass er vom Minister den Auftrag habe, das Ressort "aufzuräumen", weil dieses "so korrupt wie noch nie" sei.

Unruhe in ÖVP

Trotz Dementis durch Goldgruber sorgt so etwas natürlich in der ÖVP für Unruhe. Die letzten acht Minister vor Kickl waren schwarz, darunter mit Günther Platter (Tirol) und Johanna Mikl-Leitner (Niederösterreich) zwei aktuelle Landeshauptleute. Zudem fungierte auch der jetzige Kanzler zwischen 2011 und 2013 als Staatssekretär im Innenressort. Es verwundert daher nicht, dass die Spannungen und Ängste, die es in der Wiener Herrengasse gibt, auch an den ÖVP-Chef herangetragen werden.

Befürchtet wird beispielsweise, dass Kickl im nächsten Jahr, also wenn der EU-Ratsvorsitz vorbei ist, Änderungen in der Geschäftseinteilung seines Hauses vornehmen könnte. Das hätte den praktischen Vorteil, Spitzenposten neu besetzen zu können.

Geplanter Umbau

Auch beim BVT stehen die Zeichen auf Umbau. Direktor Peter Gridling, der vor Gericht seine von Kickl verfügte Suspendierung erfolgreich bekämpfte, darf nun selbst an einer Reorganisation des Verfassungsschutzes mitarbeiten. Sind damit aber größere Änderungen verbunden, muss auch die dortige Leitung neu ausgeschrieben werden. Damit hätte Kickl jenes Ziel erreicht, das er nach eigenen Angaben nie verfolgte. Die Demontage Gridlings. Und das alles ganz ohne Justizverfahren.

Solche Machtspiele passen zu jenem Herbert Kickl, der ab 2005 die Partei managte. Als Generalsekretär hatte er den Ruf, ein "Kontrollfreak" zu sein. "Er ist einer, der gerne Druck auf Menschen ausübt", heißt es. Keine Entscheidung, die nicht über seinen Schreibtisch ging, keine wichtige Parteiorganisation, in der Kickl nicht vertreten war. Breite inhaltliche Diskussionen waren zu Oppositionszeiten unerwünscht. Das Ausländerthema war ein Selbstläufer.

Heute werfen ihm das hinter vorgehaltener Hand einige in der Partei vor. Themen wie der Zwölfstundentag oder andere Bereiche des Wirtschaftsprogrammes, die jetzt die Wogen hochgehen lassen, wurden nie breit besprochen, was wieder zur Frage nach der großen Strategie führt. "Kickl ist ein Taktiker, kein Stratege", analysiert ein dem Minister nicht so wohlgesonnener Blauer. Die andere Lesart geht so: Im Gegensatz zu Strache hat Kickl zumindest eine Agenda. Der ÖVP, mit der er eigentlich nie in eine Regierung wollte, traut er noch immer nicht über den Weg. Als harmonischer Zweiter wird er nicht in die nächste Wahl gehen wollen. (Günther Oswald, 8.7.2018)