Graurinder im Seewinkel – Aber Vorsicht: Nicht immer ist das, was man sieht, das, was auch ist. An heißen Tagen täuscht einen zuweilen das Délibáb.

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Das Burgenland hat sich eingesommert. Das ist zwar im Rest der Republik nicht anders, aber im Burgenland doch ganz besonders. Denn die pannonische Sonne hat an den wirklich pannonischen Tagen nicht selten etwas gnadenlos zur Ruhe Treibendes. Selbst die Rastlosen zieht es dann höchstens ans Wasser. Dort aber auch nur in den Schatten.

Wer die Exotik des Burgenlandes wirklich kennenlernen möchte, strawanzt dann – gut behütet – durch den Seewinkel, wenn die Sonne hoch im Zenit steht und die Luft anfängt zu flirren. Die Mangalitzasauen liegen, dick verkrustet, wie betäubt. Die Graurinder haben sich, träge wiederkäuend, hingestreckt, über ihnen Wolken aus Fliegen. Die Pferde wedeln mit dem Schweif unermüdlich die Bremsen zum Nachbarn, und der wieder zurück.

Panisch

Das ist die Zeit des alten Pan, des schadenfrohen, oft auch Panik verbreitenden Mittagsgottes, der nun zwischen Frauenkirchen und St. Andrä und Pamhagen und Apetlon bocksfüßig die Menschen in die Irre führt und seine Trugbilder in die Luft malt. Délibáb nennen die Ungarn diese Täuschungsmanöver, die einem buchstäblich Dinge vorspiegeln, die es vielleicht gar nicht gibt. Oder wenn, dann ganz woanders.

(Und siehe: Kaum fängst du an, über den schönen pannonischen Sommer zu erzählen, bist du auch schon mittendrin im Politischen.)

Bockfüßler

Die pannonische Variante davon gönnt sich heuer – verspricht sie – auch eine entsprechende Sommerruhe. Vergangene Woche hat sich der hohe Landtag noch einmal getroffen. Es war die 40. Sitzung der XXI. Gesetzgebungsperiode, die vor genau drei Jahren mit einer republikweiten Aufregung begonnen hat.

Hans Niessl hat sich ja entgegen allen roten Parteitagsbeschlüssen mit den blauen Gottseibeiuns – politischen Bockfüßlern gewissermaßen – zusammengetan. Danach gab es keine Sommerpause, und das lag nicht nur daran, dass bald danach der 27. August und die 71 qualvollst Erstickten auf der A4 gekommen sind und dann der unheimliche Flüchtlingsherbst, der Europa bis heute in Atem hält.

Ruckzuck

Rot und Blau hatten sich, den Befürwortern, aber vor allem auch den eingeschworenen Gegnern geschworen, im Gegensatz zu früher nunmehr die Ärmel aufzukrempeln. Da möge Sommer sein, wie es wolle, man arbeite rastlos durch: Verwaltungsreform, neue Landesholding, Gemeindeordnungsreform, Landesjagdgesetz, Sicherheitspolizeigesetz, Feuerwehrgesetz und so weiter und so fort. Bis zum Vorjahr noch war das so. Das Arbeitstempo sollte – so der Plan – der Opposition den Atem nehmen. Ruckzuck.

Speed kills

Nun ließ Landeshauptmann Niessl, der seit 1. Juli turnusmäßig den Vorsitz der Landeshauptleutekonferenz übernommen hat, die schon etwas sommertrüben Zuhörer mit folgender Analyse aufhorchen: "Die Regierung macht das deswegen, weil sie sagt: Speed kills. Möglichst schnell umsetzen, damit die Demonstrationen beziehungsweise die Kritik nicht weiter wächst; die Kritik, die auch aus den eigenen Reihen kommt."

So aber rüffelt der altgediente Landeshauptmann nun Türkis-Blau. Sebastian Kurz mache es nämlich ähnlich wie damals, ab 2000, Wolfgang Schüssel. Damals kam Landtagklubchef Hans Niessl ins Amt. Und er war, der alten Tradition verpflichtet, mit Landesschwarz zwangsverheiratet. Eine Ehe, in der es darauf hinauslief, wer am trefflichsten zu sticheln vermag. Nunmehr aber teilen er und seine Mannschaft aus Zuneigung mit Blau wenn schon nicht Bett, so doch sehr harmonisch den Tisch.

Pendlerschutz

Harmonisch selbst dann, wenn die jeweilige Parteiraison sehr gegenläufig ist. Wie zum Beispiel beim Zwölfstundentag, aus dem die Sozialdemokraten grad eine aktuelle Raison d'Être basteln. Niessl war gar demonstrieren.

Im Landtag blieb die burgenländische SPÖ gleichwohl eisern. Zwar geißelte man wortreich den arbeitsrechtlichen Rückschritt ins 19. Jahrhundert, aber als die Grünen hinterrücks einen Antrag stellten, den rot-blauen Entschließungsantrag "betreffend den Schutz der burgenländischen Pendler vor neuen Belastungen" um die Realbelastung Zwölfstundentag zu erweitern, erschlug man den mit einem eigenen Abänderungsantrag, der diese tatsächliche Herausforderung der Pendler weiträumig umschiffte.

Ausgleichssport

Dafür haute der Landeshauptmann in der ORF-"Pressestunde" ausgleichssportlich auf die Bundesblauen hin (Niessl unterscheidet da recht penibel zwischen Land und Bund), die er für Erfüllungsgehilfen der neoliberalen Ambitionen der Kurz-ÖVP halte. Und nun schon auch frage: "Wie lange kann es sich die FPÖ bieten lassen, dass Reformen ausschließlich auf Kosten der Arbeitnehmer durchgeführt werden?"

Erfüllungsgehilfen

Thomas Steiner, der schwarze Landeschef, erwiderte prompt, Niessl agiere "zweischneidig", indem er den Bundesblauen vorrechne, was er an den Landesblauen toleriere. Aber die, so Steiner, seien für Niessl ja "als Beiwagerl willkommen". Gewissermaßen also Erfüllungsgehilfen.

Mit beinahe staatsmännischer – oder sommerlicher – Gelassenheit sprach dann Johann Tschürtz, blauer Niessl-Stellvertreter: "Was soll die SPÖ auch sonst sagen? Sie ist Oppositionspartei." Auch im Burgenland wisse man genau, dass die neue Bundesregierung für Arbeiter und Angestellte in einem halben Jahr weit mehr erreicht habe als die SPÖ-geführte Vorgängerregierung in einem ganzen Jahrzehnt.

Regierende Harmonie

So wurde in den vergangenen Tagen also fleißig gekocht. Gegessen wird dann aber eh nicht so heiß. Man wolle sich doch, sagt Hans Niessl, das eigene Mikroklima nicht beeinträchtigen lassen durch die türkis-blaue Großwetterlage. Lieber stelle man "das Gemeinsame in den Vordergrund". Nicht zuletzt aus der auf der Hand liegenden Erkenntnis, dass es überhaupt nicht gut wäre, "wenn wir jetzt Bundesthemen, die wir ja durch unsere Beschlüsse nicht beeinflussen können", als Streitgrundlage nehmen würden.

Um des Kaisers Bart mögen andere streiten. Tu felix Pannonia ...

Johann Tschürtz, einstiger Oppositionsführer im Landtag, ruht jetzt einmal in sich, weil: "Diese Kraft und Stärke haben wir, dass wir zum Koalitionspartner stehen, auch wenn es da und dort Meinungsverschiedenheiten gibt."

Burgenlands Einzigartigkeit

Und so also geht man in den Sommer: voll pannonischer Harmonie. Niessl: "Wir haben damals schon erkannt vor drei Jahren, dass es den Menschen nicht darum geht, dass man in der Öffentlichkeit streitet, sondern dass man gemeinsam Lösungen erarbeitet und diese Lösungen dann gemeinsam präsentiert." Das ist für Vize Tschürtz auch eine Art pannonische Eigenart: "Wir leben einen Stil, den es in Österreich noch nie gegeben hat." (Außer vielleicht im Bund mit Türkis-Blau, aber das wäre ja bekanntlich wieder was anderes.)

Sommertipp

Zahlreich sind – kommen wir am Ende also vom Wichtigen zum Eigentlichen – die Festspiele auch in Pannonien. An dieser ressortunzuständigen Stelle sei ein ganz besonderer Theaterort ans Herz gelegt. Parndorf/Pandrof beeindruckt durch ausdrückliche Nichtopulenz, durch keinerlei Steinbruch- und See-Gewaltkulisse. Eine rasch zusammengezimmerte Bühne auf dem Kirchenplatz, eine Kulisse wie eine Skizze. Und dadurch viel, viel Raum für die Schauspieler, die im Grunde die Vorstellungsfähigkeiten der Zuschauer bespielen.

Gegeben wird heuer Carlo Goldoni: "Der Diener zweier Herren". (Wolfgang Weisgram, 10.7.2018)