Melissa Broder, "Fische". € 21,60 / 352 Seiten. Übersetzt v. Eva Bonné. Ullstein-Verlag, Berlin 2018

Seit 2012 teilt Melissa Broder auf Twitter kurze Statusmeldungen zu ihrem Leben. Sie lauten "Ich will nicht die sein, die ich bin" oder "Es fällt mir so leicht, mich selbst zu hassen". Panikattacken, Depressionen, Magersucht, Alkoholabhängigkeit, Scham und Minderwertigkeitskomplexe – seit ihrer Jugend hat Broder zu kämpfen. Ihrem Account So Sad Today folgen fast 700.000 Menschen.

2016 veröffentlichte sie den autobiografischen Essayband So Sad Today und nun ihr Romandebüt. In Fische rückt die 38-Jährige von sich ab, gibt ihren Figuren aber viele eigene Erfahrungen mit.

Im Zentrum steht die gleichaltrige Lucy. Mit ihrer Dissertation über Sapphos Liebeslyrik geht es seit langem nicht voran, und an ihrem Freund, mit dem sie seit acht Jahren zusammen ist, sieht sie nicht mehr die strahlenden Augen von einst, sondern das Doppelkinn. Warum vergeht der Zauber der Liebe und Sehnsucht? Als sie Jamie in einer Laune vorschlägt, sich zu trennen, reagiert der nicht mit der erhofften romantischen Geste, sondern stimmt zu.

Mit dieser Art Einsamkeit kann Lucy gar nicht umgehen. Zur Genesung schickt Broder sie vom tristen Phoenix nach Venice Beach. Im Strandhaus ihrer Schwester soll sie Abstand gewinnen, eine Selbsthilfegruppe besuchen, auf den Hund aufpassen.

Zur Hälfte ein Fisch

Dessen warme Nackenfalten reichen ihr bald nicht mehr. Sie beginnt zu tindern, erlebt dabei nur Enttäuschungen. Körperlich und emotional. Zugleich taucht bei einem Spaziergang am Strand ein junger Mann aus dem Wasser auf. Er ist nicht wie die anderen. Bis Lucy herausfindet, dass er ein Meermann ist, also zur Hälfte ein Fisch, hat sie sich schon verliebt.

Fische kommt auf allen Ebenen direkt daher. Broder erzählt chronologisch und ohne besondere Twists. Sex beschreibt sie explizit, ob auf dem Hotelklo oder mit dem Uber-Fahrer im Auto. Das wirkt manchmal billig und klischeehaft zeitgeistig. Aber Lucy geht mit den oft selbstzerstörerischen Aktionen auch immer wieder hart ins Gericht. Dann fragt sie sich: Wie mit Verlust umgehen? Ist die Ehe tatsächlich nur eine "überholte Form des Besitzes"? Ist die Unabhängigkeit nur Selbstbetrug? Will ich doch Kinder? Probleme, die die Autorin auch auf Twitter in die Welt hinausschickt.

Was machen die Männer falsch, dass Lucy sich dem Fisch zuwendet? Viel. Doch auch sie selbst trägt Verantwortung. An der Selbsthilfegruppe fächert Broder die Themen Selbstwert, innere Leere und Beziehungsunfähigkeit weiter auf. Sie zeichnet die Charaktere extrem. Da ist etwa die Mutter von Teenagern, die auf der Suche nach Aufmerksamkeit mit 18-jährigen Tennislehrern schläft. Mal lästern die Frauen übereinander, dann versuchen sie, sich gegenseitig Hilfe zu sein. Eine feministische Erhellung? Nein. Dass Broders Biografie die fiktive Handlung irgendwie beglaubigt, lässt nach manchem Augenrollen doch innehalten. Ein wenig liest sich Fische aber wie ein trashiges Mädchenbuch für erwachsene Frauen. (Michael Wurmitzer, 12.7.2018)