Die Ängste, von denen Hypochonder geplagt werden, nehmen Betroffene als real wahr. Häufig ist es die Panik vor lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs oder Herzinfarkt.

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Die schwere Erkrankung eines nahestehenden Menschen kann ein Auslöser sein. Man beginnt sich Sorgen um die eigene Gesundheit zu machen, schließlich kreisen die Gedanken nur mehr darum, etwa einen Herzinfarkt zu erleiden oder an Krebs zu erkranken. Zwar entwickelt nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung eine sogenannte Hypochondrie, doch Promis wie Charlie Chaplin, Woody Allen, Harald Schmidt und Thomas Mann haben dem "eingebildeten Kranken" ein Gesicht gegeben.

Hypochonder gelten häufig als übertriebene Sensibelchen oder Wichtigtuer, die mit ihrer Angst Aufmerksamkeit erregen wollen. Tatsächlich handelt es sich aber um eine ernstzunehmende psychische Störung. "Hypochondrie ist eine sehr belastende Krankheit, auch wenn den Betroffenen meist bewusst ist, dass sie 'übertreiben'", sagt Klaus Schulte, Psychotherapeut aus Wien und Lehrtherapeut für Dynamische Gruppenpsychotherapie im Österreichischen Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik (ÖAGG).

In der internationalen Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation, dem ICD-11, fällt die Hypochondrie unter die Zwangsspektrumsstörungen. Das heißt, Betroffene sind über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten davon überzeugt, an einer ernsthaften körperlichen Erkrankung zu leiden, auch wenn wiederholte Untersuchungen keine ausreichende Erklärung erbracht haben. Medizinisch gesehen ist die Symptomatik meist relativ harmlos – am häufigsten sind Hyperventilation, Herzrasen, unspezifische Schmerzen oder Verdauungsprobleme. "Gültig ist aber die Wahrnehmung, und diese ist eine andere", betont Schulte.

Großer Leidensdruck

Bei der Wahrnehmung und Bewertung der eigenen Situation können Faktoren wie Selbstbezug oder Vorerfahrungen eine Rolle spielen. Oft wird der eigene Körper als mutmaßlicher Feind erlebt. "Dann wird jede unspezifische Wahrnehmung zur möglichen Krankheit. Das bedeutet: Der Feind wohnt in mir", sagt Schulte. Auch wer zum Beispiel erlebt hat, wie die eigene Mutter an Krebs verstorben ist, ist seelisch vorbelastet. "Die abfällige Haltung der Gesellschaft gegenüber Hypochondrie resultiert in der Regel daraus, dass der individuelle Hintergrund nicht bekannt ist", erklärt Schulte.

Bei einer hypochondrischen Störung reagiert der Körper auf die Angstsituation mit dem Anstieg von Stresshormonen, Blutdruck und Herzfrequenz. Dieser unangenehme Zustand verursacht großen Leidensdruck und kann zur Panik führen. Die Folge: Der Hypochonder geht zum Arzt, dieser attestiert ihm, dass er völlig gesund ist – doch dem Befund wird kein Glauben geschenkt. Nicht selten tingeln Betroffene deshalb über Jahre hinweg von Arzt zu Arzt.

Begibt sich der Hypochonder letztendlich in psychiatrische Behandlung, wird die Diagnose "hypochondrische Störung" aufgrund einer ausführlichen Anamnese und eines spezifischen Persönlichkeitstests gestellt. Für die Behandlung ist es wichtig, die Lerngeschichte des Patienten zu verstehen. "Denn wir gehen davon aus, dass die Symptome ein Lösungsversuch für ein stärkeres Problem sind", sagt Psychotherapeut Schulte.

Ablenkung von anderer Belastung

Häufig verweist die Hypochondrie auf ein anderes, sehr belastendes Thema. "Menschen funktionieren sehr symbolhaft, wir verwenden auch unseren Körper als Symbol", erklärt der Experte. Hinter einer Hypochondrie können zum Beispiel starke Schuldgefühle oder das Gefühl, von einer engen Bezugsperson bedroht zu werden, stecken. Weil Betroffene es nicht aushalten, sich ihre Situation zu vergegenwärtigen, richten sie die negativen Gefühle auf den eigenen Körper.

Besonders oft haben Hypochonder Angst davor, an lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs oder Herzproblemen zu leiden. Auch die Bereiche Magen, Brust und Bauch sind sensibel, da sie stark mit dem Gefühlsleben verbunden sind. "Bei emotional stark belasteten Personen bildet sich das seelische Befinden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Bauchbereich ab", sagt Schulte.

Er plädiert dafür, die psychische Störung unbedingt ernst zu nehmen. Betroffene hätten keine Wahl, die Körperwahrnehmungen und Ängste seien real. Angehörigen empfiehlt er, über das Problem zu sprechen. "Man kann zum Beispiel fragen, woher die Sorgen kommen oder erzählen, wie man selber mit eigenartigen Befindlichkeiten umgeht." Es gehe darum, sich über persönliche Bewältigungsstrategien auszutauschen und damit die Menschen in ihrem Erleben abzuholen.

Gute Aussicht auf Besserung

Die Behandlung von Hypochondrie erfolgt je nach Situation in Einzel- oder Gruppentherapien. Der Austausch mit anderen Betroffenen ist oft eine große Erleichterung. Wer den Hintergrund seiner Ängste kennenlernt, sieht klarer und kann die eigene Situation besser verstehen. Das hilft dabei, Einstellungen und Gefühle zu sortieren und die belastenden Probleme zu lösen. "Ziel der Gespräche ist es, dass der Patient wieder im Einklang mit sich selbst, seinem Körper, seinen Empfindungen und letztendlich mit seinem Leben steht", erklärt Schulte.

Neben der Erhöhung der Lebensqualität werde mithilfe von psychotherapeutisch angeleiteten Gesprächen auch Angststörungen oder Depressionen vorgebeugt. Erfahrungsgemäß ist nach drei bis sechs Monaten eine deutliche Besserung spür- oder zumindest erkennbar. "Bei Hypochondrie und Symptomen vergleichbarer Schwere kann in den meisten Fällen binnen eines Jahres mit einer deutlichen Verbesserung gerechnet werden", weiß der Psychotherapeut aus Erfahrung. (Maria Kapeller, 11.7.2018)