Wien/Evanston – "Wer hat, dem wird gegeben": In diesem Sprichwort lässt sich das aus der Soziologie kommende Konzept des "Matthäus-Effekts" zusammenfassen. Diese These geht davon aus, dass Erfolge in der Vergangenheit eine maßgebliche Rolle für weiteren Erfolg in der Gegenwart spielen. Der Ablauf: Die ursprüngliche Leistung hat die Aufmerksamkeit auf den Erfolgreichen steigen lassen, er erhält mehr Ressourcen – und diese machen es ihm leichter, weitere Leistungen zu erbringen.

Daraus können sich theoretisch ganze Erfolgssträhnen ergeben. Ein Hitproduzent in der Musikbranche würde mit erhöhter Wahrscheinlichkeit erneut die Charts stürmen. Und ein erfolgreicher Wissenschafter fände zu steigender Anerkennung, die sich auch in Preis- und Fördergeldern niederschlagen kann.

Das Sample

Ein Forscherteam, dem auch die italienische Komplexitätsforscherin Roberta Sinatra angehörte, die unter anderem am Complexity Science Hub (CSH) Vienna arbeitet, ging dem Phänomen nach und überprüfte es anhand biografischer Daten über 3.480 Künstler, 6.233 Filmregisseure und 20.040 Wissenschafter. Als Anzeichen für einen Erfolgsstatus wurden bei Künstlern die erzielten Preise für ihre Werke herangezogen, für Regisseure die Bewertungen auf der International Movie Database und für Wissenschafter die Zitierungen ihrer Publikationen zehn Jahre nach deren Veröffentlichung.

Es zeigte sich, dass die Mehrzahl der Untersuchten tatsächlich einmal einen Lauf hatte: 91 Prozent der Künstler, 82 Prozent der Filmemacher und 90 Prozent der Wissenschafter. Das Phänomen scheint also weit verbreitet zu sein – doch spricht ein genauerer Blick gegen den Matthäus-Effekt.

Zufallsverteilung

Der Matthäus-Effekt müsste tendenziell dazu führen, dass sich das Auftreten von Erfolgssträhnen in der Mitte der Karriere häuft, schreiben die Wissenschafter um Dashun Wang von der Northwestern University (USA) in ihrer Arbeit. Das konnte jedoch nicht festgestellt werden. Vielmehr stießen die Forscher auf eine Zufallsverteilung.

Beim Blick auf die drei einflussreichsten Arbeiten im Gesamtwerk der untersuchten Personen wurde klar, dass diese nach keinem fixen Schema in der Biografie der Künstler, Regisseure oder Wissenschafter auftreten. Das Ergebnis würde also eher zur Random-Impact-These passen, derzufolge herausragende Werke zufällig im Laufe einer Karriere entstehen und ihr Auftreten vor allem in Zeiten großer Produktivität wahrscheinlicher wird.

Und Erfolg, der sich über die Zeit kontinuierlich anhäuft, konnte auch nicht gefunden werden. Die Erfolgssträhnen, in denen die Arbeiten der Untersuchten durchschnittlich besser bewertet werden, sind zeitlich begrenzt: Der Analyse zufolge erstrecken sie sich bei Künstlern im Schnitt über 5,7 Jahre, bei Regisseuren über 5,2 Jahre und bei Wissenschaftern nur über 3,7 Jahre.

Eine erhöhte Produktivität während dieser Phasen konnte allerdings auch nicht festgestellt werden. Die Forscher sprechen von einer "inneren Verschiebung der individuellen Kreativität" während eines Laufs. Kreativität lässt sich also weiterhin weder berechnen – noch dauerhaft festhalten. (red, APA, 12. 7. 2018)