Ein höllischer Spaß würde es sein, wenn die Blechpaneele in einem großen Krach zu Boden gingen: Es ist typisch für Kienzers Arbeiten, dass nur die Kleinigkeit eines Magneten der Erdanziehung trotzt.

Foto: Galerie Elisabeth & Klaus Thoman/Lena Kienzer

Könnte man das physikalische Phänomen des Ma gnetismus für einen Augenblick außer Kraft setzen, würde es in der Galerie Thoman ziemlich laut krachen: Schließlich fallen in der Ausstellung grau und farbig Michael Kienzers Arrangements farbiger Blechpaneele nur deshalb nicht in sich zusammen, weil Magnete sie an Gewindestangen aufrecht halten. Kienzer hat der bunten Heerschar "prekärer" Skulpturen den Titel Flyer Vol 3 gegeben: Ohne Magnetismus würden sie dem Titel entsprechend fliegen – zumindest (um-)fliegen.

In der Arbeit des 1962 in Steyr geborenen Bildhauers geht es immer wieder um die verschiedensten physikalischen Spannungs felder: etwa jene zwischen Anziehung und Distanz, Ordnung und Chaos, Funktion und Dysfunktion, Offenheit und Geschlossenheit. Oder auch um diverse Konstellationen des Tragens und Lastens.

Minimalistische Struktur

2016 hat Michael Kienzer die Minoritenkirche in Krems einer solchen Kraftprobe ausgesetzt: Der dominanten romanisch-gotischen Architektur hat er mit grauen Verstrebungen eine minimalistische Struktur eingepflanzt. Optisch wirkte diese, als würde sie dem Kirchenschiff mehr Stabilität verleihen. Allerdings: Genau dort, wo die Kräfte sich zu potenzieren scheinen, also in der Mitte der Konstruktion, lagen die Stäbe nur lose auf einem Sockel auf.

Eine Skulptur sei für ihn "ein momentaner physikalischer Zustand von Materialien und Dingen", hat Michael Kienzer einmal gesagt. Dementsprechend fragil sind seine Arbeiten, obwohl er durchaus schweres industrielles Material einsetzt: In der aktuellen Präsentation gehört dazu etwa die Skulptur Schacht horizontal. Eine aus Gitterstrukturen und Beton zusammengesetzte Form, die ihre Tragfähigkeit keineswegs verloren zu haben scheint. Die gewohnten Verhältnisse werden jedoch insofern verkehrt, als dass nun ein Stück engen, dunklen "Undergrounds" im hellerleuchteten, weiträumigen White Cube steht.

Michael Kienzer, der an der Kunstgewerbeschule in Graz bei Josef Pillhofer und in Wien bei Bruno Gironcoli studiert hat, steht mit Arbeiten wie diesen in der Tradition der Minimal oder Post-Minimal Art. Allerdings weicht er die formale Strenge zwischendurch auch sehr bewusst auf.

Farbige Umfaller

In der Wiener Galerie Thoman verantworten das derzeit zum einen seine jüngsten, farbigen "Umfaller" (Kienzer hat vor seinen Flyern bislang kaum Farben verwendet), aber auch eine Reihe überaus poetischer skulpturaler Setzungen: Metal Poem Vol 9 titelt da etwa eine Arbeit, die aus elegant arrangierten, industriell gefertigten Gitterstrukturen besteht. Und ebenfalls an der Wand hängt das Objekt Graues Verhältnis – eine Art Knäuel, für das Michael Kienzer nicht etwa Wolle, sondern Eisen-, Zink- und Stahl bleche ineinander "verwoben" hat.

Dass er aufgrund seines sorgsam-bedachten Umgangs mit vorgefundenem Material geradezu prädestiniert ist für Kunst im öffentlichen Raum, hat er in Wien wiederholt und letztes Jahr auch im Wiener Untergrund bewiesen: Seither kann man in der neuen U1-Station Troststraße sein dysfunktionales "Double" eines Liftes bewundern: eine Skulptur, die er mit baugleichen Teilen einer bestehenden Liftkonstruktion gleich neben dieser aufgebaut hat. (Christa Benzer, 17.7.2018)