Um die Dinge in die richtige Perspektive zu rücken, ist es wichtig zu verstehen, dass es für die Handelsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und Kanada völlig egal ist, ob der österreichische Bundespräsident noch diese Woche geruht, das Handelsabkommen Ceta zu unterschreiben, ob er sich dafür einen Monat Zeit lässt oder ob er darauf wartet, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) das Vertragswerk bewertet.

Strittig ist ja nur ein kleiner Teil des Vertrags, nämlich jener, der regelt, dass ein Unternehmer, der im guten Glauben auf der jeweils anderen Seite des Atlantiks investiert hat, nicht kalt enteignet werden darf – etwa indem Gesetze so geändert würden, dass dem Investor im Nachhinein ein profitables Wirtschaften unmöglich wird.

Ceta sieht – wie viele andere internationale Abkommen – vor, dass solch ein Streit vor einem Schiedsgericht ausgetragen werden soll. In der EU überwiegt die Rechtsmeinung, dass Rechtsfragen dieser Art vor ordentliche Gerichte kommen sollten – und Bundespräsident Alexander Van der Bellen neigt zu der Ansicht, dass er sich mit seiner Unterschrift unter das von der türkis-blauen Regierung durchgewinkte Vertragswert ruhig Zeit lassen kann, bis der EuGH dazu Recht gesprochen hat. Vorher werden ja Staaten wie Belgien und Deutschland auch nicht Ja und Amen dazu sagen. Und vorher tritt jener Teil des Vertrags auch nicht in Kraft.

Die eigentlichen Handelsfragen sind ohnehin gelöst, der Handel floriert, wenn auch auf bescheidenem Niveau: Österreichische Exporte nach Kanada haben im Vorjahr nur 1,14 Milliarden Euro erreicht (und das war schon ein Rekord), große Unternehmen investieren in Kanada – und umgekehrt wurden Waren (etwa Flugzeuge, Eisenerz und Gold) im Wert von 432 Millionen Euro importiert.

Wichtiger als diese Fakten ist allerdings das Signal, das Van der Bellen aussendet, indem er den Zeitpunkt seiner Unterschrift hinausschiebt. Während man im Rest der Welt das Zögern in der Hofburg allenfalls als Randerscheinung wahrnimmt, schlägt es hierzulande hohe Wellen: Selbst die FPÖ, die vor ihrem Regierungseintritt aus allen Rohren gegen den Amtsinhaber geschossen hat, anerkennt sein Zögern nun als "eine korrekte und vernünftige Vorgangsweise" – schließlich hatte sie selbst Ceta entgegen früheren Beteuerungen zugestimmt. Ähnlich geht es der SPÖ. Die Grünen, traditionell ebenfalls Kritiker transnationalen Handels und solcher Investments, können sich zugutehalten, dass sie als Erste den ehemaligen Parteifreund Van der Bellen zur Zurückhaltung aufgefordert hatten.

Und die Wirtschaftspartei ÖVP weiß ohnehin, dass es bei Van der Bellen nicht um jene Unterschrift, sondern um das gute Verhältnis zum Regierungschef geht. Dieses hat sich in den vergangenen Monaten offenbar eingespielt: Der Bundespräsident repräsentiert, wie man das von den Amtsinhabern gewohnt ist – und lässt im Innenverhältnis keine Zweifel daran, dass die türkis-blaue Bundesregierung eben "seine" Regierung ist und sein Vertrauen genießt.

So können sowohl der Bundeskanzler als auch der Bundespräsident Strahlkraft entwickeln. Wenn es nottut, wie nach der Veröffentlichung der Umtriebe deutscher Geheimdienste, gibt es sogar staatstragende gemeinsame Auftritte. Van der Bellen hat das richtige Maß dafür gefunden, wie aktiv man sich hierzulande einen "aktiven Bundespräsidenten" wünscht. (Conrad Seidl, 12.7.2018)