Ein verletztes Tier ist ein gefährliches Tier. Das lernt jedes Kind: nicht streicheln, den angefahrenen Wauzi. John McClane ist so ein verletztes Tier. Er ist ein Cop aus New York. Physisch ist er fit, wie sehr, das werden wir erleben. Aber psychisch ist er angeschlagen. Er lebt in Trennung mit seiner Frau. Er in New York, sie macht drüben in Los Angeles Karriere und hat die Kinder mitgenommen. Schwierig.

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Er wächst erst im Extremfall aus seiner Durchschnittlichkeit heraus: Bruce Willis als John McClane, ein Cop aus New York.
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Zu Weihnachten fliegt er rüber, will alles in Ordnung bringen und über die Zukunft reden. McClane geht zur Weihnachtsfeier seiner Frau im 30. Stock des Hochhauses ihrer Firma. Dort stellt er fest, dass sie unter ihrem Mädchennamen arbeitet – sein Magen zieht sich zusammen. Dann passiert es.

Gangster nehmen die Gäste der Weihnachtsfeier als Geiseln, darunter Holly Gennaro, McClanes Frau. Das verletzte Tier wird gefährlich. McClane flüchtet aufs Dach des noch unfertigen Bauwerks. In den folgenden zwei Stunden wird er das Böse besiegen, seine Frau retten – und ein Hochhaus kaputt gemacht haben.

Weiße Socken

Vor genau 30 Jahren kam Die Hard in die Kinos. Der mit Stirb langsam übersetzte Actionfilm machte aus dem Seriendarsteller Bruce Willis den Hollywoodstar Bruce Willis. Der hatte einen Helden geboren: John McClane, einen modernen Cowboy. Eine Figur, die mit seinem Darsteller verschmolzen ist wie John Wayne mit seinem Image als Duke oder Clint Eastwood mit Dirty Harry.

Doch während Dirty Harry ein sozial wenig populärer und maulfauler Rächer ist, der mit der alttestamentarischen und in den USA bis heute beliebten Auge-um-Auge-Strategie gegen das Böse anrückt, mimt Willis den Ordinary Joe, den Typen von nebenan.

Er kauft seine Klamotten bei The Gap, trägt weiße Socken zur Bundfaltenhose und wächst erst im Extremfall aus seiner Durchschnittlichkeit heraus. Nur seine Ironiefähigkeit lässt ihn als annähernd geistvolles Wesen erscheinen. Ansonsten glänzt er durch das Talent, immer zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.

1,5 Milliarden Dollar

Willis war für John McTiernans Film nicht einmal die zweite Wahl. Sechs anderen Stars bot McTiernan die Rolle an, darunter Sylvester Stallone und Harrison Ford. Erst als niemand anbiss, rückte Willis auf. Das machte sich bezahlt: Mehr als 1,5 Milliarden Dollar sollen Die Hard und seine vier Fortsetzungen allein in den USA eingespielt haben – mit einer widersprüchlichen Hauptfigur.

John McClane ist ein Cop, doch er agiert wie ein Punk. Er verstößt gegen Regeln, ignoriert Hierarchien, lebt danach, dass der Zweck die Mittel heiligt. Erst recht, wenn es persönlich wird. Da wird er zum Desperado, zum einem, der mit Blut, Schweiß und Tränen Cybergangster zum Absturz bringt: ehrliches Handwerk gegen klinische Kriegsführung.

Willis lebt diese Figur. Er spielt einen Amerikaner, der sich auf der Seite der Guten wähnt. Ein Gefühl, das der Zustand der Welt damals, 1988, mittrug. Der Ostblock war dabei, sich zu filetieren, bald würde der Eiserne Vorhang fallen, die Demokratisierung Osteuropas beginnen, die USA die einzig verbliebene Supermacht sein.

"Schweinebacke!"

Diese Supermachtmentalität widerspiegelt sich in McClane. Noch barfuß auf Glassplittern triumphiert er, erfüllt seine Mission. Seine Kraft bezieht er aus dem Glauben an sich selbst. Er ist ein Superheld ohne Strampelanzug. Ihm reichen Feinrippleiberln und ein Magazin zum Nachladen. Er ist knallhart und goschert. Sein Spruch "Yippee ki yay Motherfucker" wird Kult, auf Deutsch zu einem lachhaften "Nimm das, Schweinebacke!"

Ausschnitt aus "Die Hard": "Yippee ki yay Motherfucker".
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Die Mischung aus Normalo und Übermensch spricht das Publikum an. McClane leidet für eine gerechte Sache und stirbt hunderte Beinahtode. Wie andere Bürojobs erledigen, sprengt er Flugzeuge, holt Helikopter vom Himmel und springt von Brücken. Das trägt ihm blutige Kratzer ein, aber sogar wenn er sich selbst durch die Schulter schießen muss, um einen Bösewicht zu erledigen, ist er kurz darauf wieder fit. Ramponiert, aber unzerstörbar.

Er ist das Gegenteil eines modernen Mannes. Ein Dinosaurier mit schlechten Manieren, keine gepflegte Erscheinung, die zur Bartpflege geht oder des Genderns fähig wäre. So einer hat es zuletzt bis ins Weiße Haus geschafft. Doch was im richtigen Leben erschreckt, lässt im Kino bis heute frohlocken.

Variationen des McClane verkörpert Willis immer wieder. In Luc Bessons Das fünfte Element unterstützt er als Taxifahrer und ehemaliger Militär eine fremde Schöne, in Quentin Tarantinos Welterfolg Pulp Fiction stellt er sich – wieder im Feinripp – gegen ein abgekartetes Spiel und erweist sich, trotz seines Betrugs an einem Betrüger, als Mann von Moral. Bessere Filme sind das obendrein.

Dennoch: Neben Rambo, Indiana Jones oder Terminator ist John McClane eine der erfolgreichsten Actionfiguren des Hollywoodkinos der 1980er und 1990er. Während der Terminator sich Menschlichkeit erst erarbeiten muss, ist sie in McClane in all ihrer Imperfektion schon angelegt. Er will das Richtige tun – und biegt ständig falsch ab. Doch für ihn zählt das Ergebnis, nicht wie es dazu kommt, da ist er eigen.

Sympathie für den Simpel

Er mag seinen Pager nicht und weiß nicht, wie man faxt. In Die Hard with a Vengeance (1995) braucht er Samuel L. Jackson, um die Rätsel der Schnitzeljagd zu lösen, auf die ihn Bösewicht Simon Peter Gruber durch New York schickt, eine Fortsetzung später braucht er einen jungen Hupfer, der das Computerzeug für ihn erledigt. Aus seiner Einfachheit schlägt er Sympathie: "Ich würde nicht auf mich wetten", sagt er und grinst.

Als er einmal außer Landes muss, schenkt ihm seine Tochter einen Reiseführer für Idioten. Er freut sich trotzdem. Das liebt das Publikum. John McClane ist ein Macho mit Herz. Ein Mann, der über Leichen geht, um mit seiner Familie das Fest des Friedens feiern zu können. (Karl Fluch, 14.7.2018)