Wenn es um Krankheit oder gar Sterben geht, sind wir Meister der Verdrängung. Wagen wir kurz ein Gedankenexperiment: Was wünscht sich jemand, der plötzlich erfährt, dass er schwerkrank ist? Hand aufs Herz: doch am ehesten einen Arzt, der sich ans Bett setzt, die Hand hält und einem zutiefst verunsicherten Patienten erklärt, was nun Sache ist. Im besten Fall sind Ärzte verständnisvolle, kompetente Retter vor dem Tod, vor Schmerzen und Leid aller Art. Ob die 12.552 Bewerber für ein Medizinstudium in Österreich ihre Zukunft so sehen, ist schwer zu sagen. Sicher ist aber, dass viele von denen, die kürzlich den Test gemacht haben, zittern, ob sie einen der 1680 Studienplätze ergattern. Für sie ist es in den vergangenen Monaten mitnichten um Empathie, Menschenliebe und die Vision vom Arztberuf gegangen, sie haben einfach nur für den Test gebüffelt. Wichtig dabei ist, dass man Multiple Choice kann, also sein Kreuzl vor die richtige in einer Reihe von sehr ähnlich klingenden Antworten setzt. Für diese sogenannte kognitive Kompetenzschulung gibt es private Institute, die Kurse sind aus eigener Tasche zu bezahlen. Eigentlich ungerecht.

Multiple-Choice-Tests sind das Symptom eines industrialisierten Universitätsbetriebs. Mitnichten geht es dabei um irgendwelche menschliche Qualitäten. Aus Sicht der Universitäten mit ihren gebeutelten Personalbudgets sind sie extrem praktikabel, denn Computer werten dann die Prüfungen aus. Deshalb geht es mit Multiple-Choice-Tests auch während des Medizinstudiums weiter. Zu hoffen ist, dass diese Art des Denkens vielleicht im Zuge einer Diagnosefindung hilfreich ist. Unwichtiges ausschließen, Wichtiges erkennen sozusagen. Total kognitiv.

Aber menschlich? Dafür gibt es im Studium dann eigene Module, in denen die Studierenden lernen, was Empathie ist, wie Patientenführung geht oder wie ein Arzt-Patient-Gespräch ablaufen soll. Aber das alles ist im 21. Jahrhundert sozusagen eher Beiwerk. Die Kompetenz beim Ankreuzen ist viel wichtiger.

Was zukünftige Ärzte damit sicherlich nicht lernen, ist, wie unterschiedlich Menschen sein können, wie irrational, unvernünftig und panisch sie im Angesicht von Krankheit sind. Wenn es um die Natur des Menschen geht, läuft Multiple Choice am Leben vorbei. Vielleicht werden eines Tages sogar Tests für kranke Patienten entwickelt – um zu wissen, wie es ihnen geht. (Karin Pollack, 13.7.2018)