Gute Absichten bringen sie an den Rand des Abgrunds, gute Taten stürzen sie hinab.
– Bertolt Brecht

In der Politik ist man, wie im privaten Leben auch, mit Zielkonflikten und gelegentlich sogar mit moralischen Dilemmata konfrontiert. Nicht nur die Themenkomplexe Migration und Flucht kennen solche Dilemmata. Gern wird argumentiert, dass die Zuwanderung den Rechtsextremismus hilft, und deswegen die Zuwanderung gestoppt werden muss.

"Man sollte sich im Zweifel mehr von der Moral leiten lassen und weniger von den neunmalklugen Einwänden derer, die die Moral schlecht reden", meint Robert Misik.
DER STANDARD

Das ist nicht ganz logisch, denn man könnte ja auch meinen, dass wegen des Wachstums des Rechtsradikalismus der Rechtsradikalismus bekämpft gehört – und nicht belohnt. Aber gut, lassen wir die logischen Spitzfindigkeiten. Eine der Charakteristika von moralischen Dilemmata ist, dass an sich moralisch gebotenes Verhalten möglicherweise unintendierte Nebenfolgen nach sich ziehen könnte, die in Summe so schwer wiegen, dass das anscheinend moralisch gebotene Verhalten selbst schon moralisch fragwürdig wird. Deswegen, meinen manche, man solle jede Moral fahren lassen und nur mehr kalt und amoralisch agieren. Deswegen nennen sie auch alle, die so etwas wie ethische Prinzipien haben, "hypermoralisch".

Die Abschaffung der Sklaverei

Nun bekommt man Zielkonflikte und auch moralische Dilemmata nicht immer aus der Welt, man soll aber auch nicht vergessen, dass sie gerne übertrieben werden. Man erinnere sich nur, als in den USA die Sklaverei abgeschafft wurde, da haben bestimmt genug Schlaumeier gegen den Hypermoralismus gewettert, der damals noch Humanismus hieß, und kühl zu bedenken gegeben, dass die Abschaffung der Sklaverei moralisch vielleicht geboten sei, aber viel zu viele gefährliche Nebenfolgen hätte. Die Schwarzen seien ja ganz anders als "Wir" und könnten frei doch gar kein Leben führen, meist würden sie gar keine Jobs finden und verhungern. Sie würden sich außerdem zusammenrotten und die Welt in Stücke schlagen. Zudem würden die Sklavenhalter pleite gehen, weshalb der Wohlstand sinken würde, und dann seien alle zusammen ärmer, die Sklavenhalter, die bisherigen Freien und die bisherigen Sklaven und davon hätte wohl doch niemand etwas.

Kurzum: Die Abschaffung der Sklaverei sei viel zu riskant, man möge um Gottes Willen nicht den weltfremden Ideen der naiven Gutmenschen folgen. Das zeigt uns: Man sollte sich im Zweifel mehr von der Moral leiten lassen und weniger von den neunmalklugen Einwänden derer, die die Moral schlecht reden. (Robert Misik, 15.7.2018)