Graz – Die 17-jährige Alla Jerhade hat eine "klassische" Flucht aus Syrien samt Schiffbruch überlebt, im Gegensatz zu vielen ihrer Mitflüchtlinge. Die Menschen hier in Europa seien viel netter, sagt Alla Jerhade, "wie Familien ...". Sechs Videointerviews mit Flüchtlingen, die derzeit in Graz und Wien leben, hat Thomas Höft, der Chefdramaturg der Styriarte, in die aktuelle Fidelio-Produktion eingeschnitten.

Das junge Paar Jemshed und Anita floh aus Afghanistan, weil Anita zwangsverheiratet werden sollte. Um die Flucht zu finanzieren, hat Jemshed den Schmuck seiner Mutter gestohlen. Er schämt sich sichtlich noch heute dafür. Und es mutete nicht wenig befremdlich an, als Kerkermeister Rocco auf diese bewegende Geschichte hin anhob zu trällern "Hat man nicht auch Gold bei neben ...". Taktvoller gelang die Verknüpfung des beklemmenden Folterberichts von Karan aus Sri Lanka mit Florestans Rezitativ und Arie "Oh welch' ein Dunkel hier ...". Flüchtlingsschicksal als Opernversatzstück? Eine mindestens zweischneidige Sache.

Keine solchen Fragen offen ließ die Musik. Das Styriarte-Festspiel-Orchester unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada stürzte sich mit Verve in die Beethoven'schen Exaltiertheiten. In der Titelrolle überzeugte Johanna Winkel als Fidelio-Leonore. Ihr Sopran spannte sich souverän über alle Lagen. Das gilt ebenso für Tetiana Miyus, die die Rolle der Marzelline quirlig erfüllte.

Johannes Chum kämpfte als Florestan gegen die Tücken der Höhe und Dramatik. Gewohnt klangschön gelangen ihm die wenigen ruhigen Momente. Jochen Kupfer wusste sich als Don Pizarro darstellerisch gar nicht einzukriegen vor lauter Bosheit, sängerisch dagegen präzise dosiert. Adrian Eröd gab einen eleganten Don Fernando und Vollblutpopulisten. Thomas Stimmel in der Rolle des Kerkermeisters Rocco überzeugte als nachdenklicher Pflichterfüller. Feig wie wir alle? (Heidemarie Klabacher, 15.7.2018)