Les Bleus sind sicher in Paris gelandet und haben auch den Pokal mitgebracht.

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Die Trophäe in Händen von Frankreichs Goalie Hugo Lloris.

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Menschenmassen haben sich auf den Champs-Elysées versammelt um die Équipe Tricolore zu empfangen.

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Ideale Location für die Fete.

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Didier Deschamps mit der Trophäe 1998 und 2018.

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Paris – "Wir kommen alle ins Paradies", verkündet die Zeitung "Le Parisien" im Überschwang der Gefühle. "Und die Blauen haben uns die Tür dazu geöffnet." Sei es im Menschenmeer auf den Pariser Champs-Elysées oder im hintersten Dorfwinkel – landesweit schäumten am Sonntagabend die Emotionen hoch. Mittelfeldspieler Paul Pogba sprang bei der obligaten Pressekonferenz nach dem Moskauer Finale auf das Podium und rief "Vive la France, vive la République!"

Der Bus der Nationalmannschaft war mit einer rund zweistündigen Verspätung an der Place Charles de Gaulle am Triumphbogen angekommen. Die Spieler stiegen dann in der Nähe der Champs-Elysees in einen offenen Doppeldeckerbus um.

Im Elyseepalast, dem Amtssitz von Präsident Emmanuel Macron, warteten laut Fernsehsender BFMTV rund 3.000 Menschen auf die Ankunft der Spieler. Macron hatte zu dem Empfang auch viele junge Sportler eingeladen. "Ändert nichts", lautete der Appell von Macron an die Weltmeister.

Bereits zuvor wurde bekannt, dass die 23 Spieler des WM-Kaders mit dem französischen Verdienstorden der Ehrenlegion ausgezeichnet werden sollen. Einen offiziellen Termin dafür gebe es allerdings noch nicht, hieß es von offizieller Seite.

Macron wagte sich nicht nur in die Spielerkabine des Luschniki-Stadions, sondern schaffte es sogar, sich im allgemeinen Tohuwabohu Gehör zu verschaffen. "Ihr habt die Hoffnungen der Franzosen getragen", schrie er den Blauen zu und erntete ein halb ironisches "Yes Sir!" als Antwort. "Während eures Lebens werdet ihr nie mehr die Gleichen sein!", rief er weiter, gefolgt von: "Yes Sir!" Dann skandierten die Profis, die vorwiegend noch mit ihren Tätowierungen bekleidet waren, aus vollem Hals: "On va tout casser!" – Wir werden alles zusammenschlagen!

Diesen Ausdruck französischen Temperaments verstanden zu Hause nicht alle richtig: In vielen Städten von Marseille bis Straßburg kam es am Rande der Jubelfeiern zu Krawallen und Zerstörungen. An den Champs-Elysées wurde das bekannte Geschäft Drugstore geplündert und seiner teuren Wein- und Champagnerflaschen beraubt. Die Polizei setzte vielenorts Wasserwerfer und Tränengas ein, um der teils Vermummten Herr zu werden.

Hunderttausende feiern friedlich

Sie waren aber eine winzige Minderheit, gemessen an den Hunderttausenden, die auch am Montag auf die Pariser Prachtavenue strömten – diesmal, um den Vorbeizug im offenen Bus der aus Moskau zurückgekehrten Bleus zu verfolgen. Hochrufe gab es vorab für einen Nichtspieler: Didier Deschamps ist nach seinen legendären Vorgängern Mario Zagallo und Franz Beckenbauer erst der dritte Erdenbürger, der einen WM-Titel als Spieler (1998 in Paris) und dann als Nationaltrainer (jetzt in Moskau) gewonnen hat.

Gebührender Empfang für die Weltmeister auf den Champs-Elysées.
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Die Pariser Metrobetriebe hatten die amüsante Idee, sechs U-Bahn-Stationen umzutaufen, sodass aus "Notre-Dame-des-Champs" nun für einige Zeit "Didier Deschamps" wird. "Victor Hugo" verwandelt sich als Hommage an den Torwart in "Victor Hugo Lloris" und "Etoile" in "On a 2 Etoiles" – "wir haben zwei Sterne" am Trikot, also zwei WM-Titel.

Dann hatten Frankreichs neue Helden einen Termin im Elysée. Macron beweist nicht nur Sinn für mediale Inszenierungen, sondern auch für nationale Symbole. Zum Halbfinale hatten sich der kinderlose Präsident bereits von einem zwölfjährigen Schüler aus der Banlieue-Stadt Créteil begleiten lassen; zum Finalspiel nahm er einen Stabsgefreiten mit, der im laufenden Wüstenkrieg in Mali ein Bein und einen Arm verloren hat.

Kinder der Vorstadt

Am Montagabend lud er neben den Bleus rund 4.000 Fußballspieler und -fans aus den Ursprungsvereinen heutiger Profispieler in den Garten des Elysée-Palasts ein. Denn Kylian Mbappé, Blaise Matuidi, Ngolo Kanté und Paul Pogba stammen nun einmal aus den Pariser Vorstädten Bondy, Roissy-en-Brie, Vincennes oder Suresnes.

Ob die Fußball-WM einen neuen Integrationsschub bewirkt, wird vielenorts bezweifelt: Die Jubelstimmung kann nicht ewig anhalten, und Macrons Symbole wirken oft etwas aufgesetzt. Auch erinnert man sich an Frankreichs Weltmeistertitel von 1998: Damals wurde Zinedine Zidanes Elf nicht nur in rot-weiß-blauen Farben gefeiert, sondern als "black-blanc-beur" (schwarz-weiß-maghrebinisch) – doch die Langzeitfolgen blieben aus.

"Erwarten wir nicht, dass der WM-Erfolg die Gesellschaft verändern wird", meint der Historiker Pap Ndiaye. "Sportliche Siege schaffen nur kurze Momente der Verbrüderung. Sie sind gewiss wertvoll und erinnerungswürdig, aber ohne dauerhafte Wirkung auf die Gesellschaft. Im Gegenteil können die geweckten Hoffnungen, wenn sie nicht erfüllt werden, sogar Bitterkeit bewirken." So habe sich der Exploit der Zidane-Elf vor 20 Jahren rasch einmal als Illusion erwiesen, meinte Ndiaye. Ab 2002 seien die Wahlerfolge des Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen gefolgt, 2005 die schweren Banlieue-Krawalle. Deshalb fielen die Erwartungen an die Integrationswirkung jetzt "bescheidener und realistischer" aus als 1998, denkt der aus dem Senegal stammende Forscher.

Umstrittener Mehrwert

Immerhin wird die starke Präsenz von Immigrantensöhnen in der Nationalelf heute in Frankreich als Selbstverständlichkeit angesehen. Ob dies das Siegesgefühl überdauern wird, muss sich weisen. Sicher ist, dass der starke Anteil von Abkömmlingen ehemaliger Kolonien in Frankreich als normaler angeschaut wird als im Ausland. Krassestes Beispiel ist der kroatische Ex-Spieler Igor Štimac, der auf Twitter gegen Frankreichs "Männer in Schwarz" hetzte. Darauf angesprochen, antwortete Deschamps, die vielen Zugewanderten aus Afrika und Übersee bildeten für Frankreich einen "Reichtum", wie man nun auch sehe.

Neue Dynamik erhofft sich Macron auch für seine Wirtschaftsreformen. Sein Slogan "Frankreich ist zurück" erhält dadurch neue Nahrung, und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire meinte, der WM-Sieg sei "gut für das Wachstum". Der Sportökonom Jean-Pascal Gayant ist bedeutend skeptischer: "Eine gewisse Ankurbelung der Konsumlust – die für die französische Konjunktur traditionell wichtiger ist als die Exporte – ist in diesem Sommer nicht ausgeschlossen. Eine Langzeitwirkung ist aber in solchen Fällen nie identifizierbar." Sein Berufskollege Cristophe Lepetit glaubt "keineswegs an die Schaffung von Mehrwert durch ein solches Sportereignis". Macron könnte also der erste Enttäuschte des WM-Effekts sein. (Stefan Brändle, 16.7.2018)

Auch in Wien feierten die Franzosen den Titel.
DER STANDARD