Ulrike Sych, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien

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Elisabeth Freismuth, Kunstuniversität Graz

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Elisabeth Gutjahr, Universität Mozarteum Salzburg

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Man sollte sich keinen Illusionen darüber hingeben, dass Wissenschaft und Kunst ganz unterschiedlichen Regeln folgen und entsprechend unterschiedliche Ziele haben. Wissenschaft unterliegt der epistemischen Verpflichtung, Wissen zu generieren, dessen Zustandekommen im Prinzip Schritt für Schritt nachverfolgbar sein muss. (...) Die Kunst hat keine epistemischen Verpflichtungen, und dies ist ihr großes Privileg." Das schrieb der deutsche Wissenschaftshistoriker Michael Hagner im Jahr 2010, als die "künstlerische Forschung" an den Kunst-Unis längst zum Thema geworden war. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit sind sich die Welt der Wissenschaft und jene der Kunst inzwischen sichtlich nähergekommen.

In Österreich spielt bei dieser Annäherung die Universitätswerdung der sechs staatlich finanzierten Kunstuniversitäten vor 20 Jahren eine zentrale Rolle. Damit einher ging unter anderem die Aufwertung der Wissenschaft an den Kunst-Unis, die nunmehr den gleichen Stellenwert bekommen sollte wie die Kunst. Neben der wissenschaftlichen Forschung, die sich von der Forschung an "normalen" Unis nicht unterscheidet, wird an den Kunstuniversitäten auch "artistic research", eben "künstlerische Forschung", betrieben. Dabei handelt es sich um eine relativ neue Wissenschaftstheorie, die künstlerische Verfahrensweisen als diskursive Prozesse versteht, die wie die Methoden der etablierten Wissenschaften Erkenntnis erzeugen.

Eine Frage der Praxis

In der Praxis wird diese künstlerische Forschung an den österreichischen Kunst-Unis durchaus unterschiedlich definiert: So wird im Bereich der bildenden Kunst mitunter ein Kunstwerk höchster Qualität der wissenschaftlichen Forschung gleichgesetzt. "An der Kunstuniversität Graz (KUG) sehen wir das ganz anders", so Elisabeth Freismuth, Noch-Rektorin der KUG (sie wird am 1. Oktober abgelöst). "Bei uns müssen Künstler für ihre wissenschaftlichen Arbeiten die gleichen Methoden einsetzen wie wissenschaftliche Doktoranden." Wobei die Ergebnisse dieser Arbeit wieder in das Ausüben der Kunst einfließen sollen. "Wir verlangen ganz strikt Wissenschaftlichkeit." Auf diese Strenge ist man in Graz stolz: "Wir sind damit Vorbild für andere Universitäten und wollen nun ein eigenes Zentrum für künstlerische Forschung aufbauen."

Einzigartige Ansätze

Auch am Mozarteum in Salzburg fühlt man sich bestimmten erkenntnistheoretischen Denktraditionen verpflichtet: "Die methodischen Ansätze spannen sich von der empirischen Sozialforschung bis zur Hermeneutik, von der deskriptiven Statistik bis zur interpretativen Analyse", sagt Mozarteum-Rektorin Elisabeth Gutjahr. "Im interuniversitären Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst beforschen wir gemeinsam mit der Paris Lodron Universität Salzburg seit fast zehn Jahren den Grenzbereich zwischen künstlerischen sowie geistes- und kulturwissenschaftlichen Themen."

Was die Forschung an Kunst-Unis so besonders macht, sei nicht zuletzt ihre unmittelbare Verknüpfung mit der künstlerischen Praxis: "Dadurch ergeben sich einzigartige methodische und inhaltliche Ansätze", betont Ulrike Sych, Rektorin der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. "Forschung kann die Kunst, ihre Ausübung und Lehre ergänzen, begleiten und weiterentwickeln – in unserem Fall etwa im Bereich der Performance-Studies oder der musikalischen Akustik."

Außerdem forciere sie die kritische Auseinandersetzung mit Geschichte, Ästhetik und Kunst im Verhältnis zu den zentralen gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart. Durch die Verankerung der Forschung an den Kunst-Unis können, so Sych, ganz spezifische Forschungsfragen und -felder erschlossen werden: "Das reicht vom kulturtheoretischen Ansatz der Transkulturalität über die Musiktherapieforschung bis zur Erforschung von Bewertung künstlerischer Leistung."

Nutzen für die Gesellschaft

Was aber bringt die "Verwissenschaftlichung" der Kunst den Studierenden? "Natürlich wollen sich manche vor allem auf ihr Instrument konzentrieren", weiß Elisabeth Freismuth. "Wir bemühen uns sehr, auch diese Studierenden vom Mehrwert des wissenschaftlichen Arbeitens zu überzeugen." Wie das gelingen kann? "Indem wir eine hochwertige und breite Ausbildung anbieten, die Reflexionsfähigkeit und Flexibilität fördert", so die KUG-Rektorin. "In einer Zeit, in der Kulturbudgets gekürzt und Honorare immer bescheidener werden, außerdem fixe Anstellungen fast nicht mehr zu haben sind, müssen Künstler breit aufgestellt sein." Damit sie bei Bedarf auch als Kunstvermittler oder Theaterpädagogen etc. arbeiten können.

Dass Forschung an Kunst-Unis auch für die Gesellschaft einen Nutzen hat, ist für Mozarteum-Chefin Elisabeth Gutjahr eine klare Sache – sei sie doch "ein wesentlicher Beitrag zur Kompetenzsicherung des Standortes als Land eben auch der Hochkultur."

Durch Forschung und die Förderung von Neuem werde überdies an einer "anderen Art von Kulturlandschaft" mitgebaut, ergänzt Elisabeth Freismuth: "Die Forschung im Bereich der Alten Musik beispielsweise lässt neue Kulturangebote entstehen, die auch ein neues Publikum hervorbringen." Das könne man unter anderem an der Styriarte beobachten, dem jährlichen Festival für klassische und Alte Musik in der Steiermark. Besondere Chancen ergeben sich, so Elisabeth Gutjahr, vor allem durch den direkten "Tür an Tür"-Kontakt zwischen primär künstlerisch und primär wissenschaftlich Aktiven: "So können sich künstlerische Praxis und wissenschaftliche Forschung auf unkomplizierte Weise verschränken."

Anerkannte Musikforschung

Durch den hohen Stellenwert, welcher der Forschung mittlerweile eingeräumt wird, sieht man sich durchaus auf Augenhöhe mit den wissenschaftlichen Unis. Eine Bestätigung dafür und Kraftnahrung für das Selbstvertrauen in Sachen Forschung lieferte die Verleihung des heurigen Wittgensteinpreises, des "österreichischen Nobelpreises", an die Ethnomusikologin Ursula Hemetek von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. "Ihre Tätigkeit im Bereich der musikalischen Minderheitenforschung spiegelt, wie beispielsweise auch die naturwissenschaftliche Arbeit unseres Instituts für Musikalische Akustik, die enorme Bandbreite der Forschungsmöglichkeiten an Kunst-Unis wider", sagt Rektorin Ulrike Sych.

Da Forschung bei aller Ambitioniertheit auch finanziert werden muss, stellt sich allerdings die Frage, ob die österreichischen und europäischen Förderinstrumente die besondere Situation der Kunst-Unis tatsächlich ausreichend berücksichtigen.

"Die Programme des Wissenschaftsfonds FWF sind eindeutig nicht an unsere spezielle Situation angepasst", ist Mozarteum-Chefin Gutjahr überzeugt. Zwar gebe es ein FWF-Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste (PEEK) und darüber hinaus weitere Förderprogramme – "allerdings sind Künstler und Vertreter der Geisteswissenschaften zu wenig in den entscheidenden Kommissionen zur Vergabe von Forschungsfördermitteln eingebunden".

Etwas positiver wird die Fördersituation von Ulrike Sych eingeschätzt: "Viele der FWF-Programme bieten für uns ausgezeichnete Fördermöglichkeiten, wobei das PEEK-Programm besonders hervorzuheben ist." In Graz ist man mit den eigenen Erfolgen beim Akquirieren von Drittmitteln sehr zufrieden: "In unserem FWF-geförderten Interpretationsforschungsprojekt zu Karajan arbeiten wir nicht nur mit allen österreichischen Musik-Unis zusammen, sondern auch mit Experten vom MIT, von Stanford und Harvard", berichtet Elisabeth Freismuth stolz.

Alles in allem wird an den österreichischen Musik-Unis durchaus erfolgreich in unterschiedlichsten Bereichen und diversen Kooperationen geforscht. In Hinblick auf den Differenzierungsprozess, der seit dem 17. Jahrhundert Wissenschaft und Künste zunehmend voneinander getrennt hat, könnte man mit dem Philosophen Konrad Paul Liessmann also zu folgendem Schluss kommen: "Kunst und Wissenschaft stehen seitdem in einem Spannungsverhältnis, das am fruchtbarsten dann ist, wenn sich diese Disziplinen wechselseitig beobachten und durchdringen und dabei die Erfahrung machen, wie viel vom anderen sie selbst noch immer enthalten." (Doris Griesser, 20.7.2018)