Viertagewoche als Ausgleich für den Zwölfstundentag: Was die Regierung verwehrte, will ÖGB-Präsident Katzian den einzelnen Unternehmen abringen.

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ÖGB-Chef Wolfgang Katzian fordert von der Wirtschaft, dass Unternehmen die Viertagewoche im Ausgleich für die Einführung des Zwölfstundentags festschreiben: "Wir wollen Spielregeln durchsetzen, zum Beispiel den immer wieder versprochenen Anspruch auf eine Viertagewoche als Ausgleich – im Gesetz steht kein Wort davon", sagt er im STANDARD -Interview.

Einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten stehe die Gewerkschaft nicht grundsätzlich im Wege. Es müsse aber, wie etwa bei der Polizei oder in Krankenhäusern, im Gegenzug planbare Freizeitblöcke für Arbeitnehmer geben. Dieses Ziel werde man in Kollektivvertragsverhandlungen verfolgen. "Für die Besteller ist jetzt Zahltag", sagt Katzian mit Blick auf die Industrie, die lange eine Ausweitung der Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden gefordert hat.

STANDARD: Zur ÖGB-Demo gegen den Zwölfstundentag sind 100.000 Menschen gekommen ...

Katzian: ... worauf wir auch sehr stolz sind. Schließlich mussten wir rasch reagieren, weil die Regierung das Gesetz vor dem Sommer regelrecht durchgepeitscht hat. Viele Organisationen gibt es nicht, die das zusammenbringen.

STANDARD: Doch dann wurde es rasch still. Ist der Kampfgeist der Gewerkschaft auf Urlaub?

Katzian: Nein, wir wollen das Pulver nur nicht auf einmal verschießen. Statt einem kurzen Strohfeuer braucht es einen langen Atem. Im Sommer setzen wir Nadelstiche, als Vorgeschmack auf den Herbst. Im September gibt es dann erstmals eine Konferenz aller Kollektivvertragsverhandler aller Gewerkschaften, also Betriebsräte aus ganz Österreich,. Dort werden die weiteren Schritte beschlossen.

STANDARD: Da wird das Gesetz zur Ausweitung der Arbeitszeit bereits in Kraft sein. Wenn die Reform so schlimm ist, wie Sie sagen: Warum hat der ÖGB nicht längst schon irgendetwas lahmgelegt?

Katzian: Wenn wir da oder dort etwas lahmlegen, dann sorgt das vielleicht für Aufsehen, ändert aber nichts an einer Tatsache: Das Parlament hat das Gesetz mit einer Mehrheit beschlossen, das kann ich nicht einfach in die Luft werfen. Also müssen wir zu verhindern versuchen, dass die Auswirkungen bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen. Wir richten den Scheinwerfer auf jene, die das Gesetz bestellt haben: Unternehmer und die Industrie. Für die Besteller ist jetzt Zahltag. Es kann nicht sein, dass die Arbeitnehmer nichts kriegen.

STANDARD: Was wollen Sie bei den Unternehmern konkret erreichen?

Katzian: Das Gesetz erlaubt Unternehmern, Zwölfstundentage ohne Mitsprache der Belegschaften zu verhängen, Betriebsvereinbarungen sind nicht mehr nötig – jeder Arbeitgeber kann so tun, wie es gerade passt. Wir wollen Spielregeln durchsetzen, zum Beispiel den immer wieder versprochenen Anspruch auf eine Viertagewoche als Ausgleich – im Gesetz steht kein Wort davon. Aus manchen Betrieben hören wir ja schon, was für Probleme aufpoppen. So hat mir ein Mann geschrieben, dem der Chef in einem Streit um Überstunden gedroht hat: "Ab 1. September wirst deppert schauen, dann haben wir die Zwölfstundentage – wennst dann nicht hackelst, hau ich dich raus."

STANDARD: Ich kenne hingegen Leute, die ohne viel Aufhebens zwölf Stunden arbeiten, wenn es ein Projekt abzuschließen gilt – und dann halt bei der Arbeitszeitaufzeichnung tricksen müssen. Gießt die Regierung nicht etwas in einen Rahmen, das längst Realität ist?

Katzian: Mir ist schon bewusst, dass es diese Fälle gibt, deshalb braucht es ja Spielregeln und von den Sozialpartnern ausgehandelte Rahmenbedingungen. Nehmen wir die Krankenhäuser oder die Polizei als Beispiel, wo schon jetzt zwölf Stunden gearbeitet wird. Gesund ist das dort auch nicht, aber als Gegenleistung gibt es zum Beispiel planbare Freizeitblöcke oder – wie im öffentlichen Dienst – die sechste Urlaubswoche. Genau das findet für die Menschen in der Privatwirtschaft nicht statt.

STANDARD: Das Gesetz garantiert den Arbeitnehmern immerhin freie Wahl, ob sie für Überstunden Geld oder Freizeit wollen.

Katzian: Das heißt aber nicht, dass die Leute die Freizeit dann nehmen können, wann sie wollen: Von einem Selbstbestimmungsrecht ist im Gesetz keine Rede. Erst wenn es dieses gibt, wäre das die positive Flexibilisierung, die sich die Menschen wünschen – sonst sagen sie zurecht: "Haut‘s euch über die Häuser!". Denn wie wird das in der Praxis aussehen? Zeitguthaben wird angehäuft und bis zum Sankt Nimmerleinstag verschoben, weil die Arbeitnehmer nicht frei bekommen. Die Betriebe werden jetzt ja nicht mehr Leute aufnehmen, wo sich die Produktionsspitzen mit dem Zwölfstundentag abdecken lassen. Da werden zu den vielen Millionen Überstunden, die in diesem Land nicht ausbezahlt werden, noch viele weitere dazukommen.

STANDARD: ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger zeigt sich überzeugt davon, dass es weiterhin Betriebsvereinbarungen gibt, weil die Betriebsräte diese bei der Schlichtungsstelle erzwingen könnten.

Katzian: Das ist dieses allgemeine Blabla, das ihm auch die Arbeitnehmervertreter aus der ÖVP nicht abnehmen. Es gibt richtig viele Betriebsräte aus der Christgewerkschaft, die mächtig angefressen sind und sagen: "Da wird über uns drübergefahren." Das Prinzip der Sozialpartnerschaft war auch, dass die Arbeitnehmer für Belastungen immer eine Kompensation bekommen haben. Diesen Weg verlässt die Regierung.

STANDARD: Es ist nicht so, dass Sie nie gefragt wurden: Die Sozialpartner haben lange über die Arbeitszeitflexibilisierung verhandelt, aber halt keine Einigung geschafft.

Katzian: Ja, im Vorjahr wurde unter der alten rot-schwarzen Regierung verhandelt, und wie immer hat es Wünsche beider Seiten gegeben. Wir haben es uns jene der Arbeitgeber angehört, da gab es Ansätze für Kompromisse, wenn es auch Verbesserungen für Arbeitnehmer gibt – doch unsere Wünsche wurden einfach vom Tisch gewischt. Daher sind die Verhandlungen gescheitert, keine Gewerkschaft der Welt hätte einem Verschlechterungsprogramm zustimmen können.

STANDARD: Ist es bei so einem Patt nicht verständlich, wenn die Regierung eine Entscheidung trifft?

Katzian: Hätte die Regierung Interesse an einem Dialog mit den Sozialpartnern, hätte sie beispielsweise mit uns reden und eine kurze Frist setzen können. Die Koalition hat aber kein einziges Gespräch mit dem ÖGB oder der Arbeiterkammer geführt. Dabei ist die Sozialpartnerschaft in der DNA viele Österreicher verankert. Der Mehrheit der Leut‘ ist es lieber, wenn solche Fragen am Verhandlungstisch statt auf der Straße gelöst werden.

STANDARD: "Die Sozialpartnerschaft ist tot, sie weiß es nur noch nicht": War der Satz des damaligen Finanzministers Hans Jörg Schelling geradezu prophetisch?

Katzian: In vielen Betrieben funktioniert die Sozialpartnerschaft nach wie vor, und auf Branchenebene schließen wir 450 Kollektivverträge pro Jahr ab. Wenn es um die politische Ebene geht: Ich kann und werde die Sozialpartnerschaft nicht herbei weinen und werde auch damit leben, wenn es sie nicht mehr gibt. Ohne Gespräche mit uns wird der Weg des Dialogs verlassen. Damit sind wir dann beim Arbeitskampf und bei Protesten auf der Straße. Das machen wir nicht aus Jux und Tollerei, weil wir oft genug bewiesen haben dass wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Aber wir können es und werden es tun, wenn es keinen anderen Weg gibt.

STANDARD: Haben Sie in Ihrem Leben überhaupt schon gestreikt?

Katzian: Natürlich, ich war an mehreren Arbeitskämpfen beteiligt! Bei meinem ersten Mal war ich 20, da haben die Angestellten der Privatversicherungen für einen Kollektivvertrag gestreikt. Um sechs Uhr früh bin ich mit einem VW-Bus die Streikposten abgefahren, um Kaffee auszuschenken. Bei der dritten Station gab es einen Wickel mit einem Mann, der arbeiten wollte – da habe ich gelernt, dass ein Streik nicht nur etwas Romantisches ist, sondern eine komplexe Geschichte. Es braucht Einigkeit in den Belegschaften, wohl überlegte Botschaften und Ziele, Durchhaltevermögen und eine Exit-Strategie. Ein Arbeitskampf ist immer eine Entscheidung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Fläche – und die sind dann bereit, wenn es keinen anderen Weg gibt, ihre Interessen durchzusetzen. (Gerald John, 22.7.2018)