Für Kinder vergeht die Zeit im Schneckentempo, für Erwachsene vergeht sie im Flug. Vergleich ist die Ursache für dieses Empfinden. Auch Erwachsene sollten öfter etwas ganz Neues machen.

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Oft sind es die ganz banalen Dinge, die Forscher in Angriff nehmen. An der Technischen Universität Chemnitz steht das subjektiv empfundene, menschliche Zeitempfinden im Zentrum der Forschungen. Es gilt die Frage zu klären, welche Einflussfaktoren hier eine Schlüsselrolle spielen. Ein Beispiel: Vielen Menschen erscheint der Rückweg immer kürzer als der Hinweg. Oder: Je älter man wird, umso schneller scheint die Zeit zu verfliegen. Wenn gerade erst Weihnachten war, steht es schon wieder vor der Tür.

"Die neuropsychologische Forschung zeigt, dass es mehrere Bereiche im Gehirn gibt, die über Schleifensysteme vernetzt und verantwortlich für das Zeitempfinden sind", erklärt Isabell Winkler vom Institut für Psychologie in Chemnitz. Auch Tiere und kleine Kinder könnten bereits Unterschiede in der Dauer von Reizen wahrnehmen. Das lässt die Annahme zu, dass die Wahrnehmung von Zeit angeboren ist. Allein: Was Dauer bedeutet, muss im Laufe des Lebens erst erlernt werden, wie Zählen oder die Uhr lesen.

Ablenkung manipuliert

Es gibt Faktoren, die die Zeitwahrnehmung beeinflussen und damit auch verfälschen können. Beispielsweise Ablenkung, emotionale Aktivierung oder körperliche Anstrengung. Winkler: "Wenn Menschen warten müssen und sich dabei nicht ablenken können, kommt ihnen die Zeit meist ziemlich lang vor. Oft sind diese Schätzungen dann auch genauer, weil man sich auf die verstreichende Zeit konzentriert und diese besser wahrnehmen kann. Lenkt man sich ab – etwa durch das Internet, Videos schauen oder Musik hören –,, scheint die Zeit schneller zu vergehen." Die tatsächliche Dauer würde tendenziell unterschätzt, weiß Winkler.

Besonders wenn rückblickend über bereits länger vergangene Zeitspannen geurteilt werden soll, kämen weitere Faktoren hinzu. Es sei beispielsweise wichtig, welche Ereignisse in Erinnerung geblieben seien beziehungsweise wie routiniert die Handlungen waren.

Handlungsroutinen seien auch ein wichtiger Hinweis auf die Frage, warum die Zeit für Kinder scheinbar viel langsamer vergeht als im Erwachsenenalter. Anhand dieses Phänomens untersuchte Winkler die Einflussfaktoren des Zeitempfindens. "In der Forschungsliteratur gibt es eine Reihe von Theorien zu diesem Alterseffekt, also dem Umstand, dass die Zeit im zunehmenden Alter schneller vergeht. Aber die Ergebnisse der jeweiligen Studien waren nicht schlüssig und sogar etwas paradox. Der Effekt trat nur dann auf, wenn die Geschwindigkeit des Zeitvergehens für vergangene Lebensperioden beurteilt wurde. In der Regel wurde jedoch kein Unterschied festgestellt, wenn das Zeitempfinden in der aktuellen Lebensperiode zwischen Teilnehmern verschiedener Altersgruppen verglichen wurde."

Damit handle es sich also nicht um einen tatsächlichen Wahrnehmungsunterschied, der vom Alter abhängt, sondern um ein Gedächtnisphänomen beziehungsweise einen Erinnerungseffekt. Der Alterseffekt der Zeitwahrnehmung entstehe somit beim Vergleich des rekonstruierten Zeitempfindens zwischen den verschiedenen Lebensperioden eines Menschen.

Routinen als Ursache

Um diese Widersprüchlichkeit der Ergebnisse aufzulösen, setzte sich die Arbeitsgruppe zwei Ziele: Zum einen überprüfte sie, ob ein Vergleichskontext notwendig sei, damit der Alterseffekt auftritt, also ein Vergleich des Zeitempfindens der Gegenwart mit der Wahrnehmung in früheren Lebensperioden. Zum anderen verfolgte sie das Ziel, mögliche Ursachen für den Alterseffekt zu untersuchen. Hierfür wurden mehr als 500 Menschen im Alter von 20 bis 80 Jahren nach ihrem Zeitempfinden in der aktuellen und in früheren Lebensperioden befragt. Das Ergebnis: Übereinstimmend mit früheren Ergebnissen wurde ein deutlicher Alterseffekt erzielt, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschiedene Lebensperioden retrospektiv verglichen haben.

"Zunehmende Routinen führen zu weniger intensiv und bewusst erlebten Ereignissen oder Handlungen. Damit werden in derselben Zeitspanne weniger unterschiedliche Ereignisse beziehungsweise Elemente einer Handlung erinnert, und die Dauer wird als kürzer wahrgenommen," erklärt Winkler. Daher stelle sich rückblickend der Eindruck ein, die Zeit müsse schneller vergangen sein, obwohl sich dies in der entsprechenden Situation nicht so anfühlen muss.

Kinder etwa erlebten natürlicherweise mehr Dinge zum ersten Mal und nehmen diese dadurch vermutlich intensiver und detailreicher wahr. Aufgrund dessen könne das Erlebte besser und facettenreicher erinnert werden, wodurch eine längere Zeitspanne rekonstruiert und die Zeit daher auch als länger dauernd erlebt würde.

Stress als Faktor

Stress und Zeitdruck im Erwachsenenalter würden zusätzlich bewirken, dass Handlungen und Ereignisse weniger bewusst, detailreich und damit weniger achtsam erlebt werden können. Winkler: "Meist müssen mehrere Dinge gleichzeitig erledigt werden, und man kann sich nicht die Zeit nehmen, sich auf Einzelheiten zu konzentrieren. Rückblickend werden dann meist weniger Elemente des Erlebten erinnert und die Zeitspanne als kürzer wahrgenommen." Demnach lassen Stress und Druck die Zeit rückblickend schneller vergehen. Sogar in der Situation, in der dieser Stress empfunden wurde, würde der Zeitverlauf als zügiger erlebt werden, da die Wahrnehmung einer Person in Stresssituationen stark von der Zeit abgelenkt werden würden.

Um das "Beste" aus seiner Zeit rauszuholen, rät Isabell Winkler, seine Zeit achtsamer zu verbringen. "Wann immer es der Alltag zulässt, könnte man Routinen durchbrechen und sich positive, bleibende Erinnerungen schaffen." Hilfreich sei vor allem, bewusst neue Dinge zum ersten Mal auszuprobieren. (red, 24.7.2018)