Robert Brieger ist der neue Chef des Generalstabs – und setzt sich vehement für eine Qualitätsverbesserung bei der Truppe ein: Bataillone, die materiell bisher nicht ausreichend ausgestattet waren, sollen nach und nach eigene Fahrzeuge, Bewaffnung und Gerät bekommen.

Foto: newald

"Es muss der Aspekt konventioneller Bedrohungen wieder stärker in den Fokus kommen. Sich zurückzulehnen wird nicht reichen", meint Brieger.

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Wien – Für den Weiterbetrieb der Eurofighter oder deren Ersatz durch andere Flugzeuge sei jedenfalls eine Sonderfinanzierung notwendig, sagt der neue österreichische Generalstabschef Robert Brieger im STANDARD-Interview.

Und auch in den anderen Bereichen des Bundesheeres bestehe Nachholbedarf bei der Ausrüstung mit Waffen und Gerät – einige Bataillone haben derzeit nicht viel mehr als die unmittelbare Mannesausrüstung. Hier müsse man davon wegkommen, dass sich die Verbände die Ausrüstung anderswo ausleihen – eine Praxis, die im Bundesheer seit Jahrzehnten gang und gäbe ist und "uns noch länger begleiten" werde, wie der General zugibt.

STANDARD: Seit den 1990er-Jahren hat sich die Ansicht verbreitet, dass die Vorwarnzeit für einen Konflikt mindestens zehn Jahre beträgt und man sich in der Landesverteidigung daher keine Sorgen machen müsse. Das hat sich – Stichwort: Ukraine – offensichtlich geändert. Wie lange ist die Vorwarnzeit jetzt?

Brieger: Die Vorwarnzeiten sind nicht mehr berechenbar. Sie beginnen in Wirklichkeit bei null. Wir haben anhand des Arabischen Frühlings erfahren, dass sich Krisen sehr rasch entwickeln können. Das heißt, dass die Streitkräfte in Europa in der Lage sein müssen, sehr kurzfristig zu reagieren. Gleichzeitig hat sich das Bedrohungsspektrum verbreitert.

STANDARD: Können die europäischen Streitkräfte überhaupt so kurzfristig wie nötig reagieren? Bei einigen Armeen, nicht nur beim Bundesheer, gibt es da Zweifel.

Brieger: Die Streitkräfte haben sich aus der Euphorie der schwindenden Bedrohung noch nicht in die Richtung entwickelt, in die Streitkräfte heute entwickelt werden müssen, um für die gegenwärtigen und künftigen Bedrohungen gerüstet zu sein: Es muss die Reaktionsfähigkeit gestärkt werden und auch der Aspekt konventioneller Bedrohungen wieder stärker in den Fokus kommen – weil um uns herum die Kapazitäten massiv aufgestockt werden. Die Nato hat mit ihren Stationierungen in Osteuropa eine Reaktion darauf angedeutet. Aber auch für uns heißt das: Sich zurückzulehnen und die Bedrohung unter "ferner liefen" zu sehen, "weil wir ja nur von Freunden umgeben sind", das wird nicht reichen.

STANDARD: Also zurück zur Raumverteidigung?

Brieger: Die Raumverteidigung war auf eine Pakt-Auseinandersetzung ausgerichtet. Wir müssen mehr als das tun, wir haben jetzt bei europaweit verminderten Streitkräftegrößen ein verändertes Bedrohungsspektrum. Das beginnt im subkonventionellen Bereich, im terroristischen Bereich und reicht bis zu konventionellen Aufgaben, die nicht ausgeschlossen werden können, weil die Potenziale rundherum einfach da sind und sich die politische Situation jederzeit verändern kann. Sie haben die Ukraine erwähnt, da hat man gesehen, wie rasch ein Vakuum ausgenützt wird. Daher ist es die Aufgabe, das Bundesheer in seinen Fähigkeiten so weiterzuentwickeln, dass wir gerade als neutraler Staat, der trotz seiner geografischen Einbettung in der EU für seine Sicherheit zu sorgen hat, auf ein breites Spektrum von Bedrohungen Antworten anbieten können.

STANDARD: Das betrifft auch die Luftraumüberwachung?

Brieger: Der Herr Bundesminister hat eine Evaluierungskommission beauftragt, die ihren Bericht im Juni fertiggestellt hat. Was er anstrebt, ist eine Lösung, die von der gesamten Bundesregierung getragen wird – was natürlich Geld kosten wird. Es gibt mehrere Optionen – etwa der Weiterbetrieb des vorhandenen Flugzeugs mit erforderlichen Investitionen, um den Flugbetrieb aufrechterhalten zu können. Es gibt auch Möglichkeiten, andere Modelle – ein europäisches und ein außereuropäisches – für eine Kauf- oder Leasinglösung in Erwägung zu ziehen. Es liegt nun in der politischen Verantwortung der Bundesregierung sicherzustellen, dass es auch in der Zukunft eine aktive Luftraumüberwachung geben wird. Ich vertraue darauf, dass hier zeitnah, wie es so schön heißt – also: bald einmal -, eine Entscheidung getroffen wird.

STANDARD: Die Verkäufer drängen ja bereits mit dem einen oder anderen Angebot ...

Brieger: Ja, die drängen. Aber das ist nicht entscheidend. All das ist, wie Sie wissen, nur mit einer Sonderfinanzierung realisierbar.

STANDARD: Das Verteidigungsbudget ist ja jetzt schon deutlich unter dem, was notwendig wäre?

Brieger: Wir wissen, dass in einem Allparteienbeschluss von 2015 die Weiterentwicklung des Verteidigungsbudgets in Richtung ein Prozent des BIP vorgegeben wurde. Mir ist bewusst, dass das nicht von heute auf morgen erreichbar ist. Wir müssen Schwerpunkte setzen, weil nicht der gesamte Investitionsbedarf gleichzeitig abgedeckt werden kann.

STANDARD: Österreich hat einen Mobilmachungsrahmen von 55.000 – in den schon Rekruten eingerechnet sind, die nicht voll feldverwendungsfähig sind. Stimmt der Rahmen noch mit der Bedrohungslage überein?

Brieger: Ich möchte den Rahmen zunächst nicht erweitern. Sondern ich möchte die vorgegebenen Größen schrittweise qualitativ und quantitativ ergänzen, weil wir ja wissen, dass insbesondere bei der Miliz Ausrüstungslücken bestehen. Ganze Bataillone, die nur über die reine Mannesausrüstung verfügen, entsprechend auszurüsten, Mobilität zur Verfügung zu stellen, das bedingt erheblichen Zulauf an entsprechenden Gerätschaften. Es werden immer noch Bereiche bleiben, die nur durch Umverteilung von Material von anderen Verbänden ausgerüstet werden können. Das wird uns noch längere Zeit begleiten. Die Ressourcen sind höher als 2017, aber es reicht bei weitem nicht, um den Investitionsstau kurzfristig abzubauen. Es gibt Waffen- und Truppengattungen, denen man sagt: Ihr müsst ein bisschen länger warten.

STANDARD: Das gab es ja schon bisher – man hat beispielsweise die Artillerie praktisch abgeschafft.

Brieger: Das ist übertrieben: Wir haben weiterhin die Panzerhaubitzen in den Artillerie-Aufklärungsbataillonen – wenn wir von konventionellen Fähigkeiten sprechen, die national und auf europäischer Ebene wiederaufzubauen sind, gehört das Steilfeuer dazu.

STANDARD: Aber wir haben uns von vielen Geschützen getrennt?

Brieger: Ja, aber es geht darum, einen Fähigkeitskern zu erhalten. Ebenso bei den Kampfpanzern, die ich für die nächsten Jahre feldverwendbar erhalten will.

STANDARD: Was soll man über Sie sagen, wenn Sie Ihre Funktion wieder abgeben?

Brieger: Wenn man in fünf Jahren sagt: "Er hat seinen Job gemacht", dann bin ich nicht unglücklich. (Conrad Seidl, 24.7.2018)