Es gibt 44 Peter Schmidt im Hamburger Telefonbuch, aber nur einen von ihnen kennt man in Amerika genauso wie in Japan und Deutschland. Dieser Peter Schmidt kommt gerade durch die Hintertür seines Büros. Er ist im Dezember 80 Jahre alt geworden, und während andere Menschen seines Alters über alles Mögliche nachdenken, entwirft der Designer weiterhin ultraschicke Verpackungen.

Schmidt brachte Jil Sander den richtigen Schriftzug bei, und sein Davidoff-Flakon steht immer noch in den Regalen der Parfümerien. Vor dem Gespräch stellt er erst einmal seine kleine Sammlung von Füllfederhaltern vor. "Schade, dass wir uns nicht zu Hause treffen." Dort horte er noch andere Schreibutensilien, zum Beispiel einen goldenen Federhalter aus Venedig. "Der ist heiliggesprochen, mit dem darf nicht geschrieben werden."

Peter Schmidt entwarf für Jil Sander ebenso wie für Apollinaris, Estée Lauder, Strellson oder Procter & Gamble.
Foto: Peter Rigaud

STANDARD: Sie sind der berühmteste deutsche Produktdesigner, Ihr Flakon für Jil Sander schaffte es ins New Yorker Museum of Modern Art. Ihre Apollinaris-Flasche ist weltbekannt. Sehen Sie Ihre Arbeit als Aufbegehren gegen die Hässlichkeit um Sie herum?

Schmidt: Es geht nicht nur um die Hässlichkeit, der ich in meinem Beruf begegne. Es betrifft auch den Alltag. Wenn ich mir den Scheiß ansehe, der so um mich herum existiert ...

STANDARD: ... gerade zeigen Sie auf ein Bürogebäude in der Hafencity, das Ihrem Büro gegenüberliegt.

Schmidt: Das ist das Bauamt. Diese Fensterrahmen in Architektenblau! Keine Korrespondenz zwischen Fenstern und Gebäude, keine durchgehende Linie, ein furchtbares Durcheinander. Aber es stürzt bald in den Kanal, wir müssen uns nicht sorgen. Die Hässlichkeit, gegen die ich am Anfang meiner Karriere anging, war dagegen eine andere. Die hatte viel mit den Lügen um mich herum zu tun. Keiner wollte in den 50er- und 60er-Jahren mehr Nazi gewesen sein.

STANDARD: Die Verdrängung kochte 1968 hoch. Vor 50 Jahren gingen Studenten auf die Straße und forderten einen neuen Umgang mit der Vergangenheit. Waren Sie bei den Demonstrationen dabei?

Schmidt: Nein, ich bin kein Mensch, der Steine wirft. Ich weiß noch, ich musste 1968 zu einem Geschäftstermin nach Paris. Ein Freund warnte: Peter, da ist der Teufel los. Also bin ich nur bis Brüssel geflogen, habe mir ein Auto gemietet und den Kofferraum mit Benzinkanistern vollgepackt.

STANDARD: Zur selben Zeit radikalisierte sich die extreme Linke. Die RAF gründete sich – und hatte ein richtiges Logo.

Schmidt: Ich lehne Gewalt ab. An das Logo erinnere ich mich gar nicht. Was war es?

STANDARD: Ein roter Stern mit einem Maschinengewehr davor.

Schmidt: Stimmt, eine klar verständliche Aussage.

STANDARD: Das schlimmste aller Symbole?

Schmidt: Natürlich das Hakenkreuz, ein uraltes Zeichen aus Asien und jetzt mit Ekel behaftet. Ich kriege Gänsehaut, wenn ich das vor mir sehe – ich habe das ja noch erlebt.

STANDARD: Sie wuchsen in der Wagner-Stadt Bayreuth auf und waren acht, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging.

Schmidt: Ich erinnere mich an die Auffahrt zur Oper, wo alles unter Flaggen stand. Und die Menschen am Straßenrand jubelten.

STANDARD: Sie haben dann mit 15 Jahren die Schule abgebrochen.

Schmidt: Nein, die Schule hat mit mir gebrochen. Anschließend machte ich eine vierjährige Lithografenlehre. Da entwickelte ich einen regelrechten Fanatismus. So doof ich in der Schule war, plötzlich habe ich durch diese pragmatische Art und Weise funktioniert. Ich habe Disziplin gelernt, wie man sich konzentriert.

"Ich habe zu Jil Sander gesagt: Wir müssen was Radikales machen."
Foto: Peter Rigaud

STANDARD: Theodor Fontane hat gesagt, wer mit 19 kein Revolutionär sei, habe kein Herz. Wogegen haben Sie Ende der 50er-Jahre rebelliert?

Schmidt: Ein Freund hat mich zu meinem 80. Geburtstag als Revoluzzer bezeichnet. Weil ich politisch weit links stand, am äußersten Rand der Sozialdemokraten, und einer der Ersten war, der offen über seine Homosexualität gesprochen hat.

STANDARD: Ihr bekanntester Entwurf ist der Schriftzug, den Sie für Jil Sander entworfen haben. Sie wollten etwas Brutales wie die Titelseite der "Bild-Zeitung" kreieren und ein bisschen provozieren.

Schmidt: Mich faszinierte die "Bild-Zeitung", weil die sehr gut gestaltet war. Ein Wort, Totschlag, Raub, Hunger, was weiß ich, dick gefettet, alles in Schwarz und Rot. Texte, in denen man sofort wusste, worum es ging. Diese brutalen Kurznachrichten haben mich formell beeindruckt, nicht inhaltlich. Ich habe zu Jil gesagt: Wir müssen was Radikales machen. Natürlich, Peter, hat sie geantwortet, ich mache auch radikale Mode. Als ich ihr den Schriftzug gezeigt habe, war sie geschockt. Wie der Name über den ganzen Briefbogen vom linken Rand bis zum rechten Rand lief, die Großbuchstaben mit scharfen Ausspitzungen. Jil hat ihre 30 Freundinnen gefragt, wie sie die Schrift fänden, 29 haben sie abgelehnt, aber Jil entschied sich, sie zu benutzen.

Peter Schmidt prägte den Schriftzug von Jil Sander.
Foto: Peter Schmidt, Belliero & Zandée

STANDARD: Wie war denn Ende der 60er-Jahre die Modeszene?

Schmidt: Die deutsche Mode lag am Boden. Es gab die Schneiderinnenwelt und vielleicht einen berühmten Designer, der den Dingen in Paris hinterherhechelte. Als ich Jil traf, war sie eine unglaublich schöne Frau mit einem ausgeprägten Geschmackssinn, den ich bis dahin in Hamburg nicht erlebt hatte. Wie ein Gestirn weit weg. Ich gestehe, ich war ein wenig verliebt.

STANDARD: Na, da wurden Sie sich aber selbst untreu, Herr Schmidt.

Schmidt: Ich wusste schon, das war umsonst.

STANDARD: Damals liebte Jil Sander Frauen und Männer. Hat sie Ihnen einmal einen Liebhaber ausgespannt?

Schmidt: Nein, aber sie hat damit gespielt.

Sein Davidoff-Flakon steht immer noch in den Regalen der Parfümerien.
Foto: Peter Schmidt, Belliero & Zandée

STANDARD: Anschließend haben Sie für viele Mode- und Parfummarken gearbeitet, Boss, Davidoff, Joop!. Für Sie ist Wolfgang Joop heute eine mahnende Figur.

Schmidt: Es ist eine Tragödie mit Wolfgang. In Amerika hätte er eine große Karriere gemacht, er ist ein Genie. In Deutschland wurde er zu gut behandelt, er hatte unglaublichen Charme und konnte 30 Leute zwei Tage unterhalten. Alle waren beeindruckt, keiner hat gewagt, ihm etwas vorzuschreiben. Hätte dem in Amerika jemand wie der Estée-Lauder-Chef gesagt "Morgen ist das und das fertig", wäre aus Wolfgang eine ganz andere Nummer geworden.

STANDARD: Er war zu wenig an der Leine?

Schmidt: Ja, in Amerika gibt es eine andere Arbeitstemperatur. Die hätte ihm gutgetan. Er sprühte vor Ideen. Nur verschlief er oft die Termine und trudelte erst ein, als schon alles entschieden war.

STANDARD: Zuletzt machte Joop von sich reden, als er in "Germany's Next Topmodel" als Jury-Mitglied auftrat.

Schmidt: Das habe ich mir nicht angeguckt. Es macht mich zu traurig. Wie ein Genie sich so verloren hat. Er hat viel Geld verdient durch seine Verkäufe und leichtfertig Häuser gekauft. Er hat es übertrieben.

STANDARD: In den 80er-Jahren haben Sie bestimmt auch ordentlich gelebt.

Schmidt: Das waren sehr vergnügliche Jahre. Ich hatte meine Firma, wir haben gutes Geld verdient – und es wurde Geld ausgegeben. Ich war immer 14 Tage in Parma, um dabei zu sein, wenn für Jil ein Flakon entsteht. Die Hauptbesprechungen habe ich absichtlich in den Herbst gelegt, weil da Steinpilzsaison ist.

STANDARD: Der Apple-Designer Jonathan Ive sagt: Ein schönes Produkt, das nicht gut funktioniert, ist ein schlechtes.

Schmidt: Schauen Sie sich diese Flasche Wasser vor uns an. Am Schraubverschluss hängt eine Lasche herunter, die sich beim Aufdrehen gelöst hat, aber nicht abgefallen ist. Das ist einfach nicht durchdacht. Wenn ich Apfelsaft trinke, bekomme ich manchmal die Flasche nicht mehr auf, weil das Material so schlecht ist.

"Die Marktforschung killt das Produkt," meint Peter Schmidt.
Foto: Peter Schmidt, Belliero & Zandée

STANDARD: Woran liegt das?

Schmidt: An der bescheuerten Marktforschung. Heute geben die Marken Unmengen Geld dafür aus und stecken Menschen in große Räume, die dann etwas bewerten sollen. Durch diesen Prozess wird einer Idee schon der Witz genommen. Gestaltung ist ein geheimnisvoller Vorgang, das kann man nicht erforschen.

STANDARD: Die Marktforschung killt den kreativen Prozess?

Schmidt: Und das Produkt. Sehen Sie den Baum vor meinem Büro? Ich kann nicht erforschen, wie der wachsen wird. Doch wie er es tut, ist es gut. Es sind die Umstände, die ihn formen.

STANDARD: Gibt es Produkte, die Sie so hässlich finden, dass sie Ihnen nicht ins Haus kommen.

Schmidt: Die Gefahr, dass ich schokoladensüchtig werde, besteht nicht, weil die Massenverpackungen so gespenstisch sind, dass ich sie nicht öffnen will. Ein anderes Beispiel: Ich sehe gern Skispringen im Fernsehen. Wenn die Sportler fliegen, sich konzentrieren, um auf zwei Skiern wieder zu landen, das finde ich großartig. Nur wenn ich überall dieses Sponsoren-Zeichen von Audi sehe, setzt bei mir eine Sättigung ein. Ich würde mir von denen kein Auto kaufen.

STANDARD: Sie fahren ja auch einen Porsche.

Schmidt: Einen Maserati.

STANDARD: Pardon. Sie hatten auch ein Haus in Florida. Haben Sie einmal überlegt, Ihren Wohnsitz ganz nach Amerika zu verlegen?

Schmidt: Leon Lauder lud mich in den 80er-Jahren mal ein, bei Lauder zu arbeiten. Ich befürchtete allerdings, nur noch Flakons machen zu müssen. Auf meiner Wunschliste standen noch Theater und Oper. Lauder kam sogar im Jet nach Hamburg. "Peter, mach doch kein Theater", sagte er. Es war so nahe dran ...

STANDARD: ... aber Sie bekamen Hasenfüße.

Mit 76 gründete Schmidt eine neue Agentur.
Foto: Peter Schmidt, Belliero & Zandée

Schmidt: Mein Englisch ist nicht sehr gut. Es ist falsch zu sagen, dass ich die Entscheidung bereue. Nur wenn ich mich über Deutschland oder die kleinkarierte Art der Deutschen ärgere, dann denke ich, wäre ich doch weggegangen. Wir kriegen ja nichts mehr hin.

STANDARD: Was schaffen Sie nicht?

Schmidt: Einen Flughafen in Berlin zu bauen. Die Deutsche Oper ist nicht bespielbar, weil es einen Wasserrohrbruch gab. Ich habe das Gefühl, bei uns ist die Luft raus.

STANDARD: Bei Ihnen offenbar nicht. Sie haben mit 76 Jahren noch eine neue Agentur gegründet, PSBZ gibt es seit vier Jahren. Andere Senioren lernen Golf.

Schmidt: Wie furchtbar. Mit noch älteren Herren über den Platz laufen und diese asexuellen Bewegungen zu machen. Ich wollte unbedingt noch eine Firma, denn: Ich hatte Angst, geistig zu verkümmern.

STANDARD: Jetzt vertreten Sie weiterhin Ihre Vorstellung von klarem Design. Ertragen Sie überhaupt Kitsch?

Schmidt: Der Fotograf Oliviero Toscani sagte zu mir: Peter, Kitsch ist inspirierend. Daran denke ich oft. Die Elbphilharmonie ist architektonisch reiner Kitsch, trotzdem hat sie einen seltsamen Charme.

STANDARD: Haben Sie Kitsch zu Hause?

Schmidt: Mit der Kleidung habe ich manchmal danebengehauen.

STANDARD: Etwa eine Jogginghose, Herr Schmidt?

Schmidt: Karl Lagerfeld hat gesagt, man muss sich erschießen, wenn man eine anzieht. Ich laufe trotzdem damit herum, dafür in einer von Neil Barrett. (Ulf Lippitz, RONDO, 12.8.2018)

Weiterlesen:

Sebastian Herkner: "Es gibt jedes Jahr 2.000 neue Stühle"

Rainer Mutsch: "Ein gutes Produkt spürt man"