Wer nicht mit McCarthy spazieren gehen will, "weil er findet, dass ich wie ein obdachloser Zauberer aussehe", kann einen seiner 40 Mitarbeiter buchen.

Foto: The People Walker

Ein ganz normaler Arbeitstag: McCarthy mit der australischen Sängerin und Schauspielerin Tammin Sursok.

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Je mehr er darüber nachgedacht hat, erzählt Chuck McCarthy, desto weniger verrückt sei ihm die Idee vorgekommen. Will er sie erklären, muss der Mittdreißiger mit den langen braunen Haaren und dem dichten Vollbart erst ausholen. Die Geschichte beginnt mit seiner Mutter, die eines Nachmittags allein spazieren ging. Der Boden war uneben, die ältere Frau fiel hin und brach sich ein Bein. "Dass jemand vorbeigekommen ist und sie gefunden hat, war reines Glück."

Wieso gibt es eigentlich niemanden, der beruflich mit Menschen spazieren geht und auf sie aufpasst?, dachte sich McCarthy. Zu dieser Zeit arbeitete der Amerikaner noch als Schauspieler in Hollywood, war aber nicht sehr erfolgreich und brauchte einen Nebenjob. "Ich habe zuerst überlegt, ob ich Hundesitter werden soll", berichtet er. Allerdings konnte er sich nicht damit anfreunden, den Hundekot wegzuräumen, also entschied er sich um: Statt mit Tieren wollte er mit Menschen spazieren gehen. "Ich erzählte das meiner Freundin, die loslachte. Aber mit je mehr Leuten ich darüber sprach, desto sicherer wurde ich mir: Der Bedarf ist da."

Jemand, der mitgeht

McCarthy nannte sich The People Walker und erstellte eine Facebook-Seite, über die er sein Angebot bewarb. Für eine Meile spazieren gehen verlangte er zunächst sieben Dollar, umgerechnet rund sechs Euro. Und tatsächlich – er wurde gebucht.

Menschen wollen aus den unterschiedlichsten Gründen nicht allein rausgehen, sagt McCarthy zum STANDARD. Manche brauchen jemanden, der sie zu mehr Bewegung motiviert. "Wenn man zu einem fixen Zeitpunkt verabredet ist, fällt es leichter, sich zu überwinden." Andere, "vor allem Frauen", fühlten sich nicht sicher, wenn sie nachts durch eine dunkle Gasse oder einen Park gehen.

Wieder andere seien schlichtweg einsam. Die Schuld daran gibt der junge Mann den neuen Technologien – Menschen würden zu viel über Smartphones und Computer kommunizieren. "Wir brauchen wieder mehr persönlichen Kontakt", findet McCarthy.

McCarthy spricht über seinen ungewöhnlichen Job.
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Sein erstes Treffen war mit einem älteren Mann. Davor sei er nervös gewesen wie vor einem Date, erzählt McCarthy. "Ich hatte Angst, dass wir keine Gesprächsthemen finden." Mittlerweile hat der People Walker eine Strategie: "Ich versuche mehr zuzuhören als selbst zu reden." Worüber er mit den Leuten spricht, will der Amerikaner aber nicht verraten, das sei ein Berufsgeheimnis. Meist gehe es um Alltagsprobleme wie Stress in der Arbeit, den Vergleich mit einem Hobbytherapeuten lässt er aber nicht zu. "Ich sehe mich eher als Frisör, dem Menschen erzählen, wie ihr Tag war."

Wer nicht mit McCarthy spazieren gehen will, kann einen seiner 40 Mitarbeiter buchen. Die meisten machen den Job nebenberuflich. Auf der Website stellen sie sich mit Text und Video vor: Da ist zum Beispiel Claire, die in der Modebranche arbeitet und über sich selbst schreibt: "Ich liebe es, neue Leute und ihre Geschichten kennenzulernen." Ein Highlight bei ihren Spaziergängen sei, dass sie Bekanntschaft mit allen Hunden macht, die sie auf dem Weg trifft. Michael, hauptberuflich Frisör, sei seit seiner Kindheit ein begeisterter Spaziergänger. Er verspricht: "Ich kann gehen und sprechen gleichzeitig."

15 US-Dollar pro halbe Stunde

Offen zu sein, gern zu kommunizieren: Das sind die wichtigsten Voraussetzungen, um People Walker zu werden, sagt McCarthy. Viele seiner Mitarbeiter seien weit gereist und sprechen mehrere Sprachen, manche seien Experten für ein Thema. Demnächst will er neue Mitarbeiter einstellen, das Angebot weiter ausbauen. Geplant sei eine App, die ähnlich wie der Fahrtendienst Uber funktionieren soll: Nutzer können People Walker in ihrer Nähe orten und buchen. Man könne jedoch auch konkrete Anfragen an einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin stellen.

Eine halbstündiger Spaziergang kostet mittlerweile übrigens 15 US-Dollar (rund 13 Euro), davon bekommen die Mitarbeiter 75 Prozent. Im Angebot stehen verschiedene Routen, darunter Hollywood, Beverly Hills, Downtown Los Angeles, Santa Monica und Silverlake. Kunden können sich aber auch selbst einen Weg aussuchen.

Die People Walker machen nicht nur im Internet Werbung.

Inzwischen sei er mit 200 Leuten spazieren gegangen, schätzt McCarthy. Und zog dabei einiges mediales Interesse auf sich. Er war bereits im amerikanischen und französischen Fernsehen, spanische, britische und deutsche Zeitungen berichteten. Auch der Reiseführer Lonely Planet listet ihn als Attraktion. Gefragt, was er über die viele Aufmerksamkeit denkt, sagt McCarthy: "Ich bin sehr froh, dass mehr und mehr Menschen interessiert, was wir da tun. Eine so einfache Idee, die so viel bewirken kann."

Eine Erfahrung der etwas anderen Art ist McCarthy besonders in Erinnerung geblieben: "Eine Frau wollte unbedingt öfter zu Fuß gehen, ihr Mann nicht. Also buchte sie einen Spaziergang mit mir und erzählte ihrem Mann davon. Seine Reaktion: Sicher nicht, für so etwas bezahlen wir kein Geld. Ich gehe mit dir." (Lisa Breit, 27.7.2018)