Der neue Reaktor in Flamanville hätte eigentlich 2012 fertiggestellt werden sollen, jetzt peilt man 2019 an.

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Wien/Flamanville – Zehn Jahre scheint bei Atomkraftwerken (AKW) eine magische Zahl zu sein: So lange kann es dauern, bis die Kraftwerke fertiggebaut sind – manchmal auch länger. Wie im Falle von Flamanville in Frankreich. Dort laufen die Bauarbeiten für einen neuen Reaktor seit mittlerweile zehn Jahren, 2012 sollte das AKW laufen, immer wieder gab es Verzögerungen. Mit 2018 schien das Ende des Baus festzustehen, nun soll der neue Atomreaktor doch wieder ein Jahr später ans Netz gehen.

Als Grund nennt der Betreiber EDF Baumängel: Rund ein Fünftel der 150 Schweißnähte im nichtradioaktiven Kühlkreislauf wiesen "Qualitätsabweichungen" auf und müssten repariert werden. Die Gesamtkosten des Projekts steigen laut EDF um 400 Millionen Euro auf 10,9 Milliarden Euro.

AKW in Finnland zehn Jahre zu spät

Flamanville ist längst nicht das einzige Beispiel für AKWs, die wesentlich mehr Zeit und Geld verschlingen als ursprünglich angenommen. Auch in Olkiluoto in Finnland dehnt sich der Reaktorbau in die Länge. Baubeginn war bereits 2005, dann kam es immer wieder zu Verzögerungen: zuerst, als die Atomaufsichtsbehörde Risse in den Fundamentplatten entdeckte und alles noch einmal genau kontrollieren ließ. Dann, als Greenpeace das AKW klagte, weil die Banken den Betreibern besonders niedrige Zinsen gewährten, welche als wettbewerbsverzerrend galten. Die Zinsen wurden angepasst, für das Kraftwerk bedeutete das höhere Kosten und eine längere Bauzeit. Im September 2019 soll der neue Reaktor nun in Betrieb gehen – zehn Jahre später als ursprünglich geplant.

"Besonders bei den großen Atomkraftprojekten sind Verzögerungen quasi vorprogrammiert", sagt Mario Villa, Reaktorbetriebsleiter des Atominstituts der Technischen Universität Wien. Vor rund fünfzig Jahren sei ein AKW in einigen wenigen Jahren abgeschlossen gewesen, heute würde sich der Bau durch Umweltverträglichkeitsprüfungen, Gutachten oder Nachforderungen von Behörden äußerst komplex gestalten. Umso lieber sei es Betreibern, stattdessen eine Laufzeitverlängerung für ein altes Kraftwerk durchzubringen. Denn während die Baukosten den größten Brocken der Finanzierung ausmachen, sind die laufenden Kosten vergleichsweise gering.

Ältestes Kraftwerk bleibt

Unter den AKW-Nachbarn sorgt das nicht immer für Begeisterung. So fordert die deutsche Regierung schon seit längerem wegen Sicherheitsbedenken die Schließung des AKWs Fessenheim, das im französischen Elsass direkt an der Grenze liegt. Das älteste noch laufende AKW in Frankreich sollte noch zu Zeiten des Ex-Präsidenten François Hollande stillgelegt und sozusagen vom neuen Reaktor in Flamanville abgelöst werden. Weil sich dessen Bau verzögert, könnte auch Fessenheim noch länger am Netz bleiben.

Die Betreiber argumentieren bei den neuen Reaktoren mit mehr Sicherheit und billigerem Strom. Gebaut wird in Flamanville wie auch in Olkiluoto ein sogenannter Europäischer Druckwasserreaktor (EPR), der deutlich mehr Leistung generieren soll. Allerdings ist der Preis für Atomstrom im Vorfeld äußerst schwierig zu kalkulieren, gibt Villa zu bedenken. Er hänge davon ab, wie hoch die Investitions-, Rückbau- und Betriebskosten ausfallen.

Kosten bei Steuerzahler

Stichwort Rückbau: In den kommenden 15 Jahren stehen laut des Beratungsunternehmens McKinsey weltweit 250 nukleare Kraftwerksblöcke zum Abriss, allein in Deutschland sollen in den nächsten vier Jahren sieben AKWs vom Netz gehen. Auch beim Rückbau kommt es immer wieder zu Verzögerungen und Kosten in Milliardenhöhe.

In die Taschen greifen müssen dafür meist die Steuerzahler. Wie bei den EPRs, wo der französische Staat mit Ausfallshaftungen einsprang. Oder in Hinkley Point in Großbritannien, wo der Staat dem geplanten AKW mit Beihilfen und hohen Einspeisetarifen unter die Arme greift. (Jakob Pallinger, 26.7.2018)