Der Wunsch, mit einer Theaterinszenierung für nachhaltige Erregung zu sorgen, ist so alt wie das Theater selbst, gilt heutzutage aber angesichts längst durchexerzierter Ausreizung aller Skandalpotenziale (Urinieren auf Kruzifixe, Gangbang im Zuschauerraum, Rauchen auf der Bühne etc.) als unerfüllbar. Umso erstaunlicher, wenn das ausgerechnet einem laienhaften Schultheaterstück gelingt, das es dieser Tage wieder in die Schlagzeilen geschafft hat. Das vom Innenministerium bei einer Agentur in Auftrag gegebene Bühnenspiel "Welt in Bewegung" handelt von einem guten und einem bösen Flüchtling. Der gute Nadim ist fleißig und vorbildlich um Integration bemüht, der böse Mojo wird radikalisiert und straffällig. Hier werde "kein Klischee, kein Vorurteil, keine Diffamierung ausgelassen", beklagen zahlreiche Theaterschaffende und Kulturwissenschafter in einer Anfrage an die Kultur- und Bildungsminister und wollen in einem offenen Brief nun vom Bundespräsidenten wissen, war- um ein Stück "voll von stereotypen Bildern und geschichtlichen Unwahrheiten" vom Innenministerium bestellt und bezahlt wurde.

Dabei wurde meiner Meinung nach ein wesentlicher Aspekt bislang völlig übersehen: Die Message des Stücks ist nicht mehr aktuell. Es wäre höchste Zeit, dass vom Innenministerium eine Neufassung beauftragt wird, für die ich (zu garantiert günstigeren Konditionen als eine Agentur) bereit wäre, folgendes Treatment auszuarbeiten:

Nadim, der Gute, lernt Deutsch und bekommt eine Lehrstelle in einem österreichischen Betrieb, wo er zu einem unverzichtbaren Mitarbeiter wird. Mojo, der Böse, verweigert jeden Sprachkurs, bleibt arbeitslos und verbreitet lieber IS-Videos. Doch plötzlich werden diese Klischeebilder radikal infrage gestellt.

Nachdem Nadim einen Abschiebungsbescheid erhält, zeigt sich, was er durch sein vermeintlich vorbildliches Verhalten in Wahrheit angerichtet hat. Nicht nur sein Chef will gegen den Beschluss der Behörde aufbegehren, auch namhafte Unternehmer, einfache Gewerbetreibende, ja sogar hochrangige ÖVP-Politiker und ein als Volksliebling geltender Ski-Olympiasieger wurden offensichtlich von Nadim verhext und rebellieren offen gegen die staatliche Anordnung. Dabei schrecken sie auch nicht vor untergriffigen Enthüllungen zurück, indem sie beispielsweise darauf hinweisen, dass in Österreich derzeit für rund 16.000 offene Lehrstellen keine Lehrlinge zu finden sind, weshalb derartige Abschiebungen nicht nur unmenschlich, sondern auch ökonomisch vollkommen vertrottelt wären.

Mojo hingegen erweist seine Nützlichkeit, indem er sich von Regierungspolitikern und Boulevardmedien immer wieder als Beispiel für das Scheitern von Integration präsentieren lässt, und darf bleiben.

Auf diese Art ließe sich eine derzeit besonders dringende Botschaft der Bundesregierung vermitteln: Integration kann nur dann vollkommen fehlerlos sein, wenn sie gar nicht erst stattfindet. Oder um es mit einem Beispiel für Schulklassen zu formulieren: Die einzige über jede Lehrer-Kritik erhabene Unterrichtsstunde ist die Freistunde.

Der Titel des überarbeiteten Stücks lautet übrigens "Moral in Bewegung". (Florian Scheuba, 25.7.2018)