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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestärkte die zentraleuropäische Grundhaltung, lieber nichts am Status quo zu ändern.

Foto: dpa/Boris Roessler

Sobald es ums Essen geht, werden die Menschen komisch: Mit diesem Satz wurde kürzlich der Pflanzenforscher Götz Hensel zitiert. Er beklagte damit nicht die ewigen Diskussionen zwischen Veganern und Fleischessern, er hatte eine andere fast religiös anmutende Diskussion im Fokus, jene über Nahrungsmittel und ihre Herstellung mit CRISPR/Cas9. Da fehle die Balance und wohl auch das Wissen darüber, was man mit dem als Gen-Schere berühmt gewordenen Werkzeug in der Landwirtschaft bewirken kann. Kurz zusammengefasst, würde man mit CRISPR/Cas9 eine wünschenswerte Mutation einer Pflanze erreichen, zum Beispiel Anbauprodukte resistent gegenüber bestimmten Keimen und möglicherweise sogar gesünder in ihrer Verarbeitung machen. Angesichts von Prognosen hinsichtlich einer explodierenden Weltbevölkerung war man der Hoffnung, mit der Gen-Schere Ansätze zu finden, um Ernährungsprobleme in den Griff zu bekommen – bei allen Bedenken, die man sich natürlich noch genau anschauen müsste.

Keine schlechte Idee, sollte man meinen, doch der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestärkte die zentraleuropäische Grundhaltung, lieber nichts am Status quo zu ändern und Werten der Vergangenheit zu vertrauen. Gerade so, als hätte sich die Gesellschaft nicht weiterentwickelt, als gäbe es keinen Klimawandel, der immer mehr Schädlinge für Pflanzen in die kontinentale Trutzburg treibt, als hätte nicht auch das reiche Europa eine Verantwortung dafür, ob und wovon sich Menschen in Afrika ernähren können.

Restriktionen

Das Urteil, dass CRISPR unter eine bald zwei Jahrzehnte alte Gentechnikverordnung zu stellen, jede Anwendung also nach strengen Kriterien zu kontrollieren ist, ist aber nicht nur zukunftsvergessen, sondern auch unwissenschaftlich, denn es differenziert nicht. Mutationen durch die Gen-Schere sind von jenen, die auf natürlichem Weg während einer Generation einer Pflanze zustande kommen, in der Regel nicht unterscheidbar. Sie haben nichts mit traditioneller Gentechnik gemeinsam. Und es ist ziemlich scheinheilig, die Gen-Schere mit Restriktionen zu belegen, aber gleichzeitig Manipulationen durch radioaktive Strahlung und Chemie, die bereits als unbedenklich eingestuft wurden, weiter zuzulassen. CRISPR/Cas9 funktioniert schneller, genauer und mit weniger finanziellem Aufwand.

Letztlich könnte das Urteil dazu führen, dass Großkonzerne, die sich auch unter den derzeitigen Gentechnikauflagen aufwendige Züchtungen und teure Kontrollen leisten können, gestärkt werden. Denn ein kleines Start-up, das sich vielleicht mit einer Idee auf den Markt gewagt hätte, wird es sich nun mehrfach überlegen, ob sich dieser Schritt angesichts vieler zu erwartender Hürden noch rechnet. Wirtschaftlich könnte der Gerichtshof genau das Gegenteil dessen bewirken, was die EU immer wieder zum Ziel erklärt: den Wettbewerb zu stärken und die Bildung von Monopolen zu verhindern. Jene NGOs, die nun das Urteil begrüßen, können sich ein derartiges Szenario nicht wünschen.

Was bleibt, ist Ratlosigkeit bei jenen, die die Chancen von CRISPR/Cas9 erkannten, und Kopflosigkeit bei Politikern, die sich selbstzufrieden zurücklehnen und wieder einmal froh sind, dass sie Wählern nicht erklären müssen, dass mit der Gen-Schere auch eine Zukunftschance reglementiert wird. In Schwarz-Weiß zu argumentieren ist ja viel einfacher.(Peter Illetschko, 25.7.2018)