Freitag Abend feiert mit der "Zauberflöte" die erste Neuinszenierung Premiere. Regie führt Lydia Steier. Was man über sie und ihre Regiekollegen wissen sollte.

Nackte Hinterteile: Damit muss man bei Romeo Castellucci rechnen. Der Regisseur führt bei der zweiten Salzburger Neuinszenierung Regie. "Salome" hat am Samstag Premiere.
Foto: imago/Rudolf Gigler

TRÄUMERIN

Foto: Sandra Then

Lydia Steier holt sich für ihre präzisen Inszenierungen gern Inspirationen von opernfernen Kunstgenres. Bei den Wiener Festwochen verpflanzte sie 2015 etwa Händels Oratorium Jephta quasi ins Filmreich von Harry Potter. Für Mozarts Zauberflöte ließ sie sich jetzt von Winsor McCays Comicserie Little Nemo inspirieren. Die US-Regisseurin wird das Singspiel in Salzburg aus der Sicht der drei Knaben erzählen: Im Haus einer wohlhabenden Familie zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden die Buben von Opa in den Schlaf "gelesen". Steier begnügt sich jedoch nie mit dem Harmlos-Bunten. Ihre vielschichtigen Arbeiten bleiben gebunden an die Erörterung tiefer liegender Themen. Steier verbindet Emotion und Reflexion auf elegante Art und Weise. (toš)

Inszenierung: "Die Zauberflöte"
Dirigat: Constantinos Carydis; mit Matthias Goerne, Mauro Peter, Albina Shagimuratova und Christiane Karg.
Termine: 27. 7. – 30. 8.

GOTTSUCHER

Foto: Luca Del Pia / Nesher Artists Management

Romeo Castellucci will ausgerechnet Richard Strauss' Salome "ohne einen Tropfen Blut" inszenieren. Das Schlüsselwerk der Moderne scheint ideal geeignet für einen verqueren Bilderfinder wie Castellucci (er wird am 4. August 58). Als Mentor und Co-Leiter der Socìetas Raffaello Sanzio entwickelte er eine drastische Bühnenästhetik ohne Widerworte. Der Mann aus Cesena machte 1995 bei den Wiener Festwochen auf sich aufmerksam: Er inszenierte Giulio Cesare als bestürzendes Hochamt mit lebenden Pferden und anorektischen Mädchen. Komplizierte Gedankengebäude übersetzt Castellucci in rätselhafte Handlungen. Deutet er eine Oper (wie Monteverdis Il combattimento ...), werden Kreuzritter zu Spermien, Jerusalem wird Gebärmutter. (poh)

Inszenierung: "Salome"
Dirigat: Franz Welser-Möst; mit Asmik Grigorian, John Daszak und Anna Maria Chiuri
Termine: 28. 7. – 27. 8.

BILDERSTÜRMER

Foto: Monika Rittershaus

Hans Neuenfels gehört zu jenen Regisseuren, die die Fahne der ästhetischen Revolte unbeirrt hochhalten. Wenn der gebürtige Krefelder Mozarts Idomeneo inszeniert, platziert er die Köpfe von Mohammed, Jesus, Buddha und Poseidon jeweils auf einem Sessel. Wenn etwas faul ist im Staate Dänemark, lässt er Fäkalien aus der Burg von Helsingør (Hamlet) abfließen. Über nichts kann man trefflicher streiten als über die Eigenwilligkeiten des Provokateurs, der einst am Max-Reinhardt-Seminar studierte und später – als Assistent von Max Ernst – in Paris seine Wahrnehmung schärfte. Neuenfels (77) ist in Wahrheit ein sensibler Poet. Er drehte Kleist-Filme, dichtete eigenwillige Prosa – und entfachte mit der Fledermaus 2001 einen Salzburger Skandal. (poh)

Inszenierung: "Pique Dame"
Dirigat: Mariss Jansons, mit Evgenia Muraveva, Brandon Jovanovich und Igor Golovatenko
Termine: 5. 8. – 25. 8.

GESAMTKÜNSTLER

Foto: Phile Desprez

Jan Lauwers gibt mit Monteverdis L'incoronazione di Poppea sein Operndebüt. Die Bühnenarbeiten seiner 1986 gegründete Needcompany changieren zwischen Tanz, Theater, Musik und bildender Kunst. 2008 war die Gruppe erstmals in Salzburg zu Gast. Es sind Gesamtkunstwerke, die Lauwers aus der Diversität seiner internationalen Company schöpft. Theaterelemente haben im Lauf der Jahre an Bedeutung gewonnen, gipfelnd in der fünfjährigen Residency am Burgtheater. Der flämische Künstler (61) betrachtet die Bühne als Schaffensarena für viele "individuelle Energiequellen"; 50 Personen sollen in Salzburg auf der Bühne sein. Merke: Barockspezialist William Christie "wird nicht im herkömmlichen Sinn mit seinen Händen dirigieren". (afze)

Inszenierung: "L'incoronazione di Poppea"
Dirigat: William Christie; mit Sonya Yoncheva, Kate Lindsey
Termine: 12.-28. 8.

BEFREIER

Foto: Bartek Warzecha

Krzysztof Warlikowski ist Schüler des polnischen Meisterregisseurs Krystian Lupa und hat auch bei anderen Großen gelernt: Peter Brook, Ingmar Bergman, Giorgio Strehler. Warlikowskis Bildersprache ist kraftvoll und subversiv, gespeist von der Beschäftigung mit den harten Stoffen europäischer Gegenwartsdramatik (Sarah Kane, Bernard-Marie Koltès oder Hanna Krall) sowie den antiken Dramen. Mit Hans Werner Henzes The Bassarids gibt der Warschauer Theater- und Operndirektor in Salzburg nun sein Debüt. "Oper ist ein Gefängnis", hat er einmal provokant gesagt – und seither arbeitet er an der Befreiung von den Zwängen der Reproduktion. Seine Inszenierungen scheuen keine Tabus, in Polen gilt er als Provokateur. (afze)

Inszenierung: "The Bassarids"
Dirigat: Kent Nagano; mit Sean Panikkar, Russell Braun, Willard White, Nikolai Schukoff
Termine: 16.-26. 8.

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Tobias Moretti als "Jedermann".
Foto: APA/BARBARA GINDL

Warum irgendwann alle gerne bei den Salzburger Festspielen landen: Der Glaube an die Macht der Repräsentation befeuert Karrieren

Um die Bedeutung der Salzburger Festspiele für das eigene Karriere-Heil zu ermessen, lohnt sich ein vertiefender Blick in die Jedermann-Chronik. Wer einmal als Reicher Mann entsühnt und geläutert vor den göttlichen Richterstuhl tritt, der kann vorher ohne weiteres schon als "Jedermanns guter Gesell" (und zugleich als "Teufel"!) am Domplatz Dienst geleistet haben.

Tobias Moretti ward in Salzburg genau dieses christliche Schicksal beschieden. Heuer gibt er zum zweiten Mal die Titelrolle in Hofmannsthals szenischem Holzschnitt: als verdrossener Zeitgenosse. 2005, vor 13 Jahren, tänzelte er als aasiger Teufel unvergleichlich leichtfüßig über den Platz. Vom Teufel, der um Jedermanns Seele betrogen wird, ist es oft ein steiniger Weg hin zum "Faschingsprinzen". So nannte einst Klaus Maria Brandauer, ein besonders genießerischer Jedermann, die identitätspolitisch wichtigste Rolle, die der Festspielsommer in Salzburg zu vergeben hat.

Festspiel-Salzburg gibt das Richtmaß vor. Wer im Schatten des Mönchbergs inszeniert, spielt oder singt, erhöht automatisch den Marktwert – und erweitert seinen Geltungsbereich beträchtlich.

Wie ein Katalysator

Insofern funktioniert Salzburg wie ein Katalysator. Im nämlichen Jahr 2005 inszenierte Martin Kusej Grillparzers verzwicktes Königsdrama König Ottokars Glück und Ende auf der Halleiner Perner-Insel. Der zu Tode geschundene Lesebuchstoff entstand völlig neu. Kusej zelebrierte die ebenso aufregende wie finstere Auseinandersetzung mit den verlogenen Aspekten einer (notabene österreichischen) Reichsgründung.

Niemand konnte bezweifeln, dass Kusejs Inszenierung heimische Gründungsmythen mit Galle übergoss. Gemeint war damals, mitten in der schwarz-blauen Ära Schüssel II, die Salzburger Mär vom Segen des Österreichertums. Kusej geriet damit als kritischer Geist auch für die Headhunter der Kulturkanzleien in den Blick. Fortan war er führungsreif . Er hätte um ein Haar schon damals Aussichten auf den Direktionssessel der Wiener Burg besessen.

Flamme des Glaubens

In Salzburg wird die Flamme des Glaubens genährt: die an die Macht der Repräsentation. Nur hier, im Umraum der Felsenreitschule, wird die Totalität der Weltverhältnisse als eine begriffen, die sich abbilden lässt. Um dieser Auffassung willen wurde der greise Ivan Nagel kurzzeitig Schauspielchef. Wegen dieses Glaubens wurden Peter Stein oder Jürgen Flimm an die Salzach gelockt. Es ist auch kein Wunder, dass die Weltkarriere Anna Netrebkos 2002 (als Donna Anna) in Salzburg Fahrt aufnahm.

Ein Schauspieler wie Jens Harzer feierte 2011 als Alter Ego des Dichters Peter Handke in Hallein Triumphe. Heuer kehrt er wieder, um als Achill (in Kleists Penthesilea) Küsse wie Bisse zu verabreichen. Gut möglich, dass er irgendwann als Jedermann seine Seele vor Gottes Richterstuhl schleppt. (Ronald Pohl, 27.7.2018)