Gläubige vor der Badshahi-Moschee in Lahore, Pakistan. Dass es einen Zusammenhang zwischen Religion und wirtschaftlichem Wohlstand gibt, weiß man schon länger. Wie dieser allerdings aussieht, ist unklar. Vielleicht spielt ein dritter Faktor die ausschlaggebende Rolle.

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Bristol – Es ist im Grunde die religiöse Version der altbekannten Frage, was wohl zuerst da war: Huhn oder Ei? Konkret geht es um den mittlerweile sehr gut dokumentierten Zusammenhang zwischen Glauben und wirtschaftlichem Prosperieren eines Landes. An zahlreichen Beispielen rund um den Globus lässt sich nachweisen, dass Staaten mit einem hohen Anteil an religiösen Menschen im Durchschnitt ökonomisch weniger erfolgreich sind. Das offiziell atheistische China beispielsweise steht wirtschaftlich bedeutend besser da als etwa Indien, wo Religion vielfach eine große Rolle im Alltag spielt.

Freilich gibt es auch Ausnahmen: Trotz rückläufigen Trends identifizieren sich immer noch über 70 Prozent der Bürger der USA, einer der größten Volkswirtschaften der Erde, als gläubige Christen. Und doch: Auch innerhalb der Vereinigten Staaten zeigt sich, dass an einer Verbindung zwischen Religion und Ökonomie etwas dran sein muss. Jene Bundesstaaten mit dem geringsten Anteil von Gläubigen sind im Schnitt die prosperierendsten.

Uralte Diskussion

Was aber ist die Ursache für diesen Zusammenhang? Führt Säkularisierung zu wirtschaftlichem Wachstum, oder ist es doch umgekehrt und materieller Wohlstand lässt das Interesse an Religion schwinden? Die Frage ist seit langem Gegenstand sozialwissenschaftlicher Diskussionen. Émile Durkheim, einer der Begründer der Soziologie als eigenständige Fachdisziplin, vermutete vor rund hundert Jahren, dass der Glaube eine immer geringere Rolle spielt, sobald die ökonomische Entwicklung zur Befriedigung unserer materiellen Bedürfnisse führt. Der deutsche Sozialwissenschafter Max Weber dagegen argumentierte, dass Veränderungen im religiösen Leben die ökonomische Produktivität antreiben.

Nun haben internationale Forscher zumindest einen Hinweis darauf gefunden, welches der beiden Phänomene – Religionsschwund oder Wirtschaftswachstum – dem anderen normalerweise vorausgeht. Das Team um Damian Ruck von der University of Bristol untersuchte Daten zur Wirtschaftsentwicklung und Säkularisierung aus 109 Ländern, die zwischen 1900 und 2000 erhoben worden waren. Dabei zeigte sich, dass ein Rückgang der Religiosität in der Bevölkerung stets vor einem wirtschaftlichen Aufschwung stattfand.

Wichtiger Faktor: Toleranz

Aber nicht nur das: Säkularisierung findet demnach nur dann vor einer ökonomisch positiven Entwicklung statt, wenn der Religionsschwund von einer allgemeinen Zunahme von Respekt für individuelle Rechte und Toleranz begleitet wird. Mit anderen Worten: Länder, in denen Abtreibungen, Scheidungen oder Homosexualität großteils akzeptiert werden, haben eine größere Chance auf einen zukünftigen wirtschaftlichen Aufschwung.

"Unsere Resultate zeigen, dass Säkularisierung ökonomischem Aufstieg vorangeht und nicht umgekehrt", sagt Ruckt. Das galt für mehr oder weniger alle untersuchten Kulturkreise. Der Wissenschafter betont allerdings zugleich, dass man hier nicht automatisch von einer Kausalität sprechen dürfe. Es sei ausschließlich eine Korrelation zwischen Religion und Wirtschaftsentwicklung festgestellt worden. "Es bedeutet daher auch nicht, dass religiöse Staaten nicht auch prosperieren könnten", sagt Ruck.

Zusammenhang mit Frauenrechten?

Alex Bentley, Koautor der im Fachjournal "Science Advances" präsentierten Studie von der University of Tennessee, ergänzt: "Vielleicht werden beide Entwicklungen von einem dritten Faktor ausgelöst." Dieser könnte beispielsweise die Stärkung von Frauenrechten sein. Die Studie deutet zumindest auf eine klare Verbindung zwischen dem vermehrten Zugang von Frauen zu Arbeit und Bildung einerseits und dem wirtschaftlichen Wohlergehen der Gesamtbevölkerung und einem Rückgang bei der allgemeinen Religiosität andererseits hin. (Thomas Bergmayr, 28.7.2018)