Ralf Muhr hat bei der Wiener Austria das sportliche Sagen.

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STANDARD: Austria-Präsident Wolfgang Katzian ist als Chef des Gewerkschaftsbundes kein Freund des Zwölfstundenarbeitstags. Sie wurden im Juni zum technischen Direktor des Vereins ernannt und bekamen kurz darauf noch die Agenden von Sportdirektor Franz Wohlfahrt übertragen. Wie lange dauert Ihr Arbeitstag?

Muhr: An Werktagen oder am Wochenende? Im Ernst: Ich versuche, mich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten. Das ist aber gerade in der heißen Phase nicht einfach. Es kann mitunter passieren, dass man in der 30er-Zone zu schnell unterwegs ist.

STANDARD: Als Leiter der Akademie standen Sie in der zweiten Reihe. Nun stehen Sie an vorderster Front und sind damit um einiges exponierter. Wie leicht fiel Ihnen der Schritt auf die Abschussrampe?

Muhr: Sehr leicht. Es löst keine schlaflosen Nächte aus. Natürlich stehe ich in dieser Position im Fokus. Die Öffentlichkeit wird mich an den Ergebnissen der Kampfmannschaft messen. Aber das wird mich in meiner Persönlichkeit nicht erschüttern. Es wird einen Grund haben, warum der Verein auf mich vertraut.

STANDARD: Einer der Gründe wird Ihre Erfahrung in puncto sportliche Leitung sein. Sie haben 1994 bei der U8 begonnen, den Job von der Pike auf gelernt. Damit unterscheiden Sie sich von Wohlfahrt. Braucht es Routine auf einem solchen Posten?

Muhr: Es kann auch ohne funktionieren. Oliver Bierhoff hat ein Shampoo vermarktet und war anschließend als Manager der deutschen Fußballnationalmannschaft erfolgreich. Franz Wohlfahrt hat mir eine Spielerkarriere voraus. Die werde ich nicht mehr nachholen können. Eine gewisse Lehrzeit ist aber sicher kein Schaden. Viele Prozesse im Profibetrieb sind mir vertraut, weil sie an der Akademie nicht anders sind. Die Mechanismen sind ähnlich.

STANDARD: Und zwar?

Muhr: Man muss fleißig sein, Dinge abarbeiten, Begeisterung entfachen, aktiv Kommunikation betreiben. Alle sportlichen Themen, die die Kampfmannschaft betreffen, fallen in meine Agenden.

STANDARD: Wie wichtig ist langfristige Planung für den Erfolg?

Muhr: Ich denke von Spiel zu Spiel, nein, diesen Satz will ich nicht hören. Bei den Spielern geht das vielleicht durch, in meiner Funktion nicht. Man muss über die Saison hinausblicken, man muss perspektivisch planen, schauen, wer in der Akademie nachkommt. Und wer Begehrlichkeiten weckt und abhandenkommen könnte.

STANDARD: Die Austria hat die Meisterschaft auf Platz sieben beendet. Gibt es noch Luft nach unten?

Muhr: Will man den eigenen Ansprüchen gerecht werden, kann es bestimmt nicht schlechter werden. Die Austria gehört ins internationale Geschäft, das ist selbstredend und unser Minimalziel. Ich sehe uns in einer guten Rolle, wir greifen an.

STANDARD: Auch Dauermeister Red Bull Salzburg?

Muhr: Wir greifen alle an. Von Salzburg bis Hartberg. Jetzt aber zu sagen, wir wollen Meister werden, wäre nicht richtig, das wäre zu weit gedacht. Red Bull Salzburg ist im österreichischen Fußball das Maß aller Dinge. Das ist die Benchmark. In diesen Spielen sieht man, wo man steht.

STANDARD: Man hat in der Vorsaison Trainer Thorsten Fink durch Thomas Letsch ersetzt. Nun musste man im Sommer trotzdem den Kader massiv umstrukturieren. Scheiterte es doch mehr an den Spielern als am Trainer?

Muhr: Fußball ist komplex. Als Trainer ist man abhängig von den Mitarbeitern. Die beste Idee bringt nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden kann. Das Entscheidende im Fußball ist die Qualität der Spieler. Der Trainer kann taktische Fehler minimieren, das Optimum aus jedem Einzelnen herauskitzeln. Aber der Kader definiert eine natürliche Grenze für den Erfolg.

STANDARD: Bei der Testspielniederlage gegen Borussia Dortmund standen fünf Neuzugänge in der Startelf. Wie war Ihr Eindruck?

Muhr: Wir waren der Meinung, dass es frischen Wind braucht. Wir benötigen Spieler mit einer gewissen Mentalität, wir wollen auf dem Platz mehr körperliche Präsenz zeigen. Das waren wichtige Parameter bei den Verpflichtungen. Wir haben nun flexible Spielertypen, die für den Gegner schwierig auszurechnen sind. Gegen Dortmund haben wir eine Austria gesehen, die Hoffnung auf eine erfolgreiche Saison weckt.

STANDARD: So überzeugend war der Auftritt gegen Dortmund auch wieder nicht.

Muhr: Das war ein sehr starker Gegner. Wir müssen im Offensivdrittel ballsicherer werden und den Ballbesitz zu Abschlüssen bringen. Das Schwierigste im Fußball ist noch immer das Spiel mit dem Ball. Wir werden mit Saisonstart eine funktionierende Mannschaft präsentieren, eine, die der Austria entspricht.

STANDARD: Woran soll man das festmachen können? An Ergebnissen?

Muhr: Ein hässliches 1:0 durch ein Eigentor mit dem Oberschenkel in der 93. Minute stellt die Fans mehr zufrieden als ein ereignisreiches 3:3. Mir geht es aber auch um etwas anderes: Haben wir den Ball, darf nicht jedem Zweiten die Kugel drei Meter wegspringen. Das erwartet man von einer Austria. Dieses technische Niveau muss gegeben sein. Vom Nachwuchs bis zur Ersten.

STANDARD: War es aber zuletzt nicht.

Muhr: Deshalb muss es wieder mehr forciert werden. Wir wollen durch Kombinationen nach vorn kommen, nicht durch weite Bälle. Und wir haben sehr wohl Eigenbauspieler in der Mannschaft, die dies umsetzen können. Dominik Prokop, Dominik Fitz, Michael Madl, Alexander Grünwald – da kann man sagen: Ausbildungsziel erreicht, das sind Austria-Spieler.

STANDARD: Bei der Weltmeisterschaft hat man gesehen, dass die Verteidigung Champions macht. Mit 55 Gegentoren war die Defensive in der vergangenen Saison nicht gerade das Prunkstück der Austria. Versteift sich der Verein zu sehr auf das schöne Spiel?

Muhr: Es stimmt, Meisterschaften werden über die stabile Defensive gewonnen. Es gibt aber keinen Umkehrschluss. Die WM zeigte, dass jeder Spieler seine individuelle Klasse in den Dienst des Teams zu stellen hat. Ein Luka Modrić, ein Ivan Rakitić haben sich dem System untergeordnet.

STANDARD: Kann der österreichische Fußball, obwohl er über eine bessere Infrastruktur verfügt, vom kroatischen lernen?

Muhr: Die Qualität des kroatischen Nationalteams ist für Österreich nicht unerreichbar. Bei uns werden Spieler aber mit zu vielen Jasagern konfrontiert. Viele sind schnell zufrieden, sie streben nicht nach dem ganz Großen. Kroatien hat gezeigt, was mit der richtigen Mentalität möglich ist. Das wollen wir auch bei der Austria vermitteln.

STANDARD: Am Freitag eröffnet die Austria gegen Wacker Innsbruck die Saison in der neuen Generali-Arena. Kann das Stadion den Verein wieder auf Erfolgskurs bringen?

Muhr: Wir müssen die Fans mit Leidenschaft motivieren und anstecken. Dann wird uns das Stadion helfen. Es ist ein Wahnsinn, wenn du im Happel-Stadion ohne Unterstützung allein aufs Tor zuläufst. Egal ob du ihn reinhaust oder nicht, es passiert nichts. Hier passiert etwas.

STANDARD: Kommt der Aufsteiger recht, um mit einem Sieg Euphorie zu entfachen?

Muhr: Das ist eine spielstarke Mannschaft, das wird kein Selbstläufer. Ich freue mich jedenfalls, dass wir mit einem Heimspiel starten dürfen. Innsbruck gehört in die oberste Spielklasse. Mit Karl Daxbacher ist eine Austria-Legende als Trainer zu Gast. Eine schönere Auftaktpartie kann ich mir für die neue Bundesliga nicht vorstellen. (Philip Bauer, 27.7.2018)