Wien – Die Träger des "modernisierten Rechtsextremismus" (Copyright Verfassungsschutz) sind keine Kriminellen. So könnte man – etwas plump – das Urteil über die Identitäre Bewegung Österreich zusammenfassen. Am Donnerstag wurden die 17 beschuldigten Mitglieder der ultrarechten Gruppe am Grazer Landesgericht allesamt freigesprochen – sie haben keine Verhetzung betrieben, sie bilden keine kriminelle Vereinigung. Die Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt.

Kunstblut und Transparente

Die Truppe wurde in den vergangenen Jahren immer wieder auffällig. Auf dem Dach der Grazer Grünen haben die Identitären ein riesiges Transparent ausgerollt, auf dem "Islamisierung tötet" stand – und Kunstblut darüber geschüttet. Mit einem Plakat mit der Aufschrift "Integration ist Lüge" wurde eine Vorlesung gestürmt. Der Rektor der Universität Klagenfurt, Oliver Vitouch, hat dabei einen Schlag in den Magen abbekommen. Dafür erhielt ein Angeklagter eine Strafe von 720 Euro wegen Körperverletzung. Ein anderer muss 240 Euro für eine Sachbeschädigung zahlen. Er hatte bei einer Anti-Zuwanderer-Aktion Kreide auf eine Straße gesprüht.

Über das Dach der Parteizentrale der Grazer Grünen hatten die Identitären im April 2016 Kunstblut geschüttet.
Foto: APA/GRÜNE STEIERMARK

Doch das große Ganze? "Wenn eine Organisation im Kernbereich legale Tätigkeiten ausübt, ist es keine kriminelle Vereinigung, auch wenn sich daraus Straftaten ergeben", begründet der Grazer Richter. Es stellt sich die Frage: Was darf politischer Aktionismus? Wo soll oder muss unsere Gesellschaft die Grenzen ziehen?

FPÖ kündigt Gespräche mit ÖVP an

Das Büro von Justizminister Josef Moser (ÖVP) wollte sich dazu am Freitag nicht äußern. Für FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan ist der Gerichtsentscheid aber "ein guter Anlass, um zu diskutieren, ob der Tatbestand kriminelle Vereinigung konkreter ausgestaltet werden sollte beziehungsweise ob man diesen Paragrafen in der Form überhaupt braucht". Im Gespräch mit dem STANDARD kündigt er Gespräche mit dem Koalitionspartner ÖVP an.

Schon die Anklage fand Stefan "problematisch". "So etwas muss eine Demokratie aushalten." Er sei daher froh, "dass die Sache so ausgegangen ist". Seine Skepsis gegenüber dem Paragrafen 278 begründet er damit, dass es für Vergehen wie Verhetzung oder Gewaltdelikte ohnehin eigene Straftatbestände gibt. Wenn man diese nicht nachweisen könne, würden die Staatsanwaltschaften Anklagen "über den Umweg" der kriminellen Vereinigung versuchen.

Identitäre bei einer Demonstration in Wien.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Immer wenn es um Meinungsfreiheit gehe, müsse man aber äußerst sensibel vorgehen, findet der Freiheitliche. Auch Umweltschutzaktivisten wie jene von Greenpeace würden mitunter zu grenzwertigen Aktionen greifen. Ähnlich wie der Richter im Prozess argumentiert Stefan: "Die Identitären werden von vielen als problematisch angesehen, sie äußern sich aber nicht viel anders als die Regierungsparteien, ein Peter Pilz oder Josef Cap."

Opposition pocht auf Präzisierung

Anders begründet, aber in der Schlussfolgerung ähnlich, sehen das die Oppositionsparteien: Alfred Noll von der Liste Pilz hält den Straftatbestand der kriminellen Vereinigung und ähnliche Organisationsdelikte für "äußerst schwammig formuliert" und einen "Schuhlöffel für Ermittlungen". Der Jurist gibt außerdem generell zu bedenken: "Wenn schon die Mitgliedschaft in einer Organisation strafbar ist, dann ist es bis zum Gesinnungsstrafrecht nicht weit."

SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim fordert das Justizministerium als Weisungsspitze auf, einen Erlass herauszugeben, damit die Staatsanwaltschaften wissen, wie sie den Tatbestand der kriminellen Vereinigung auszulegen haben. Aus seiner Sicht gibt es derzeit keine einheitliche Anklagepraxis. Anwalt Jarolim würde auch eine Ausweitung der Berichtspflicht an das Justizressort bei derartigen Causen für sinnvoll halten.

Im Fall der Identitären habe er die Anklage für vertretbar gehalten, er sehe aber schon die Gefahr, dass verstärkt auf den Paragrafen 278 zurückgegriffen werde, weil dadurch weitergehende Ermittlungsmethoden – wie etwa verdeckte Ermittlungen – möglich seien. Eine Gesetzesänderung hält der SPÖ-Politiker derzeit aber nicht für notwendig.

Neue Bestimmungen für Aktivismus?

Schlussendlich sei die Frage, wie man mit den Identitären und anderen Aktivisten umgeht, dann aber vor allem eine politische, sagt Gerhard Jarosch, Präsident der Internationalen Staatsanwältevereinigung. "Wenn das Benehmen der Identitären unter keine geltende Bestimmung fällt, muss sich die Politik überlegen, ob sie eine neue schaffen möchte", führt der Staatsanwalt aus. Eine generelle Klausel für politische Extremisten links und rechts hält er für juristisch nicht machbar. "Man müsste dafür, wie beim Verbotsgesetz, bestimmte politische Gruppen unter Strafe stellen."

In seiner Rolle "als Staatsbürger" betont aber auch Jarosch: "Das ist sehr heikel. Denn wo fängt man da an und wo hört man auf?" (Katharina Mittelstaedt, Günther Oswald, 27.7.2018)