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Die türkische Zentralbank ist im Griff des Präsidenten, so verstanden die Finanzmärkte nach dem Verzicht des Gouverneursrats auf eine Erhöhung der Leitzinsen.

Reuters / Umit Bektas

Es war wieder eine aufregende Woche an der Istanbuler Börse. Am Montag richteten sich alle Augen auf die Sitzung des Gouverneursrat der türkischen Zentralbank am Dienstag. Würde Murat Çetinkaya, der oberste Dienstherr der Bank, es wagen, die Leitzinsen zu erhöhen, um Inflation und Lira-Verfall zu stoppen? Çetinkaya wagte es nicht, und die Lira fiel weiter. Aber hübsch der Reihe nach.

"Wir werden nicht gegen die Finanzmärkte kämpfen, wir werden mit einer Win-win-Situation vorwärts gehen", eröffnete Erdoğans Schwiegersohn und Finanzminister Berat Albayrak Journalisten vor der Rückreise von einem G-20-Treffen in Argentinien. Das war gewissermaßen eine Erleichterung für alle, die auf einen Don-Quijote-Ritt des türkischen Finanzministers gegen New York, London, Tokio und Frankfurt gefasst waren. Die türkische Lira dankte und sank auf 4,76 für einen US-Dollar am Montag. "Win-win" heißt auf Türkisch "kazan kazan", hat man nebenbei noch gelernt.

Billige Kredite

Albayrak versprach Haushaltsdisziplin, allerdings auch wieder eine "effizientere" türkische Zentralbank, was sich wiederum nach Disziplinierung der rechtlich eigentlich unabhängigen Institution anhörte. Denn der Finanzminister und sein Schwiegervater Tayyip Erdoğan sind als Gegner einer hohen Zinspolitik bekannt. Volk und Unternehmer sollen billige Kredite haben. Nicht genau das, was man bei 15 Prozent Inflation tut. Zentralbankchef Çetinkaya beugte sich am Dienstag gleichwohl und erhöhte die Leitzinsen entgegen der Erwartungen der Märkte nicht. Neue Wirtschaftsdaten wiesen auf eine Beruhigung der erhitzten Konjunktur hin, argumentierte der Gouverneursrat. Die Lira begann sogleich zu fallen: 4,86 für einen Dollar.

Das beste, was sich über die Entscheidung der Zentralbank sagen lässt, sei, dass sie die Zinssätze nicht auch noch kürzte, stellte Marcus Ashworth in seinem Blog bei Bloomberg fest: "Die Türkei ist für Investitionen unbrauchbar, wenn ihre Zentralbank nicht die davonlaufende Inflation in den Griff bekommt."

Family Business

Staatspräsident Tayyip Erdoğan ernannte am selben Tag seinen Cousin Ibrahim Er, einen ehmaligen Lehrer, aber einen aktiven Sohn von Erdoğan Tante, zum stellvertretenden Bildungsminister. Somit sind nun zwei Mitglieder der Familie Erdoğan in der Regierung. Aus dem Strauß personeller Neubestellungen im Rahmen präsidentieller Erlasse, von denen das Volk am Mittwochmorgen aus dem Amtsblatt erfuhr, ist sonst die Rückkehr von Naci Ağbal hervorzuheben. Der bis zu den jüngsten Wahlen amtierende und Investoren beruhigende Finanzminister leitet nun ein neu geschaffenes Direktorat für "Strategie und Budget" im Präsidentenpalast. Welche Wirkung dieses Direktorat entfaltet – es ist eines von vier –, wird sich erst im Lauf des Jahres erweisen.

"In diesem System kann alles jederzeit passieren", sagte Tayyip Erdoğan über sein neues Präsidialregime, bevor er am Mittwoch nach Afrika abflog. Genau so kam es. Andrew Brunson, der seit knapp zwei Jahren in Untersuchungshaft gehaltene amerikanische Pastor, kam plötzlich frei. Oder fast.

Polizisten überstellten den 50-Jährigen in den Hausarrest. Gut für die Lira. Sie erholte sich auf 4,82. Ein Gericht hatte in der Vorwoche noch entschieden, Brunson auch noch bis zum nächsten Verhandlungstermin im Oktober in der Zelle zu behalten. "Eine Schande für die Türkei", hatte US-Präsident Donald Trump getwittert. Die offensichtlich politisch instruierte Freilassung Brunsons kam kurz vor Beratungen im außenpolitischen Ausschuss des US-Senats über Finanzsanktionen gegen die Türkei wegen Brunson und anderer in Haft sitzender Amerikaner oder Mitarbeiter der US-Vertretungen in der Türkei.

Trump wütet

Doch auch im System Trump kann alles jederzeit passieren. Brunsons Überstellung in den Hausarrest genügte dem US-Präsidenten nicht. Am Donnerstag kündigte er "weit reichende Sanktionen" gegen die Türkei an. Die Lira steuerte auf 4,86. Der außenpolitische Ausschuss nahm wiederum seinen eigenen Sanktionsentwurf an und überwies ihn zur Abstimmung ins Plenum. Die US-Vertreter bei Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) sollen künftig ihr Veto gegen Kredite für die Türkei einlegen.

Ein anderer Sanktionsentwurf im Kongress sieht den Stopp der Auslieferung der neuen F-35-Kampfjets an die Türkei vor. Der amerikanische Verteidigungsminister Mattis ist dagegen. Doch was Trump selbst wiederum für Strafen im Sinn hat, war noch nicht klar.

15 Prozent mehr

Es war der Punkt, an dem sich die türkische Brotbäckereivereinigung zu Wort meldete. Der Kilopreis für das weiße Standardbrot müsse um 15 Prozent auf 5,75 Lira steigen. Das Handelsministerium protestierte. Die Preiserhöhung spiegle nicht die wirtschaftliche Realität wieder, hieß es in einer Erklärung am Freitag.

Erdoğan selbst äußerte sich bis dahin weder zu Trump noch zum Brotpreis. Der türkische Staatschef setzte am Samstag seine Afrikareise fort, sprach über "kazan kazan" im Handel mit Afrika und flog nach Sambia. Inflation und "Pastor-Krise", wie in der Türkei der Streit mit den USA über Brunson genannt wird, sind im Moment nun gleichwohl Erdogans größte Probleme. (Markus Bernath; 28.07.2018)