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In seinen Reden konstruiert Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán gerne ein einfaches Freund-Feind-Schema.

Foto: Reuters / Hannibal Hanschke

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat im eigenen Land alle Wahlen gewonnen, er kontrolliert alle Schaltstellen der Macht. Nun greift er nach neuen Lorbeeren auf der europäischen Bühne. In seiner jährlichen Rede in rumänischen Kurort Băile Tușnad, im Siedlungsgebiet ethnischer Ungarn, gab er am Samstag die Linie vor für die Europawahlen im Frühjahr 2019. Wenig überraschend basiert sie auf dem Erfolgsrezept, das er seit Jahren im eigenen Land praktiziert: auf Hetze gegen Migranten und gegen die "Eliten in Brüssel".

"Es ist an der Zeit", sagte der ungarische Rechtspopulist vor Anhängern und Teilnehmern der Sommeruniversität Tușnad, "dass diese Wahl von der einzigen ernsthaften gemeinsamen europäischen Frage handelt: Von der Migration." Wenn Europa über die Einwanderung entscheide, "dann entscheidet es auch über die europäische Elite". Diese hätte bei den großen Flüchtlingswanderungen 2015 versagt, sie hätte sich als unfähig erwiesen, Europa "gegen die Einwanderung zu verteidigen".

Freund-Feind-Schema-Konstruktion

Wie schon vor der letzten ungarischen Wahl im April, die ihm wieder eine Zweidrittelmehrheit im Parlament bescherte, konstruierte Orbán in seiner Rede ein ebenso einfaches wie hanebüchenes Freund-Feind-Schema. Auf der einen Seite verortete er die "Brüsseler Eliten", die mit den "Eliten von 1968" identisch seien. Diese stehen für die liberale Demokratie und würden den vermeintlichen Plan des US-Milliardärs und Philanthropen George Soros durchziehen. Der "Soros-Plan" – eine verschwörungstheoretische Halluzination – würde wiederum darauf hinauslaufen, Europa mit Millionen muslimischer Migranten zu fluten, um die Völker des alten Kontinents ihrer christlichen und nationalen Identität zu berauben.

Auf der anderen Seite stünden "wir, die Generation von 1990", die anlässlich der demokratischen Wende in Osteuropa 1989/90 politisch aktiv wurde. "Jetzt ist die Zeit der antikommunistischen, christlichen, dem Nationalen verpflichteten Generation von 1990 gekommen", tönte er.

Mitglied der Europäischen Volkspartei

Orbáns Regierungspartei FIDESZ ist zwar Mitglied der bürgerlichen Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch ÖVP, CDU und CSU angehören. Doch die Rhetorik des ungarischen Regierungschefs, seiner Funktionäre und Ideologen ist längst schon ganz nah dran an der Redeweise von FPÖ, AfD und der ultra-rechten AltRight-Bewegung. Mit Spannung wird deshalb erwartet, ob Orbán von sich aus aus der EVP ausschert und sich den europäischen Rechtspopulisten um Marine LePen (Frankreich) und Matteo Salvini (Italien) beziehungsweise dem neulich vom ehemaligen Donald-Trump-Berater und AltRight-Chefideologen Steve Bannon initiierten Ultra-Rechts-Projekt "The Movement" anschließt.

In Băile Tușnad ließ Orbán vorerst keine diesbezügliche Absicht erkennen. Vielmehr erklärte er: "Wir gehen aus der EVP nicht raus, man kann uns höchstens hinausjagen." Die Mitgliedschaft des FIDESZ birgt viele Vorteile für ihn. Die stark deutsch dominierte EVP hält häufig die schützende Hand über ihn, wenn ihn die europäischen Institutionen wegen seiner autoritären und korrupten Staatsführung verurteilen oder abstrafen sollten.

Großer Spieler

Zugleich ist Orbán ein großer Spieler, der kein Problem damit hat, gleichzeitig auf mehreren Hochzeiten zu tanzen, so lange es sich für ihn lohnt. In Tușnad belehrte er indirekt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und die in der EVP vereinigten christlich-demokratischen Parteien. Insbesondere rieb er sich daran, dass Merkel ihm bei ihrem letzten Besuch in Budapest Anfang 2015 klargemacht hatte, dass sie mit dem von Orbán 2014 in Tușnad geprägten Begriff der "illiberalen Demokratie" nichts anfangen könne und dass ihre Partei, die CDU, sehr wohl auf liberalen Grundsätzen beruhe.

Mehr als drei Jahre danach replizierte Orbán: "Es ist eine Illusion zu glauben, die Christdemokratie könne auch liberal sein. Die Christdemokratie ist, wenn man so will, illiberal." Das Kunstwort "Christdemokratie" schuf Orbán vor ein paar Monaten. Faktisch bezeichnet es das, wofür die Vorgängerparteien von CDU (und ÖVP) etwa in der Zwischenkriegszeit gestanden hatten, als sie offen klerikal, autoritär und nationalistisch waren – so wie die heutige Orbán-Partei. (Gregor Mayer aus Budapest, 28.7.2018)