Wahlkampf in Österreich: Hohe Toleranz auch für Menschen mit anderen politischen Meinungen – vorausgesetzt, dass sie nicht zu extrem sind.

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Linz – Die Österreicherinnen und Österreicher mögen sich selber nicht als besonders tolerant einschätzen – in wesentlichen Fragen aber bekunden sie hohe Toleranz.

"Wenn jemand eine andere politische Meinung hat", so tolerieren das 92 Prozent – und dieser Wert ist in den Anhängerschaften der verschiedenen Parteien ziemlich gleichmäßig verteilt.

Sehr hohe Toleranz wird auch gegenüber Homosexuellen bekundet – hier liegt der Wert bei 89 Prozent. Selbst jene Befragten, die sich selber als wenig tolerant einstufen, haben offenbar wenig Probleme, Homosexualität zu akzeptieren. 37 Prozent dieser weniger toleranten Menschen geben sogar an, Homosexuelle zu ihrem Freundeskreis zu zählen.

Andere Hautfarbe stört angeblich nicht

Jeweils 84 Prozent sagen, dass sie laute Kinder in der Nachbarschaft tolerieren würden und dass sie es auch tolerieren würden, wenn Menschen anderer Hautfarbe in der Nachbarschaft einziehen.

In anderen Punkten geht es mit der Toleranz aber bergab: Nur noch zwei Drittel tolerieren es, wenn Langsamfahrer einen aufhalten, wenn die Nachbarn am Sonntag laut sind oder wenn jemand radikaler Tierschützer und Vegetarier ist.

Und unter 50 Prozent sinkt die Toleranz sowohl für Menschen, die mit ihrem Reichtum protzen, als auch für Menschen, die auf der Straße betteln.

Die Untreue des eigenen Partners wird nur von zehn Prozent toleriert, 78 Prozent ziehen da einen klaren Strich.

Freiheitliche setzen Toleranz enge Grenze

"Wenn Sie sich mit anderen Österreicherinnen und Österreichern vergleichen, also dem Durchschnitt: Sind Sie da toleranter als andere, etwa gleich tolerant, oder sind Sie weniger tolerant?" Diese Frage stellte das Linzer Market-Institut im Auftrag des STANDARD 800 Wahlberechtigten – und bekam von 43 Prozent die Antwort, dass sie sich für überdurchschnittlich tolerant halten. 13 Prozent halten sich für unterdurchschnittlich tolerant, und 40 Prozent vermuten sich etwa im Durchschnitt.

Diese Selbsteinschätzung variiert allerdings stark, wenn man sich die einzelnen Parteiwählerschaften ansieht. So halten sich die erklärten Anhänger der SPÖ zu 63 Prozent für überdurchschnittlich tolerant. Ähnliche Werte gibt es für Neos und Grüne, auch wenn dort die Fallzahlen für sinnvolle Vergleiche nicht ausreichen.

Andererseits sagen 26 Prozent der Freiheitlichen offen, dass sie weniger tolerant sind als der Bevölkerungsschnitt.

Die Gegenprobe ist in der Grafik oben dargestellt: Market ließ die eigene Toleranz auf einer Skala von null bis 100 einschätzen – wobei sich die Befragten im Schnitt leicht überdurchschnittlich positionierten, der Wert liegt bei 56,82. Wiederum sind es die Wähler der FPÖ, die deutlich darunter liegen, nämlich bei 43,79.

Spitzenwerte unter 50 Punkten auf der 100-Punkte-Skala

Das liegt daran, dass sich besonders viele FPÖ-Wähler im untersten Bereich der Skala einreihen: Acht Prozent geben sich einen Wert unter 10, weitere 15 Prozent bleiben zwischen 11 und 20. Generell gibt es eine besondere Häufigkeit für Nennungen knapp unter 50 Punkten (und besonders wenige knapp darüber) – aber auch hier ist die Verteilung der freiheitlichen Selbsteinschätzung deutlich unterschiedlich zu jener anderer Parteigänger: Zwei Drittel der SPÖ-Anhänger ordnen sich selber teilweise deutlich mehr als 60 Punkte auf der 100-Punkte-Skala zu.

Natürlich gibt es Sachen, die auch der toleranteste Mensch nicht tolerieren würde: Wenn Kinder geschlagen werden, dann tolerieren das 95 Prozent nicht, und auch "Wenn man unfair behandelt wird" ist für 92 Prozent quer über alle Parteigrenzen hinweg ein No-Go.

Gleich danach kommt die Ablehnung bezüglich "Wenn jemand Frauen durch anzügliche Bemerkungen belästigt" (89 Prozent) – hier ist die Sensibilität bei weiblichen Befragten erwartungsgemäß höher. Auffallend findet Market-Studienleiter David Pfarrhofer allerdings, dass Befragte unter 30 Jahren hier weniger sensibilisiert wirken als die reiferen Jahrgänge.

Keine Toleranz für Nazis

Auf dem vierten Platz der Negativliste liegt mit 87 Prozent "Wenn jemand die Zeit des Nationalsozialismus verherrlicht" – das toleriert selbst unter den Freiheitlichen nur jeder neunte Befragte. Die Verherrlichung von sozialistischen Revolutionen lehnen aber nur 54 Prozent ab.

Schluss mit Toleranz ist aber auch, "wenn Menschen mit Migrationshintergrund sich nicht integrieren": Das wollen 84 Prozent nicht tolerieren – besonders stark ist die Ablehnung durch ÖVP- und FPÖ-Wähler. Relativ große Nachsicht zeigen hier zwölf Prozent der Befragten unter 30 Jahren. Keinen Unterschied macht es übrigens in dieser Frage, ob der jeweilige Befragte selber Migrationshintergrund hat oder nicht.

Überhaupt ist bezeichnend, was nicht toleriert wird: 52 Prozent tolerieren nicht, wenn über Ausländer geschimpft wird – wobei erklärte Freiheitliche dies mehrheitlich offen tolerieren, erklärte SPÖ-Wähler das allerdings mit Zweidrittelmehrheit ablehnen. Ähnlich gespalten sind die Befragten, wenn Frauen mit Kopftuch das Straßenbild prägen. (Conrad Seidl, 29.7.2018)