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Viele Wissenschafter sehen das akademische Publikationswesen in der Krise, manche bezeichnen es gar als kaputt.

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Viel Aufmerksamkeit haben jüngst Medienberichte über wissenschaftliche Raubverlage auf sich gezogen. In Österreich haben der ORF und die Stadtzeitung "Falter" dahingehend recherchiert; in Deutschland und anderen Ländern ähnlich renommierte Medien. Die Reaktion in der informierten Wissenschaftswelt war – großes Gähnen bzw. emsiges Nachrecherchieren. Man muss allerdings nicht Rektor der Med-Uni Wien sein, um wöchentlich jede Menge Spam-Mails zu bekommen, die einen zu seltsam klingenden Konferenzen einladen oder dazu auffordern, einen Artikel für ein Journal einzureichen. Soll heißen: Das Phänomen ist bekannt, aber dass es wirklich ein Problem des Wissenschaftsbetriebs ist, wird bezweifelt.

Viele Kollegen setzen hinzu, dass das akademische Publikationswesen seit einiger Zeit in einer veritablen Krise steckt. Über die Ursachen wird trefflich gestritten, leider oft mit ideologischer Verve und wenig Faktenwissen. Das Problem beginnt schon bei den Raubverlagen ("predatory publishers") selbst. In vielen Fällen ist es gar nicht so einfach, eine belastbare Definition in Anschlag zu bringen, wie der Journalist Richard Poynder in einem guten Kommentar betont hat. Anders als der Titel vielleicht suggeriert, werden darunter nicht nur Journals mit explizit betrügerischer Absicht subsumiert, sondern auch solche, die aufgrund der Naivität oder Unprofessionalität ihrer Betreiber einfach schlecht gemacht sind oder die ein (zugegeben fragwürdiges) Profitmotiv haben. Die bis vor rund einem Jahr verwendete "Beall’s List" der Raubverlage war unter Experten auch deshalb umstritten, weil es keine klaren Kriterien gab, auf deren Basis sie zusammengestellt wurde. Eines der Motive des Betreibers, des Bibliothekars Jeffrey Beall, scheint neben anderen Idiosynkrasien seine ausgeprägte Nostalgie für die prädigitale Zeit gewesen zu sein.

Die guten alten Tage ...

Früher einmal – zumindest geht so die nostalgische Erzählung – war das Geschäft des Verlegens von wissenschaftlichen Journals in den Händen von Universitätsverlagen und akademischen Vereinigungen, und sie standen den Herausgebern (Editors) dieser Journals nahe. Schon damals stammte das Geld, das sie für ihre Produkte bekamen, zu einem großen Teil aus der öffentlichen Hand, denn gekauft werden solche Journals in erster Linie von den Bibliotheken der Unis und Forschungseinrichtungen, die ihren Wissenschaftern die neuesten Forschungsergebnisse zur Verfügung stellen wollten. Man erzielte (im Vergleich zu heute) moderate Gewinne, die durchaus auch zur Querfinanzierung von anderen wissenschaftsrelevanten Aktivitäten verwendet wurde: Konferenzen zum Beispiel oder Fellowships für Nachwuchswissenschafter.

Sofern sie es nicht selbst gemacht haben, haben die Betreiber der Journals ein paar lästige, aber notwendige Aufgaben an Wissenschaftsverlage delegiert: drucken, layoutieren, den Vertrieb inklusive Abos organisieren. Im Rückblick könnte man meinen, dass hier de facto eine Infrastruktur existierte, welche die meritokratischen Prinzipien der hehren Wissenschaftswelt selbstlos bediente. Aber dieser Erzählung sollte man nicht allzu viel Vertrauen entgegenbringen; selbst wenn sie im Kern stimmt, so liegen die Gründe für die heutigen Schwierigkeiten bereits in den damaligen Strukturen und den geopolitisch geordneten institutionellen Hierarchien.

... und der Aufstieg der Verlage

In den 1970er-Jahren haben Verlage begonnen, selbst Journals in größerem Ausmaß zu akquirieren beziehungsweise die Gründung neuer Journals selbst zu forcieren. Der Entwicklung lag die Beobachtung zugrunde, dass die Zahl der akademischen Journals unaufhörlich wächst – zumindest solange die Spezialisierung der Wissenschaft mit entsprechendem Zufluss an Mitteln ermöglicht wird. Auch die Marktkonzentration nahm zu, indem Verlage zusammengelegt oder kleinere Verlage von größeren aufgekauft wurden. Über die Zeit wurden Verlage dann mehr und mehr als die eigentlichen Betreiber der Journals und des wissenschaftlichen Publikationswesens akzeptiert.

Digitalisierung und Internet haben diese Trends verstärkt, zugleich Produktion und Distribution des akademischen Publikationswesens fundamental verändert. Zunächst konnte die gesamte interne Kommunikation auf leistungsfähige Content-Management-Systeme umgestellt werden. Das erforderte Investitionen in Technik und Programmierung. Resultat sind proprietäre Systeme, welche es den Verlagen nicht nur erlauben, elektronische Workflows von der Artikel-Einreichung bis zur Publikation anzubieten. Diese Systeme sind auch zu wertvollen Informationsspeichern geworden, in denen Millionen von Entscheidungsverfahren archiviert sind und Datenbanken wie etwa Gutachter-Listen geführt werden – Informationen, die für den Regelbetrieb eines wissenschaftlichen Journals von entscheidender Bedeutung geworden sind.

Zweitens hat sich der Vertrieb gewandelt: Artikel werden digital zur Verfügung gestellt und gelesen, und bezahlt werden in der Regel nicht mehr einzelne Journals, sondern Bundles – das sind zu Tausenden gruppierte Journals, die dann zu einem bestimmten Preis für eine Bibliothek digital zur Verfügung stehen. Weil diese Bundles ziemlich teuer sind und ihre Bepreisung nicht unbedingt nachvollziehbar geblieben ist, haben sich Universitäten in Europa in (meist nationalen) Konsortien zusammengeschlossen, die mit den Verlagen mehrjährige Verträge abschließen – in Österreich ist das die Kemö. Man spricht hier branchenintern von sogenannten "big deals", über die allerdings insgesamt wenig bekannt ist.

Die großen fünf

Die Konzentration der Verlage hat vor rund zehn Jahren dazu geführt, dass die "großen fünf" (Elsevier, Springer, Wiley-Blackwell, Taylor & Francis, Sage) einer oft zitierten Studie von 2015 zufolge in den Naturwissenschaften rund 50 Prozent aller Journals besitzen, in den Sozialwissenschaften sogar rund 70 Prozent. Das Businessmodell dieser Verlagshäuser beruht auf zwei Versprechen: Service, womit sie dem Editor alles Lästige abnehmen und regelmäßiges Publizieren des Journals verlässlich sicherstellen. Und Sichtbarkeit, womit ein höherer Impact-Factor erzielt werden soll und damit ausreichend neue Artikeleinreichungen.

In manchen Redaktionen gibt es freilich die Beobachtung, dass der "Service" nicht immer so gut ist – in den virtuellen Redaktionsstuben wird gern über das nach Indien ausgelagerte Korrektorat gelästert, das zu wünschen übrig lasse. Auch die Sache mit dem Impact-Factor klappt nicht wirklich. Die angesprochene Studie von 2015 zeigt, dass ein Wechsel zu einem der großen fünf in den Sozialwissenschaft keinen, in den Naturwissenschaften nur einen sehr geringen Einfluss hatte.

Markt oder Revolte?

Was hat das mit den Raubverlagen zu tun? Zunächst einmal, dass diese eher kleine Fische sind, die an einem großen Kuchen mitknabbern wollen. Einer Schätzung zufolge machen "Raubverlage" etwa 75 Millionen Euro pro Jahr an Umsatz – im Vergleich zu rund zehn Milliarden, welche die Abos der klassischen Journals erwirtschaften dürften. Überhaupt sind die Kosten für Journalsubskriptionen in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark gestiegen, und die Gewinnmargen bei den großen fünf liegen in einem zweistelligen Bereich. Deshalb vermuteten nach den jüngsten Medienberichten über Raubjournale manche, dass hier der eigentliche Skandal liege, andere bezeichnen das ganze Publikationssystem als "kaputt".

Der Grund ist einsichtig: Der Großteil des Umsatzes der Verlage stammt ja aus Steuergeldern. Bezahlt werden nicht nur die gebündelten Abos, sondern auch die inhaltliche Arbeit (Herausgeberschaft, Peer-Review) wird ohne finanzielle Entschädigung von Wissenschaftern geleistet, deren Salär in der Regel aus Steuergeldern bezahlt wird. Diese Doppelfinanzierung aus Steuergeldern sei unfair und ziehe Mittel aus den Forschungsinstituten ab, die dort besser (notabene: für Forschung) zu verwenden wären. Deshalb haben Wissenschafter schon einmal zum Boykott von Verlagen aufgerufen. Und vereinzelt haben Unis auch angekündigt, keinen Abschluss mit Elsevier oder Springer erzielen zu wollen. Aber bisher scheint der mediale Wirbel eher Teil der Verhandlungsstrategie denn konkrete Vorbereitung zum Ausstieg gewesen zu sein.

Open Access und schwarze Schafe

Und dann gibt es noch den "Big Bang": die ultimative Lösung, das große Versprechen, "Open Access". Die Idee ist, dass ein einmal begutachteter und fertig gestellter Artikel online frei zur Verfügung gestellt wird. Bezahlt wird nicht mehr fürs Lesen des Artikels (durch das von der Bibliothek bezahlten Abo), sondern für das Bearbeiten und Fertigstellen des Artikels (in Form von sogenannten APCs, "Article Processing Charges").

In der Praxis freilich ist Open Access eine komplizierte Angelegenheit, der einen eigenen Beitrag demnächst verdient. Hier nur so viel: eine Erwartung ans Open-Access-Regime, dass unter diesem Regime auch neue Verlage entstehen würden und sich die größere Konkurrenz ebenfalls kostendämpfend auf die Journal- beziehungsweise Artikelpreise auswirken würde. Das ist augenscheinlich nicht passiert; vielmehr sind ironischerweise ausgerechnet die "Raubverlage" mit dem Open-Access-Versprechen aufgetaucht. Auch wenn das nur wenige schwarze Schafe unter einer inzwischen ansehnlichen Zahl an ordentlich geführten Open-Access-Journals sind, haben sie in so mancher Disziplin nachhaltig den Ruf von Open Access schlechtgemacht. (Thomas König, 31.7.2018)