Lausanne – Das Verhältnis zwischen Mensch und Wolf war in Europa nicht immer so schlecht, wie wir heute glauben: In der Antike wurde das Raubtier noch durchaus positiv betrachtet, eine weitgehend friedliche Koexistenz war möglich. Als sich im Mittelalter landwirtschaftlich genutzte Flächen ausbreiteten, wandelte sich die Stimmung aber allmählich – zugleich trug die Christianisierung ihren Teil dazu bei, den Wolf zu dämonisieren.

Bis in die jüngste Vergangenheit wurde der Wolf daher gnadenlos bejagt – in vielen Regionen bis zur Ausrottung. Das ist für die Spezies nicht folgenlos geblieben, berichten nun Forscher der Universität Lausanne. Sie haben die DNA von 150 Wölfen aus europäischen Museen sequenziert und dabei festgestellt, dass sich die genetische Vielfalt der europäischen Wölfe in den vergangenen Jahrhunderten stark verringert hat.

Probensammlung und -auswertung

Unter der Leitung von Luca Fumagalli untersuchte das Forschungsteam hunderte von Proben, die aus der (bislang) letzten Phase der Wolfsverfolgung während des 19. und 20. Jahrhunderts stammten. Die Herausforderung bestand darin, aus den teilweise stark zerfallenen Proben überhaupt noch DNA zu extrahieren. Das Material, Knochen und Felle, erhielten sie von rund einem Dutzend Museen, die über den ganzen Kontinent verstreut sind, von Norwegen bis Sizilien und von Portugal bis Russland.

In Zusammenarbeit mit Christophe Dufresnes von der Uni Lausanne und der britischen Universität von Sheffield wurden die Resultate mit heutigen und prähistorischen Daten verglichen. So konnten die Wissenschafter die genetische Geschichte des Wolfes in Europa von der letzten Eiszeit bis in die Gegenwart verfolgen.

Es zeigte sich, dass die genetische Vielfalt der europäischen Wölfe vor einem Jahrhundert noch fast doppelt so groß war wie heute. Gleichzeitig unterschieden sich die Populationen früher genetisch weniger voneinander. Dies deutet laut den Forschenden auf stärkeren Austausch zwischen verschiedenen regionalen Populationen sowie auf generell größere Populationen hin, wie sie in der Fachzeitschrift "Proceedings of the Royal Society B" berichteten.

Unterschiede zwischen Ost und West

Die Befunde illustrieren laut den Wissenschaftern die Verfolgung des Wolfes auf dem ganzen Kontinent bis ins 20. Jahrhundert. So habe vor knapp 100 Jahren die italienische Unterart, die jüngst die Schweiz wiederbesiedelte, auch andernorts in Europa existiert. Genetisch gesehen beträchtliche Unterschiede stellten die Forscher auch zwischen ost- und westeuropäischen Wölfen fest.

In Westeuropa wurde der Wolf fast vollständig ausgerottet. Dadurch verringerte sich die Vielfalt am Übergang zum 20. Jahrhundert. Die Wiederbesiedlung durch einige übrig gebliebene Populationen hatte danach große Veränderungen in der genetischen Zusammensetzung zur Folge. In Osteuropa, wo der Wolf viel weniger nah am Aussterben war, sind die Vielfalt und die genetische Zusammensetzung heute auf einem ähnlichen Niveau wie damals. (red, APA, 1. 8. 2018)