13 Künstler leben derzeit in Gugging: Porträts der Wiener Fotokünstlerin von Juergen Tauscher, ...

Foto: Maria Ziegelböck

Franz Kernbeis

Foto: Maria Ziegelböck

Laila Bachtiar

Foto: Maria Ziegelböck

Günther Schützenhöfer

Foto: Maria Ziegelböck

Karl Vondal

Foto: Maria Ziegelböck

Kaum je ist Karl Vondal ohne ein Kunstwerk unterm Arm anzutreffen. Wo immer der Künstler hingeht, hat er das Bild dabei, an dem er gerade arbeitet. Zum Rauchen nimmt er es mit, zum Schlafen. Recht abgeschnudelt sehen die Blätter mitunter aus, aber man will natürlich nicht darauf verzichten, im Inspirationsfalle jederzeit daran weiterarbeiten zu können. Oder sie herzeigen zu können, zum Beispiel einer schönen Dame. Man weiß ja nie, wann eine um die Ecke biegt.

Sieht so hingebungsvolle Liebe zur Kunst aus? Ist's Angst, dass dem Werk etwas passiert? "Der Karli sieht seine Bilder als Erweiterung seines Körpers", meint Vondals Betreuerin Ramona Schnekenburger.

Vondal ist einer von 13 Künstlern, die derzeit im Gugginger Haus der Künstler leben. Diese psychosoziale Einrichtung des Landes Niederösterreich gibt Menschen mit besonderen Bedürfnissen Raum, sich künstlerisch auszudrücken. Sie ist Teil des Art-Brut-Centers Gugging, zu dem außerdem die Galerie, das Museum und ein Atelier gehören.

"Art brut" (dt. "rohe Kunst"), diesen Begriff prägte der französische Künstler Jean Dubuffet. Er bezeichnete damit Kunst, die unbeeinflusst von der Gesellschaft und unverbildet entsteht.

August Wallas "Zwei Engel", 1986.
Foto: Art Brut KG

In Österreich begann der Psychiater Leo Navratil in der Nachkriegszeit, seine Patienten zeichnen zu lassen. Ihn interessierten die Zusammenhänge von Psychose und Begabung. Sein Buch Schizophrenie und Kunst (1965) traf einen Nerv der Zeit. "Gesunde" Künstler wie Peter Pongratz oder Arnulf Rainer inspirierte die "Kunst der Geisteskranken", sie sahen darin einen Zugang zu einer neuen Kunstsprache. Solche "Romantik" verhalf dem Gugginger Künstlerdreigestirn Johann Hauser, August Walla, Oswald Tschirtner zu Ruhm.

Kunst und Künstler im Fokus

Während Navratils Hauptaugenmerk der Erforschung des Pathologischen galt, wandte sich sein Nachfolger Johann Feilacher von diesem Fokus ab. 1986 benannte er das "Zentrum für Kunst und Psychotherapie" in "Haus der Künstler" um. Sich vom Krankheitsbegriff distanzierend, wollte Feilacher die "voyeuristischen Akzente rausnehmen". Krankengeschichten zusammen mit den Werken zu veröffentlichen – das ist für Feilacher tabu. Kunst und Künstlerpersönlichkeiten stehen im Vordergrund.

Johann Garber, "Das fade Gehirngefühl", 1980.
Foto: Privatstiftung - Künstler aus Gugging

Die Ateliers sind hell und hoch. Hier arbeiten die Künstler, sofern sie nicht im Freien oder in ihren Zimmern malen und zeichnen wollen. Ein Künstler vertieft sich in eine aus geschwungenen Formen bestehende Figur. Ein Kollege füllt seine Blätter mit kleinteiligen Mustern. Karl Vondal arbeitet an einer pastellfarbenen Strandszene: Zwischen aufgeklebten Häuschenformen sonnen sich Pin-up-Girls, dazwischen kugeln rote Tupfer herum, die zwischen Herz und Äpfelchen changieren. Was die Künstler tun wollen, bleibt ihnen überlassen. "Die Förderung besteht im Nichtfördern", sagt Feilacher.

Dem gezielten Laisser-faire steht die Anbindung an den Markt gegenüber. Die Galerie des Hauses unterhält mit allen Künstlern einen Vertrag, der Gewinn wird fifty-fifty aufgeteilt. Diese Option befördert das Selbstbewusstsein der Künstler. Feilacher geht es aber auch darum, die Grenzen zwischen Art brut und regulärer Kunst abzubauen. Er will Sammler erreichen, die Gugginger Kunst nicht exklusiv kaufen, sondern sie in ihre Kollektionen integrieren. Quasi auf Augenhöhe.

Heinrich Reisenbauers "Gießkannen".
Foto: Privatstiftung - Künstler aus Gugging

Zur Einebnung von Grenzen trägt auch bei, dass das Atelier für jedermann offen ist. Jeder kann sich für einen Platz in der Werkstatt anmelden, um dort zu arbeiten oder am Sozialleben teilzunehmen. Erlaubt sei im Atelier alles, nur eines nicht: bloß zuschauen. Das irritiere.

Privatmythologien

In der neuen Sammlungspräsentation Gehirngefühl im Museum treffen die Gugginger "Klassiker" auf jüngst im Atelier entstandene Arbeiten. Man taucht ein in jene Privatmythologie, mit der August Walla seinen Lebensraum überzog. Man bestaunt aber auch "Landkarten" von Leonard Fink. In opulent befüllten Blättern empfindet der 36-jährige Topografien nach. Einige Monate brauchte er für eine alternative Kärntenkarte: Autobahnen schlängeln sich nebst originellen Ornamenten über das Blatt, Kirchen stehen kopf. Über dem Großglockner ist noch Platz für den Himmel: Hier fliegt ein Hubschrauber herum. Zu beobachten, wie zielsicher Fink bei einer kleinen Führung auf winzige Details in seinen Bildern zusteuert, lässt vermuten: Er hat jeden Augenblick dieses Bildes erlebt.

Leonhard Finks "Die Karte von der Stadt Linz in Oberösterreich", 2014.
Foto: galerie gugging

Dass man hier neue Wahrnehmungswelten kennenlernt, macht den Reiz der Gugginger Kunst aus. Man seht, welche tiefe, persönliche Bedeutung Kunst für einen Menschen haben kann. Jenes bare Bedürfnis nach Ausdruck, das die Kunst allgemein antreibt: Hier erlebt man es mitunter auch abseits von Begriffen wie Markt, Networking und Repräsentation. (Roman Gerold, 2.8.2018)