STANDARD: Ist Kochen politisch?

Molcho: Wenn du Israel und Palästina fragst: Ja. Die streiten sich, wer die Falafel erfunden hat. Natürlich ist es politisch. Gerichte haben oft mit Nationalstolz zu tun. Dabei weiß man ja oft nicht, woher die Sachen kommen. Die Leute haben sehr viel Ego und wollen immer die Ersten sein, die etwas erfunden haben.

Kneissl: Ich wünsche mir, dass Kochen nicht politisch ist. Ich esse gerne, koche aber nicht zelebrierend, mit irgendwelchen asiatischen Zutaten. Ich koche zu Hause mit dem, was da ist – ein typischer Restlkocher.

Molcho: Schön, kreativ.

Karin Kneissl und Haya Molcho über Donald Trump, Hummus und Palatschinken
DER STANDARD

Kneissl: Das ist adeliges Essen: Essen von gestern. Ich habe nie nach Rezept gekocht, sondern mache das einfach nach Gefühl, mit dem, was da ist. Ich versuche auch so zu kochen, dass ich mich meinen Gästen widmen kann. Nichts ist langweiliger, als wenn man wo eingeladen ist und die Gastgeber sind länger in der Küche als bei den Gästen.

Molcho: Deswegen hat man ja auch die offenen Küchen gemacht: Früher war die Stelle der Hausfrau in der Küche, in einem anderen Raum. Die Frauen heutzutage wollen integriert werden, sie wollen mitreden. Das haben sie genial gemacht, dass heute im Wohnzimmer die Küche steht.

STANDARD: Frau Molcho, in Ihrer Tahina steckt ja sogar ein Stück Nahostpolitik, Sie beziehen sie aus einer umkämpften Region.

Molcho: Um einen guten Hummus zu machen, brauchst du die beste Tahina – unsere besteht nur aus Sesam. Ich bin einmal in einem Restaurant gesessen und habe gesagt: Diese Tahina will ich haben für den Hummus, den wir in Österreich machen. Er wird im Westjordanland am Berg Garizim von einer Samaritanerfamilie hergestellt. Also fuhr ich dort hin. Meine Familie durfte nichts davon wissen. Ein Taxi nach dem anderen hat die Fahrt abgelehnt – erst ein Hippie mit Dreadlocks hat mich mitgenommen, der brauchte das Geld. Heute liefern sie uns Tonnen von Tahina, und unsere Familien sind eng befreundet. Essen verbindet.

Neni-Gründerin Haya Molcho (li.) und Außenministerin Karin Kneissl führten zunächst Smalltalk auf Hebräisch – fürs Interview wechselten sie dann ins Deutsche.
Foto: christian fischer

STANDARD: Noch politischer als das Essen ist aber womöglich das Schlachten: Die Diskussion ums Schächten hat Wellen bis nach Israel geschlagen. Das macht Ihnen, Frau Kneissl, die ohnehin schwierige Beziehung zu Israel nicht leichter, oder?

Kneissl: Das spielt überhaupt keine Rolle. Ich bin Außenministerin. Letzte Woche habe ich in Zagreb den israelischen Landwirtschaftsminister getroffen, und er sagte: Kommen Sie nach Israel! Ich habe geantwortet: Ich komme gerne, aber Ihre Regierung will nicht mit mir reden. (lacht) Wir haben nicht über das Schächten gesprochen, obwohl er Landwirtschaftsminister ist. Das fließt nicht in irgendeine diplomatische Tagespolitik ein.

STANDARD: Wenn Sie in Israel sind, werden Sie auf die aktuelle Regierung in Österreich angesprochen?

Molcho: Nicht so viel wie damals bei Waldheim.

Kneissl: Absolut. Ich habe damals in Israel studiert und musste mich fünfmal am Tag dazu äußern.

Molcho: Momentan gibt es so viele andere Probleme in Israel, das ist nicht so oft Thema.

Kneissl: In Israel hat man ganz andere Probleme, als man vielleicht in mancher Redaktionsstube glaubt.

"Meiner Erfahrung nach sind Fremde oft treuer als österreichische Jungköche", sagt Haya Molcho.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Sie arbeiten in Ihren Restaurants mit einem multikulturellen Team ...

Molcho: Schon immer. Der Naschmarkt ist multikulturell. Da war eher das Thema, dass ich als Frau etwas auf die Beine gestellt habe – da wurde komisch geschaut.

Kneissl: Das glaube ich.

Molcho: Aber zu mir kommen Menschen aller Farben und fragen, ob sie bei uns arbeiten können. Ich nehme alle mit offenen Armen, sie müssen nur gut kochen und treu sein. Ich frage nicht: Woher kommst du? Sondern: Was kannst du? Meiner Erfahrung nach sind Fremde oft treuer als österreichische Jungköche. Die fragen als Erstes: Wie viel Urlaub bekomme ich, was bekomme ich bezahlt? Der andere fragt: Was kann ich lernen, was kann ich machen. Die wollen arbeiten.

Kneissl: Ich bin voller Bewunderung für jeden Gastronomen, der Köche ausbildet. Das Anlernen dauert unglaublich lange, mit der Hygiene, den Rezepten.

STANDARD: Was sagen Sie dazu, dass Haya Molcho meint, die österreichischen Köche seien vielleicht ein bisschen verwöhnter?

Kneissl: Das ist ihre Beobachtung. Ich spreche nur über Dinge, zu denen ich eigene Erfahrung habe.

Haya Molcho musste Deutsch lernen, als sie nach Österreich kam – Karin Kneissl Hebräisch, als sie in Israel studierte.
Foto: christian fischer

STANDARD: Frau Molcho, Sie sind auch in der Flüchtlingshilfe engagiert.

Molcho: Ich bin in Israel geboren, dort mit Integration aufgewachsen. Zu dieser Zeit sind die Juden nach dem Zweiten Weltkrieg gekommen. Wir haben damals in den Klassen gelernt, wie wir ihnen das Leben leichter machen können. Sie hatten Traumata, niemand hier am Tisch kann sich das vorstellen. Auch die Syrer heute haben Traumata. Natürlich versuche ich, jedem Flüchtling hier zu helfen.

Kneissl: Was in Israel faszinierend ist, das habe ich auch selbst erlebt: Innerhalb von sechs Wochen wird man in die Sprache eingetaucht. Ohne Sprache geht nichts, man muss sie einfach lernen. Ich war in einem Einwandererkurs, als einzige Nichtjüdin. Dadurch, dass ich zuvor Arabisch studiert hatte, fiel mir das Hebräisch relativ leicht. Das ist das Um und Auf, dass man mit Basissprachkenntnissen sofort auf den Arbeitsmarkt gehen kann.

Molcho: Sprache ist natürlich eine Form der Integration, keine Frage.

Kneissl: Das macht Israel perfekt.

Molcho: Israel investiert sehr viel: Da lernt man wirklich im Intensivkurs von morgens bis abends.

Kneissl: Ich habe oft in unterschiedlichen Ländern anfangen müssen und hatte keinen Gratissprachkurs, sondern mir den Kurs in Israel zum Beispiel erarbeitet, indem ich Leichen gewaschen habe. Das war knallhart: Nachtdienst, zwölf Stunden am Tag, plus den Sprachkurs irgendwo unterbringen. Anders kommt man nicht an.

Molcho: Ich bin selbst ohne ein Wort Deutsch nach Österreich gekommen, aber meinen Eltern war sehr wichtig, dass ich die Sprache schnell lerne. Auch meine Köche können heute alle Deutsch – und meine gehörlosen Mitarbeiter haben sich gegenseitig die türkische und die deutsche Gebärdensprache beigebracht. Es war eine Freude, das zu sehen.

STANDARD: Es gibt einen Disput darüber, ob Lehrlinge, deren Asylantrag abgelehnt wird, hier ihre Lehre fertigmachen können sollen. Acht von neun Landesintegrationsreferenten sind dafür, die Bundesregierung ist dagegen. Warum, Frau Kneissl?

Kneissl: Ich darf darauf hinweisen, dass wir unter Asylberechtigten 32.000 Arbeitslose haben. Davon 9000 im Alter zwischen 18 und 25, also genau in dem Alter, in dem man eine Lehre machen könnte. Unser Zugang ist, jenen mit sicherem Aufenthaltstitel die Möglichkeit zu geben, über eine Lehre Fuß zu fassen. Sonst wird aus der Migrationskrise eine Integrationskrise.

Molcho: Man sollte sich vorher Gedanken machen: Wird jemand länger bleiben? Aber bevor das nicht entschieden ist, sollte man ihm keine Lehre geben. Ihn während der Ausbildung dann abzuschieben, finde ich grausam.

Kneissl über die Angriffe von FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky auf EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker: "Wer was wo sagt: Ich kommentiere es nicht."
Foto: christian fischer

STANDARD: FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky hat den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker …

Kneissl: Wenn Sie irgendwie verfolgen, was ich in den letzten Monaten in Interviews gesagt habe, wissen Sie: Ich kommentiere nicht, was irgendjemand in einer Partei sagt. Meine Aufgabe als Außenministerin ist, inhaltlich zu arbeiten. Wer was wo sagt: Ich kommentiere es nicht. Das habe ich auch schon kundgetan.

STANDARD: Wie weit ist die Überlegung bei den Doppelpässen für Südtiroler, wenn man die italienische Regierung nicht vor den Kopf stoßen möchte und gleichzeitig nach einer schlüssigen Logik klären möchte, wer den deutsch- und ladinischsprachigen Gruppen angehört?

Kneissl: Wenn Sie die damaligen Interviews in Vorbereitung auf dieses Gespräch studiert haben, können Sie daraus einige der Antworten bereits entnehmen. Ich habe mit meinem neuen Kollegen Enzo Moavero Milanesi dazu direkt noch nicht gesprochen. Ich habe zu einem Gedankenaustausch mit allen im Südtiroler Landtag vertretenen Parteien geladen, das hat sehr gut funktioniert. Auch zur Logik gibt es genug Aussagen von mir. Es ist immer hilfreich, wenn man sich anschaut, was dazu schon gesagt wurde, um dann im Interview einen Mehrwert herauszuholen. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass als erster logischer Schritt ein Ausstieg aus der Europarat konvention zur Vermeidung von Doppelstaatsbürgerschaften erfolgen muss. Dafür sind andere Schritte notwendig, auf die ich wiederholt hingewiesen habe.

STANDARD: Sie sind Ministerin für Äußeres und Integration. Welchen Stellenwert hat da die Integration?

Kneissl: Das eine spielt das andere nicht aus. Ich bin angetreten mit dem Wunsch, die Integrationssektion stärker ins Ministerium zu integrieren. Das habe ich auch mehrfach kundgetan, ich weiß nicht, ob Sie das eine oder andere verfolgt haben. Ich habe zum Beispiel ein Projekt initiiert zur Rückoperation von Frauen, die genital verstümmelt wurden. Es geht also immer darum, Integration mit anderen Themen zu verknüpfen. (Sebastian Fellner, 4.8.2018)