Offenbar muss erst ein Fußball-Superstar aus der Nationalmannschaft zurücktreten, damit Deutschland eingehend und offen über Rassismus diskutiert. Und offenbar dauert es dann noch Wochen, bis Ausläufer dieser Debatte auch nach Österreich schwappen.

Mittlerweile jedenfalls ist der Hashtag #MeTwo, und damit auch der "Fall Özil" langsam auch in Österreich gelandet.

Ali Can, Aktivist und Buchautor, rief die Twitter-Bewegung #MeTwo ins Leben. Userinnen und User posten hier Beispiele von Alltagsrassismus und Antisemitismus. DER STANDARD hat Beiträge aus Österreich gesammelt.
DER STANDARD

Wer liest, kann verstehen

Inspiriert von Mesut Özil, dem Kicker aus Gelsenkirchen, der sich mit dem türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan ablichten ließ und seither übel beschimpft wird, haben zigtausende Menschen im deutschsprachigen Raum ihre persönlichen Erlebnisse getwittert. Und wer nur ein paar dieser Tweets liest, versteht, warum Özil, der reiche Superstar, der mittlerweile in England kickt, sich seine Erfahrungen als deutscher Bub mit türkischen Wurzeln in einer mehrseitigen Tirade von der Seele geschrieben hat – und warum dies auf ein so großes Echo stößt.

#MeTwo-Initiator Ali Can nennt sich "Migrant des Vertrauens" und hat ein Aufklärungsbuch für besorgte Bürger geschrieben.
Foto: imago / Rolf K. Wegst

Özil berichtet von Verletzungen, die so tiefe seelische Wunden geschlagen haben, dass er sie nicht vergessen kann. Seine Erinnerungen an persönliche Verletzungen erklären besser, warum er sich mit einem despotischen Politiker eines anderen Landes ablichten hat lassen als jede Erklärung, die er versucht hätte. Und das, obwohl es selbst aus seiner Sicht eine ziemliche Blödheit war sich so instrumentalisieren zu lassen. Dass er das nicht einmal bereut, spricht nicht unbedingt für ihn.

Ermutigung für andere

Özil hat jedoch in Gang gesetzt, dass sich viele Menschen ermutigt fühlten, auch aus ihrer Kindheit, Jugend und Gegenwart zu berichten. Ganz persönliche Erlebnisse, Bemerkungen, Gelächter, ein schiefer Blick zur falschen Zeit, und eine verletzliche Kinderseele wird so verwundet, dass es ein Leben lang schmerzt.

Was besonders auffällt – und auch besonders betroffen macht: In Deutschland wie in Österreich berichten sehr viele Menschen darüber, wie sie von Lehrern gedemütigt wurden, wie ihnen nichts zugetraut wurde, wie sie vor der ganzen Klasse lächerlich gemacht wurden. Für viele mag das eine Motivation gewesen sein, es denen mal so richtig zu zeigen, aus ihnen sind Ärztinnen, Künstler, Werbefachfrauen, Unternehmer, Anwältinnen geworden – aber weh hat es trotzdem getan.

Struktureller Rassismus

Und es klafft die offene Frage, wie es denen ergangen sein mag, die es nicht "geschafft" haben, die sich nun nicht stolz auf Twitter zu Wort melden, weil sie es allen gezeigt haben. Wie viele junge Menschen daran zerbrochen sind, kann man nur erahnen.

Folgt man den Erlebnissen der österreichischen Twitter-Gemeinde, sollten wir auch hierzulande dringend über #MeTwo reden. Vor allem Abwertung und Diskriminierung durch Lehrende prägt sich Kindern tief ein und verunsichert sie gravierend. Umgekehrt hat der Lehrer, der als einziger vom selbst gebackenen Kuchen, den das Kind anbietet, probiert und der mobbenden Klasse gleichzeitig die Leviten gelesen hat, diesem Kind nachhaltig geholfen. Und das Kind, nunmehr erwachsen, hat diesen Lehrer nie vergessen. Auch das zeigt diese Debatte.

Wir müssen reden

Der Unterrichtsminister sollte das alles aufmerksam verfolgen – und die richtigen Schlüsse ziehen. Mehr Lehrer müssen in den Klassen stehen, nicht weniger. Sie müssen gut ausgebildet werden und brauchen alles Rüstzeug, das zu haben ist, um ihrer wichtigen Rolle für Kinder gerecht werden zu können. Sie brauchen Unterstützung von Psychologen und Sozialarbeitern – und engmaschige Supervision um mit den Frustrationen, die Schulalltag mit sich bringt, besser umgehen zu können.

Zynische, frustrierte und gedankenlose Lehrer können Kinderleben zerstören – nicht nur jene von Kindern mit Migrationshintergrund. Aber diese besonders, weil sie besonders verwundbar sind. (Petra Stuiber, VIDEO: Andreas Müller, 5.8.2018)