Modeberaterin Miri Beilin präsentiert schicke Trends.

Foto: Lissy Kaufmann

In einer Modeboutique in Bnei Brak, einem religiösen Vorort von Tel Aviv, schiebt die Stylistin Miri Beilin die Kleiderbügel auf der Stange hin und her und räumt den Blick frei auf die Mode der Sommersaison: "Blumenmuster haben wir, die werden auch in der Wintersaison noch bleiben, bei den Farben haben wir Gelb, viel Pink, Grün und Blau sowie Pastelltöne." In den Regalen stehen Handtaschen, High Heels, Ballerinas. Klingt gewöhnlich – ist aber in der Welt der Ultraorthodoxen eine kleine Revolution, und die Modeberaterin Miri Beilin ist ein Teil davon.

Denn bislang galt für streng religiöse Frauen: möglichst wenig auffallen. Schließlich ist es Männern nicht erlaubt, fremde Frauen anzusehen, und Frauen sollen ihnen dafür keine Anreize geben. Zur Sicherheit wird auf Bilder von Frauen in Werbeprospekten und Medien lieber ganz verzichtet. Sogar die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wurde schon von einer ultraorthodoxen Zeitung aus einem Gruppenbild mit Männern wegretuschiert.

Rote Lippen, gelbe Schuhe

Und nun das: Miri Beilin, die streng religiöse 38-jährige Mutter von fünf Kindern, trägt auffallend roten Lippenstift, passend dazu Lack auf ihren künstlichen Fingernägeln sowie knallgelbe Nieten-High-Heels – ein Hingucker. Die Modeberaterin scheut nicht davor, Selfies zu knipsen und diese auf Instagram zu stellen – sichtbar für alle. Sie erklärt das so: "Nirgendwo in der Thora steht, dass eine Frau nicht schön sein soll, im Gegenteil. Wir haben Sarah, Rebekka, Königin Esther. Aber nirgends steht, dass sie besonders züchtig waren. Es heißt, dass sie schön waren."

Die Modebegeisterung der Charedim, der Gottesfürchtigen, ist Teil einer Veränderung dieser einst abgeschotteten Gesellschaft, die sich heute der säkularen Welt immer weiter öffnet: Mehr und mehr Strenggläubige haben Smartphones, surfen im Internet, studieren an säkularen Hochschulen – und sie arbeiten in neuen Berufszweigen, die früher tabu waren. "Die sich verändernde Welt erfordert auch eine veränderte Mode. Man sieht das zum Beispiel an Chavi Toker, die als erste charedische Frau seit einigen Monaten als Richterin am Obersten Gericht arbeitet. Im Gerichtssaal kannst du nicht mit dem gleichen Outfit erscheinen wie an einer religiösen Mädchenschule. Sie trägt eine Perücke, aber auch ziemlich modische Ohrringe."

Kaschiert und koscher

Ultraorthodoxe Frauen sollen nach der Heirat ihr echtes Haar bedecken – und nutzen dafür Kopftücher, Hüte oder eben Perücken. Auch Miri Beilin trägt eine. Sie hält sich trotz Stylings und knalliger Farben an die Kleider vorschriften: Die Ärmel sind lang, ihr Kleid bedeckt die Knie, weibliche Rundungen werden kaschiert. Und so sucht man auch in der Modeboutique vergeblich nach Hosen, tiefen Ausschnitten oder kurzärmeligen Sommershirts. Was hier verkauft wird, ist von Rabbinern abgesegnet: "Jeder Laden, der in der Welt der Charedim einen guten Namen haben will, holt sich ein Koscherzertifikat von einem Rabbiner.

Züchtig, aber modern und stilvoll – diesen Balanceakt lernen zukünftige Beraterinnen und Designerinnen an der Mode- und Stylingschule für Ultraorthodoxe in Bnei Brak. Die Schulungsräume liegen in einem Coworking-Space, im 18. Stock eines Bürohochhauses – in dieser engen, verschachtelten, religiösen Stadt sind solche Gebäude ungewöhnlich. Plakate mit Models hängen an der Wand, auch von Modevorbildern wie den britischen Prinzengattinnen Kate Middleton und Meghan Markle. "Sie sind Trendsetterinnen, kleiden sich aber auch züchtig", erklärt Schulleiterin und -gründerin Channi Dobkin. Rund 80 Frauen lernen hier, was in ist, welche Farben harmonieren, welche Schnitte stilvoll sind, aber den Kleidervorschriften entsprechen.

Partnersuche und Hochzeit

Die Soziologin Sima Salczberg verweist auf die vielen Hochzeiten und religiösen Feste, für die man immer neue Outfits braucht – und auf die Partnersuche, die bei den Charedim eine große Rolle spielt. "Junge Frauen müssen potenzielle Schwiegermütter und künftige Ehemänner anlocken." Es habe lange an entsprechender Mode für junge Mädchen gefehlt – bis eine Mutter kurzerhand selbst angefangen hat, Kleider zu desi gnen.

Frauen wie Miri Beilin und Channi Dobkin vereinbaren Familie und Beruf, verdienen ihr eigenes Geld. Und doch würde sich Miri Beilin nicht als Feministin bezeichnen. Sie wisse eben auch, sich dem Willen ihres Ehemannes zu beugen. "Sorry, Ladys, der Mann ist nun mal der Mann im Haus."

Trotz der Veränderungen haben am Ende noch immer Männer das Sagen – Ehemänner, Väter und Rabbiner. Bisher. Die Welt der Charedim öffnet sich immer mehr der säkularen Welt – auch wenn manche verängstigte Rabbiner dies mit neuen Verhüllungsvorschriften zu verhindern versuchen. Die Revolution der Ultraorthodoxen scheint unaufhaltsam. (Lissy Kaufmann, 4.8.2018)