Das Wahlergebnis dominierte alle Titelseiten in Bamako.

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Mali gilt als Schlüsselstaat in der Sahelzone.

Bamako/Paris – Wenn man in Rechnung stellt, dass sich Mali in einer Art Bürgerkrieg befindet, war es fast eine Vorzeigewahl. Der amtierende Präsident Ibrahim Boubacar Keïta (73), genannt IBK, erzielte im ersten Wahlgang 41,4 Prozent der Stimmen, sein Herausforderer Soumaïla Cissé (68), genannt "Soumi", 17,8 Prozent. Das gab die Wahlkommission in der Hauptstadt Bamako in der Nacht auf Freitag bekannt. In einer Woche findet die Stichwahl statt.

Bloß: Die 22 übrigen Kandidaten sprachen in einem gemeinsamen Kommuniqué von Wahlfälschung, noch bevor das Resultat des ersten Wahlgangs bekannt war. Die Wahl sei eine abgekartete Sache, um IBK an der Macht zu halten. Und zwar – was nicht gesagt wird – auch auf Wunsch Frankreichs, nach wie vor Machtfaktor Nummer eins in der Exkolonie. 5000 französischen Soldaten, darunter zahlreiche wüstenerprobte Fremdenlegionäre, versuchen seit 2013, die diversen aus der Sahara eindringenden Islamistenmilizen zu verjagen.

Gerade in der umkämpften Wüstenzone, wo der Herausforderer Cissé populärer ist, blieben in den letzten Tagen über 700 Wahlbüros geschlossen; andere Gegenkandidaten von IBK berichten zudem über die Existenz eines "Parallelwählerregisters", mit dem die Wahlergebnisse nach Belieben manipuliert werden konnten.

Korrupte Eliten

Cissé genießt bei den 19 Millionen Maliern allerdings nicht mehr Vertrauen als IBK: Beide sind langjährige Vertreter der überaus zynischen Machtelite in Bamako. Beide betreiben ihre Kampagne vorab mit Lastwagenladungen von T-Shirts, die sie an die Ärmsten des armen Sahelstaats verteilen; und beide stützen sich auf ihre Clans, in die ein Großteil der Entwicklungsgelder aus Europa versickert. Seit 2013, als die Franzosen die Ausbreitung des islamistischen Gottesstaates von Timbuktu bis nach Bamako mit einem Blitzeinsatz verhinderten, hat die internationale Gemeinschaft jährlich rund eine Milliarde Dollar gespendet – die Hälfte der staatlichen Investitionen dieses Landes.

Was aus dem Geld geworden ist, vermag niemand zu sagen. Aber alle wissen es. Der IBK-Clan gilt nicht als korrupter als andere, nicht korrupter als die ganze Bürokratie der Hauptstadt. Dass der amtierende Präsident einen für ihn erniedrigenden zweiten Wahlgang überhaupt zulassen musste, spricht Bände über seine Unpopularität. 2013 hatte er sich als starker Mann präsentiert, der nach der Vertreibung der Islamisten die nötigen politischen und sozialen Reformen anpacken wollte, um das ethnisch sehr diverse Land zu befrieden. Getan hat er sehr wenig. Tatenlos schaute er in seinem Präsidentenpalast auf einem Felsen über Bamako in den letzten fünf Jahren zu, wie Mali, ein tolerantes Land mit einem moderaten Islam, zu einem religiös-sozialen Pulverfass geworden ist.

Vergrößertes jihadistisches Einzugsgebiet

Die Jihad-Banden überzeugen nicht mehr nur Vertreter der arabischen und Tuareg-Minderheiten in der Wüstenhälfte, sondern breiten sich bis in den Landeskern um die Stadt Mopti aus. "Immer mehr Leute wenden sich ihnen zu", meinte voller Verzweiflung der Bürgermeister des Orts Nampala, Sékou Bah. Die Islamisten ziehen Sozialwerke auf und bieten den Armen eigene Richter als Alternative zur korrupten Justiz an. Ganze Ethnien wie etwa die Peuls halten offenbar schon zu den Islamisten – zuerst aus politischen, nicht aus religiösen Motiven.

Die Präsidentschaftswahl verstärkt diesen Trend nur noch. IBK wie auch Cissé bemühen sich selbst um ethnische Wählerschaften und kooperieren unter der Hand mit Moscheen, denen die Jihadisten ein Dorn im Auge sind. Die malische Armee versucht dem Vormarsch der Jihadisten Einhalt zu gebieten, ist dazu aber viel zu schlecht ausgerüstet und motiviert. Umso brutaler geht sie gegen verdächtige Zivilisten vor. Damit treibt sie das Volk fast in die Arme der Jihadisten.

Zehntausende von Maliern sind vor den Attentaten und der Gewalt – die auch im Wahlkampf mehrere Dutzend Tote forderte – bereits in die Nachbarländer Burkina Faso und Niger geflüchtet. Mit ihnen breitet sich das Jihad-Einzugsgebiet auf die ganze Region aus. Während die französische Armee das riesige Land Mali eher schlecht als recht zu kontrollieren sucht, richtet die US-Armee nun eine Basis in Agadez (Niger) ein. In einem ersten Schritt überwacht sie das Grenzgebiet mit Drohnen und Aufklärungsflugzeugen. Amerikanische Truppeneinsätze zur Vermeidung eines Flächenbrands scheinen aber nur eine Frage der Zeit. (Stefan Brändle, 3.8.2018)