Sie war Österreichs coolste Socke an der Volksbühne Frank Castorfs: Sophie Rois spielt ab Samstag in dessen Romandramatisierung von Knut Hamsuns "Hunger" bei den Salzburger Festspielen.

Foto: Heribert Corn

Erstes Gebot am Theater: Du sollst nicht langweilen! Daran hält sich Sophie Rois immer. Der Berliner Volksbühnen-Star aus Ottensheim bei Linz hat auf der Bühne immer noch was im Köcher, auch dann, wenn der Text schon zu Ende gesagt ist. Da bäumt sich stets noch etwas auf, es faucht noch ein wenig aus den Nasenlöchern. Oder Rois dreht ihr Kinn beiseite wie einen rauchenden Colt. Denn wenn sie spricht, schießt sie auch. In ganz verschiedenen Rollen, wie die des Juden Kaftan in Der Kaufmann von Berlin, wo sie sich den Rauschebart gelegentlich zur Seite schieben musste. Oder als graziles, abgründiges Dienstmädchen in Die Zofen. Am öftesten verkörpert sie den Typ sittenstrenge Lady, auf jeden Fall Macherinnen, die stets die Oberhand behalten und gerne auch mal zuhauen. Opfertypen liegen ihr nicht.

Dabei trägt ihre legendäre Reibeisenstimme viel Widersprüchlichkeit in sich. Sie ist fragil und zugleich angriffslustig; sie wirkt einerseits heiser-schwach, schlägt dann aber mit der Urkraft des Beschwerdetons zu.

Rolls-Rois

Rois, die von ihren Fans "Rolls-Rois" genannt wird, hatte schon immer ganz eigene Ansprüche an das Theater: weniger Bildungskanon, mehr Punk! Weniger Leiden, mehr Glamour! Deshalb war die Volksbühne Frank Castorfs die einzig adäquate Adresse für die Absolventin des Max-Reinhardt-Seminars. Seit 1993 war sie dort Ensemblemitglied und ist es bis zum bitteren Ende 2017 geblieben. Castorf und Rois sind einander in herzlicher Distanz zugetan, so beschreibt sie es. Auch über das große Finale hinaus.

Ab heute, Samstag, spielt sie an der Seite von Marc Hosemann, Kathrin Angerer, Lars Rudolph u. a. in Castorfs jüngstem Streich, einer Dramatisierung von Knut Hamsuns Roman Hunger, bei den Salzburger Festspielen. Dass Sophie Rois hier 1998 die Buhlschaft gespielt hat, scheint ein Widerspruch in ihrer Theaterbiografie zu sein. Aber ein bisschen ist sie von der christlichen Entsühnung doch fasziniert. Als Folklore-Katholikin hat sich Rois einmal selbst bezeichnet. Das Katholischste an ihr sei ihr "Hang zu Eingeweiden: Herz und Blut, das kannibalische Moment!".

Gute Dialoge

Während Schauspielerinnen üblicherweise nach großen Rollen streben, winkt Sophie Rois ab. Mit Figuren kann man sie nicht locken, viel mehr interessieren sie gute Dialoge und gut spielbare Szenen. Psychologische Einfühlung? Langweilig! Rois ist der Typ Anti-Lee-Strasberg, also nicht geeignet für das Ergründen psychologischer Untiefen. Sie formuliert das natürlich viel besser: "Beim Kasperl und beim Krokodil willst du auch nicht wissen, ob die jetzt Probleme in ihrer Kindheit hatten." Stimmt.

All das – gute Dialoge, gut spielbare Szenen, keine Psychologie, viel Punk und Glamour – waren Grundpfeiler der letzten 25 Jahre Volksbühne, erfunden und geprägt von Regisseuren wie Frank Castorf, René Pollesch, Christoph Schlingensief oder Christoph Marthaler. Ihnen war bzw. ist Rois eine kongeniale Partnerin. Die Volksbühne war "mein Hollywood", sagt sie. Und die Schauspielerin trägt auch einiges dazu bei, damit das Leben ein wenig feierlicher wird. Immer ist sie in feinem Tuch anzutreffen, und will ihr ein Wiener Kellner einen Eiskaffää aufschwatzen, wenn sie bloß schwarzen Kaffee mit Vanilleeis wünscht, wiegelt sie ab und erklärt gründlich den Unterschied zum Affogato al caffè.

Ruppiges mit Noblesse

Sophie Rois ist ein hellwaches Frauenzimmer in strengen Blusen. Diese konterkariert sie mit großen Maschen um den Hals. Das wirkt dann, als wäre der Kasperl in sie gefahren. Ist er vermutlich auch, so schlagfertig, wie sie ist. Selbst eine wie Alice Schwarzer ist in einer Talkshow einmal vor ihr verstummt. Rois vereint burschikos Ruppiges mit allergrößter Noblesse.

Sie arbeitet vorwiegend mit Regisseuren, beklagt aber vehement die "Peniszulage" am Theater. Das ist kein Widerspruch. Wenn man Castorf vorwirft, in seinen Inszenierungen ein sexistisches Frauenbild zu festigen, so erhebt Rois Einspruch. Die Stärke von Frauenfiguren läge nicht im Schuhwerk (immer hochhackig bei Castorf), sondern in deren Texten.

Im Alter von elf Jahren hat sich Sophie Rois in einen Roma-Buben verliebt, der ins Lebensmittelgeschäft ihrer Eltern hereingeschneit kam. "So wie er haben die Ottensheimer Burschen nie gelacht." Es war, so schildert sie eindrücklich, als hätte sie schon damals eine fremde Welt aus dem Ort an der Donau hinausgewunken. Wenn man sie heute sprechen hört, blitzen in ihrem Berliner Slang ("keene Lussst") noch österreichische Vokale auf ("Schäarffe"). Das unrühmliche Volksbühnen-Ende quittierte sie in der Berliner Zeitung schnoddrig mit: "Der Drops ist gelutscht!"

Deutsches Theater Berlin

Mittlerweile ist Sophie Rois Ensemblemitglied am Deutschen Theater Berlin und eröffnet dort im September in einer Inszenierung von René Pollesch, Cry Baby ab 8. 9., die Spielzeit. An Arbeit mangelt es also nicht. Hat es nie. Zumal Rois auch das Filmgeschäft nie mied, sie spielte bei Tom Tykwer oder Stefan Ruzowitzky, auch im Tatort. Trotz ihrer unbedingten Treue zum Ensembletheater. Im Vorjahr erhielt die 57-Jährige den Gertrud-Eysoldt-Ring.

Das Theater ist eine geistig reinigende Sache, sagt sie, sowohl für die Künstler als auch fürs Publikum. Eine rituelle Tat, ähnlich wie das Singen. Sophie Rois ist seit 1982 in einer Band, in der sie gelegentlich als Sängerin auftritt. Begonnen hat alles mit dem 2016 verstorbenen Linzer Musiker Peter Donke. Jeder Talkshowchef schickt Stoßgebete in den Himmel, wenn Rois live singt. Detto die Regisseure. Unvergesslich ist das Parole-Duett mit Matthias Matschke in Marthalers Die zehn Gebote. So schön kann auf diesem Erdball niemand krächzen. (Margarete Affenzeller, 3.8.2018)