Im österreichischen Schulsystem gibt es ein Verteilungsproblem auf zwei Ebenen – zwischen Wien und den Bundesländern und zwischen städtischen und ländlichen Regionen in den Bundesländern.

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Wien – Was im Regierungsprogramm etwas sperrig und technokratisch klingt, birgt bei genauerem Hinsehen einigen politischen Sprengstoff. Denn im Kern geht es darum, eines der größten und teuersten Geheimnisse dieses Landes zu lüften: Was passiert eigentlich wirklich mit dem Geld, das in das österreichische Schulsystem fließt? Wo landet (oder versickert) es, und vor allem: Bewirkt es das, was es eigentlich soll, nämlich die bestmögliche Versorgung aller Kinder mit Bildung?

Antworten könnte der Punkt "Zeitnahe Evaluation von Teilbereichen des Bildungsreformgesetzes 2017 unter dem Gesichtspunkt der Erfolgswirksamkeit" im türkis-blauen Bildungskapitel des ÖVP-FPÖ-Arbeitsplans liefern. Genannt werden etwa Schulcluster und Klassenschülerzahlen.

Intransparenz als Programm

Im Kern geht es dabei darum, die derzeit intransparenten, zwischen Bund und Ländern hin- und hermäandernden Finanzierungsströme endlich einmal offenzulegen und ihre Wirksamkeit zu analysieren. Für Experten wie den Bildungsforscher Lorenz Lassnigg vom Institut für Höhere Studien (IHS) ist es "die bildungspolitische Herausforderung" – nämlich die transparente Finanzierung des Bildungssystems, wie er in einem aktuellen Papier mit seinem Kollegen Mario Steiner schreibt.

Die beiden Experten listen darin ein paar Schieflagen im System auf, für die sich selbst bei langer Suche keine sachlich-plausiblen Gründe finden lassen, sondern wo letztlich als einziger Erklärungsansatz irgendwelche versteckten, (macht-)politischen Alimentationsgründe angenommen werden müssen. Nachvollziehbare bildungspolitische Faktoren können es jedenfalls nicht sein. Im Gegenteil: "Die empirische Evidenz verweist mithin darauf, dass die Verteilung der Ressourcen das wesentliche bildungspolitische Problem darstellt."

Große Ungleichheiten bei den Ressourcen

"Große Ungleichheiten in der Ressourcenausstattung" lassen sich demnach auf zwei Ebenen beobachten (siehe Grafiken): zum einen zwischen den Bundesländern, wo Wien eindeutig am schlechtesten aussteigt, was mit Blick auf die Zusammensetzung im städtischen Milieu – Migration, soziale Brennpunkte etc. – besonders problematisch ist.

So sind etwa die Ausgaben pro Schüler bzw. Schülerin im Volksschulbereich im Burgenland um 25 Prozent höher als in Wien, im Sekundarbereich liegt die Steiermark als Spitzenreiter um 16 Prozent über dem Wien-Wert. "Während die sachlichen und pädagogischen Herausforderungen in den städtischen Monopolregionen in der Regel größer sind, erfolgt eine starke Lenkung der Ressourcen in Richtung ländliche Gebiete", erklärt Lassnigg im STANDARD-Gespräch.

Das erklärt ein Stück weit auch, dass die politische Debatte die zweite Hälfte dieses Verteilungsproblems fast immer unterschlägt: "Der Stadt-Land-Konflikt wird nur zwischen Wien und den Bundesländern ausgetragen, findet aber in den Ländern selbst genauso statt", betont Lassnigg.

Stadt-Land-Konflikt auch in den Ländern

Es gibt nämlich auch beträchtliche Unterschiede zwischen den unterschiedlich dicht besiedelten Regionen Österreichs, also zwischen Stadt und Land in den Bundesländern. Hier zeigt sich ebenfalls, dass just jene Gebiete, in denen Schulen mit komplexeren Anforderungen zu finden sind, weniger Ressourcen zur Verfügung haben. Im IHS-Papier heißt es dazu, "dass hoch belastete Schulstandorte in den dicht besiedelten Gebieten mehr Schülerinnen und Schüler pro Lehrperson haben als im österreichischen Durchschnitt".

So ist die Schülerzahl pro Lehrperson in sozial belasteten Volksschulen in dicht besiedelten Gebieten um rund 20 Prozent höher als in den dünn besiedelten (11,0 vs. 8,5), in Neuen Mittel- und Hauptschulen beträgt die Differenz rund zehn Prozent (8,0 vs. 6,8). Lassnigg und Steiner analysieren: "Aufgrund der unterschiedlichen demografischen Entwicklung hat Wien relativ an Ressourcen verloren, weil die Herausforderungen dort stark gewachsen sind, ohne dass die Mittelzuteilung damit Schritt gehalten hat."

Was also tun? Bildungsexperte Lassnigg spricht nüchtern aus, was Bildungspolitiker nur höchst ungern sagen: "Man wird umverteilen müssen – von ländlichen Regionen zu städtischen Ballungszentren, von weniger belasteten Schulen zu solchen, die mehr schwierige Faktoren – Schülerpopulation, Migration, Armut etc. – und damit größere Herausforderungen bewältigen müssen."

Hinter den von der Regierung bzw. schon von der rot-schwarzen Vorgängerin geplanten Clustern, dem Zusammenschluss kleiner Schulen, stehe natürlich "die Hoffnung auf Rationalisierung". Wobei Lassnigg Kleinschulschließung nicht uneingeschränkt das Wort reden will: "Schulen haben auch eine gewisse Bedeutung für die regionale Entwicklung."

Kein Zusammenhang zwischen Ausgaben und Leistung

Das Grunddilemma der Schulfinanzierung fassen die IHS-Forscher so zusammen: "Entscheidend ist, dass die Gründe für das Zustandekommen dieser Ungleichheiten nicht nachvollziehbar sind." Zudem sei "auch kein Zusammenhang zwischen höheren Ausgaben und besseren Leistungen bei den Bildungsstandards nach Bundesländern erkennbar".

Was also tun? Endlich Finanzierungstransparenz etablieren, fordern die Experten. Denn, so warnt Lassnigg: "Fehlende Transparenz ist eine Quelle von Misstrauen." Offengelegte Geldströme würden nicht nur die technischen Abläufe optimieren, sondern auch "Vertrauen in das System und zwischen den beteiligten Akteuren schaffen". Der jetzige Zustand sei nämlich der ideale Boden für mehr gefühlsbasierte politische Ersatzhandlungen und Debattenbeiträge als wirklich sachgerechte Bildungspolitik. Oft mit dem reflexhaften Ruf: "Wir brauchen mehr Geld, dann wird alles gut mit der Schule." Es ist aber eben nicht alles gut, wie die mittelmäßigen Ergebnisse bei nationalen und internationalen Studien zeigen.

Schule braucht Vertrauen

Als vertrauensbildende Gegenmittel empfehlen die IHS-Experten schlicht – und politisch im föderalen System doch höchst konfliktträchtig – "transparente und bedarfsgerechte Mittelflüsse an die Schulen". Das setze klare Informationen über Bundes- und Landeslehrer voraus, aber auch entsprechende "materielle Spielräume der Schulen", die, so sie die in Aussicht gestellte Autonomie auch tatsächlich leben dürfen, ein Einspruchsrecht gegen die weitgehend noch ungeregelte künftige Mittelzuteilung bekommen müssten. Und da Schulen eines der wichtigsten Politikfelder seien, von allen Steuerzahlern finanziert, müsse deren Finanzierung auch "viel stärker der öffentlichen Rechenschaftspflicht unterliegen". (Lisa Nimmervoll, 5.8.2018)